Böh­men liegt nicht am Meer – aber im Her­zen von Bubenreuth

Vernissage Böhmen liegt nicht am Meer_1
Ausstellung in Bubenreuth - Vernissage Böhmen liegt nicht am Meer. Foto: Gemeinde Bubenreuth

Seli­ger-Gemein­de prä­sen­tiert Lebens­we­ge sude­ten­deut­scher Sozialdemokrat*innen und die Publi­ka­ti­on „Zwei Ton­quel­len der Welt“

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag­nach­mit­tag lud die Gemein­de Buben­reuth zur Aus­stel­lungs­er­öff­nung „Böh­men liegt nicht am Meer“ in die ehe­ma­li­gen Spar­kas­sen­räu­me am Eichen­platz. Neben den Lebens­we­gen sude­ten­deut­scher Sozialdemokrat_​innen prä­sen­tier­te die Seli­ger-Gemein­de auch die Publi­ka­ti­on „Zwei Ton­quel­len der Welt“, die mit Mit­teln der Ernst und Gise­la Paul-Stif­tung über­setzt und gedruckt wer­den konn­te. Das zwei­spra­chi­ge Werk stellt auf rund 80 Sei­ten die Geschich­te der Schön­ba­cher Instru­men­ten­bau­er und ihren Neu­start in Buben­reuth aus dem Blick­win­kel der Sozi­al­de­mo­kra­tie vor. Die Ver­an­stal­tung wur­de stim­mungs­voll umrahmt von den Musi­ke­rin­nen Hed­wig Heß­ler und Doro­thea Blösch.

Bür­ger­mei­ster Nor­bert Stumpf konn­te neben den Ver­tre­tern der Seli­ger-Gemein­de, Fest­red­ne­rin Chri­sta Naaß, Stell­ver­tre­te­rin des Bezirks­tags­prä­si­den­ten beim Bezirk Mit­tel­fran­ken und Prä­si­di­ums­mit­glied der Seli­ger-Gemein­de, und Rai­ner Pasta, Aus­stel­lungs­be­auf­trag­ter der Seli­ger-Gemein­de und stell­ver­tre­ten­der Stif­tungs­vor­stand der Ernst und Gise­la Paul-Stif­tung, eine Rei­he von Ehren­gä­sten begrü­ßen. Neben Her­bert Schmid von Arbeit und Leben Wei­den, der durch die Aus­stel­lung führ­te, und dem ehe­ma­li­gen Bun­des­ge­schäfts­füh­rer der Sude­ten­deut­schen Lands­mann­schaft und Bezirks­ob­mann Chri­stoph Lip­pert nah­men auch Pablo Schin­del­mann, Geschäfts­füh­rer der Initia­ti­ve baye­risch-tsche­chi­sche Freund­schafts­wo­chen, Dr. Chri­sti­an Hoyer, Vor­sit­zen­der des Ver­eins Buben­reu­the­um e.V., Ellen See­böck-Cast­ner für den SPD-Orts­ver­ein sowie wei­te­re nam­haf­te Per­sön­lich­kei­ten aus der Regi­on teil.

Als im Früh­jahr des Jah­res die Seli­ger-Gemein­de um Unter­stüt­zung bei der Prä­sen­ta­ti­on ihrer Neu­en Aus­stel­lung und der Publi­ka­ti­on über die Schön­ba­cher Instru­men­ten­bau­er anfrag­te, sag­te die Gemein­de Buben­reuth spon­tan zu. „Wenn nicht in Buben­reuth, wo dann“, war das State­ment von Bür­ger­mei­ster Nor­bert Stumpf zur Fra­ge des Stand­or­tes. Er bedank­te sich bei der Spar­kas­se, die die Räu­me ihrer ehe­ma­li­gen Filia­le am Eichen­platz zur Ver­fü­gung stellt. Eine gute Wahl, wie sich her­aus­stell­te, denn die bun­te Aus­stel­lung kommt in die­sen Räu­men bestens zur Gel­tung. In Ver­tre­tung der SPD-Orts­vor­sit­zen­den Jes­si­ca Braun sprach Ellen See­böck-Cast­ner ein Gruß­wort, denn die Seli­ger-Gemein­de ist die Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on der sude­ten­deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten in der Ersten Tsche­cho­slo­wa­ki­schen Repu­blik und nach ihrem ersten Vor­sit­zen­den Josef Seli­ger benannt. Wie vie­le ande­re SPD-Orts­ver­ei­ne in Bay­ern, Hes­sen und Baden-Würt­tem­berg hat­ten die sude­ten­deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten nach der Ver­trei­bung 1945 auch in Buben­reuth die ört­li­che Arbei­ter­be­we­gung stark auf­ge­frischt. So wur­de der Schön­ba­cher DSAP-Vor­sit­zen­de Johann Lang­ham­mer spä­ter hier Kreis­vor­sit­zen­der der SPD, der AWO und der Seli­ger-Gemein­de. See­böck-Cast­ner schloss ihren Bei­trag ein­ge­denk die­ser Geschich­te mit den Wor­ten: „Vor­wärts – und nicht vergessen“.

