ARGE Bamberg e.V. feierte 30jähriges Bestehen: „Inklusion ist nie fertig“

Forderung für volle Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft

Im Oktober 1992 gründeten Jutta Sturm-Heidler und fünf Selbsthilfegruppen einen Verein von Betroffenen, zehn Jahr später wurde die ARGE mit zehn lokalen Gruppen Mitglied in der LAGH als zweite bayerische Arbeitsgemeinschaft: Am 18. November 2022 findet nun die Jubiläumsveranstaltung „50 Jahre LAG SELBSTHILFE Bayern“ im Bayerischen Landtag statt.

Das 30-jährige Bestehen feierte die „Bamberger Arbeitsgemeinschaft chronisch kranker und behinderter Menschen e.V.“ (ARGE Bamberg) mit mehreren Highlights. Höhepunkt war der Festakt in der Bamberger Konzert- und Kongresshalle mit zahlreichen Gästen aus Stadt und Landkreis sowie Vertretern der inzwischen 20 Selbsthilfegruppen.

Raúl Krauthausen beim ARGE-Festakt in Bamberg am 03.09.2022, barrierefrei durch absenkbare Bühne, Induktionsschleifen und Gebärdendolmetscherinnen. Foto: ARGE

Raúl Krauthausen beim ARGE-Festakt in Bamberg am 03.09.2022, barrierefrei durch absenkbare Bühne, Induktionsschleifen und Gebärdendolmetscherinnen. Foto: ARGE

Am 3. September wurde für den Festredner Raúl Krauthausen die Bühne vom Hegel-Saal abgesenkt und hochgefahren – ein sehr gutes Beispiel für erlebbare Barrierefreiheit. Er thematisierte die Stellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung und präsentierte ein aktuelles Beispiel mangelnder Teilhabe: Am Samstag konnte er problemlos anreisen, doch die Rückfahrt nach Berlin am Sonntag war problematisch – erst kein Behindertentaxi vom Hotel zum Bahnhof und dann die DB-Info, dass er den ICE nach Berlin „wegen Personalmangel in Bamberg“ nicht nutzen könne. Den Transport nach Nürnberg per Taxi übernahm schließlich die ARGE.

Raúl Krauthausen fragte, warum wir in Deutschland immer über Kosten der Inklusion reden: „Man diskutiert doch heute auch nicht über die Kosten einer Frauen-Toilette in einem neuen Gebäude oder die Frauen-Umkleidekabine im Fitness-Studio.“ Noch immer haben nicht behinderte Menschen das Mandat, über Inklusion sowie Kosten zu entscheiden. „Es gibt keine Barrierefreiheit, die Menschen ohne Behinderung je geschadet hat!“ Deutschland verfehle beim Thema Inklusion massiv den Anspruch, überall weltweit führend zu sein, und stehe im hinteren Mittelfeld der UN.

Der Behinderten-Aktivist und SOZIALHELDEN-Gründer (sozialhelden.de) gratulierte den Selbsthilfegruppen der ARGE und bestätigte: „Das Thema Inklusion ist keine Checkliste, die wir abhaken können, sondern eine dauerhafte Aufgabe.“ Raúl Krauthausen zitierte den Mitstreiter Constantin Grosch: „Je mehr wir uns mit Diskriminierungen beschäftigen, desto mehr entdecken wir auch.“

Wir alle müssen für mehr Inklusion an uns arbeiten, aber: „Ich würde schon sagen, dass 95 Prozent aller Barrieren, auf die ich stoße, durch die Umwelt entstanden sind.“ Krauthausen weiter:„Behindertes Leben ist keine Bürde, es bedeutet nicht automatisch Schmerz und Leid – und nicht jeder behinderte Mensch braucht Liebe und Zuneigung. Wir sind keine Kinder!“ Wenn die Statistik sagt, dass in Deutschland 10 Prozent eine Behinderung haben, so haben all diese Menschen noch Verwandte und Freunde, die bei fehlender Barrierefreiheit auch ein gedeihliches Miteinander wie Besuche verhindern: Rampen erleichtern Familien mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollator das Reisen im ICE oder ÖPNV. In den USA, Österreich oder Japan ist sogar der Privatsektor zur Barrierefreiheit verpflichtet. Die Dimension „Behinderung“ müsse auch in Deutschland bei allen Planungen daher mit bedacht werden.

Barrierefreie Festschrift mit Chronik

Der ARGE-Vorsitzende Rudolf Zahn verwies auf bestehende Barrieren.  Foto: ARGE

Der ARGE-Vorsitzende Rudolf Zahn verwies auf bestehende Barrieren. Foto: ARGE

Bewusst hatte sich der ARGE-Vorstand gegen Schirmherren entschieden, da man sich für Inklusion auf Augenhöhe mit den politisch Verantwortlichen einsetze. Jonas Glüsenkamp (2. Bürgermeister) und Bruno Kellner (stv. Landrat) gratulierten für Stadt und Landkreis Bamberg in Grußworten und dankten den ARGE-Mitgliedern für das große ehrenamtliche Engagement. Die Behindertenbeauftragte Nicole Orf der Stadt Bamberg betonte, dass noch viele Barrieren abzubauen sind. Die kurzweiligen Einlagen der inklusiven Band „Sleeping Anne“ (KUFA) erfreuten alle Festgäste und Heike Bauer-Banzhaf moderierte den Festakt souverän. Der ARGE-Vorsitzende Rudolf Zahn forderte zum weiteren Einstehen für die Rechte von Menschen mit Behinderung auf: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, rechnet weiter mit uns!“

In der barrierefreien Festschrift mit Chronik wird jede ARGESelbsthilfegruppe mit einer Kontaktperson vorgestellt. Vier Versionen sind über die Homepage (www.arge-bamberg.de) in der Rubrik „Downloads“ abrufbar: Print (52 Seiten) und „Leichte Sprache“ (36 Seiten) als PDF, das DAISY-Hörbuch für Blinde/ Sehbehinderte (MP3) sowie für Taube/Hörbehinderte Videos in Gebärdensprache (MP4). Den Vortrag von Raúl Krauthausen findet man auch als Video dort.

Die Homepage nennt die Sitzungstermine (KUFA), aktuelle Projekte wie Stand auf der „Via Futura“ im März, die Maxplatz-Aktion am 5. Mai (Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) und Link-Listen zu den Behindertenbeauftragten in Stadt und Landkreis.

Flyer der ARGE Bamberg zum Download (PDF, 500KB)