„Vor­wärts – und nicht vergessen“

Chri­sta Naaß MdL a.D., die nicht nur als SPD-Bezirks­po­li­ti­ke­rin in Mit­tel­fran­ken bekannt ist, son­dern auch als Prä­si­den­tin der Bun­des­ver­samm­lung der Sude­ten­deut­schen Lands­mann­schaft und als Gene­ral­se­kre­tä­rin des Sude­ten­deut­schen Rates, ver­tritt auch die Seli­ger-Gemein­de im Stif­tungs­rat der Sude­ten­deut­schen Stif­tung und hielt den Fest­vor­trag. Die Red­ne­rin erin­ner­te dar­an, dass die Gemein­de Buben­reuth vor nun­mehr 73 Jah­ren mit der Ansied­lung der aus Schön­bach im Sude­ten­land ver­trie­be­nen Gei­gen­bau­er einen bemer­kens­wer­ten Schritt gegan­gen war. Der Gemein­de­rat beschloss im Herbst 1949 ein­stim­mig, 2000 Schön­ba­cher auf­zu­neh­men, obwohl der land­wirt­schaft­lich gepräg­te Ort Buben­reuth selbst nur 415 Ein­woh­ner hat­te. Ein äußerst huma­ni­tä­rer und zukunfts­wei­sen­der Akt, so Naaß. Buben­reuth ent­wickel­te sich in den Fol­ge­jah­ren zu einem euro­päi­schen Zen­trum des Streich- und Zupf­in­stru­men­ten­baus mit inter­na­tio­na­len Markt­füh­rern. Hoch­wer­ti­ge Gitar­ren und Streich­in­stru­men­te wer­den wei­ter­hin in Buben­reuth in hand­werk­li­cher Mei­ster­ar­beit her­ge­stellt, was auch die ört­li­che Fach­schu­le für Instru­men­ten­bau und der erste Musik­kin­der­gar­ten Euro­pas unter­strei­chen. Die­se ein­drucks­vol­le Geschich­te von Musik und gelun­ge­ner Inte­gra­ti­on spie­ge­le der Muse­ums­ver­ein Buben­reu­the­um e. V. und die leben­di­ge Part­ner­schaft zum böh­mi­schen Schön­bach, dem heu­ti­gen Luby, die 2016 begrün­det wur­de, wie­der, erklär­te die Fest­red­ne­rin. Chri­sta Naaß ver­wies auf die lan­ge Geschich­te der sude­ten­deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten, die ent­stan­den aus der öster­rei­chisch-unga­ri­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie, nach dem Ersten Welt­krieg im neu­en tsche­cho­slo­wa­ki­schen Saat die Rech­te der Min­der­hei­ten ein­for­der­te, aber statt dem Natio­na­lis­mus zu hul­di­gen, die Zusam­men­ar­beit zum Woh­le der deut­schen Min­der­heit such­te. Sie sei bei­spiel­haft dafür, dass zwi­schen­staat­li­che Kon­flik­te nur im fried­li­chen Dia­log und nie­mals im bewaff­ne­ten Krieg aus­ge­tra­gen wer­den müss­ten. Naaß ver­ur­teil­te den rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne und ver­wies auf die Erfah­run­gen nach dem Zwei­ten Welt­krieg. „Wir wis­sen, wie lan­ge es dau­ert, bis aus den Ver­let­zun­gen und der Angst wie­der Ver­trau­en ent­ste­hen kann. Wir wis­sen aber auch, wie wich­tig es ist, Men­schen und Völ­ker wie­der zusam­men zu brin­gen, um den Frie­den zu sichern. Und wir wis­sen nun auch, wie zer­brech­lich die­ser Frie­den immer ist, wenn Des­po­ten ihre Macht miss­brau­chen“, so Chri­sta Naaß. Sie erin­ner­te an die Schrit­te der tsche­chisch- deut­schen Ver­söh­nung und lenk­te den Blick auf die in der Aus­stel­lung vor­ge­stell­ten Per­sön­lich­kei­ten, „die trotz ihrer schick­sals­haf­ten Lebens­we­ge immer das gute Ende im Blick hat­ten“. Naaß über­gab das Wort an Her­bert Schmid, der durch die Aus­stel­lung führte.

„Wir wis­sen, wie wich­tig es ist Men­schen und Völ­ker zusam­men zu bringen“

Schließ­lich stell­te Her­bert Schmid, Mit­glied des Aus­stel­lungs­teams und Ver­tre­ter des Pro­jekt­trä­gers Arbeit und Leben Wei­den, das Kon­zept der Aus­stel­lung vor. Schmid erklär­te den Titel der Aus­stel­lung, der mit dem Topos „Böh­men liegt nicht am Meer“ für Auf­merk­sam­keit sor­gen soll. In Erin­ne­rung an die Meta­pher „Böh­men liegt am Meer“, der von Shake­speares „Win­ter­traum“ bis zur glä­ser­nen Arche im Meer des Böh­mer­wal­des die Sehn­sucht nach dem Meer wider­spie­gelt, hät­ten die Aus­stel­lungs­ma­cher die­sen Titel gewählt, um Auf­merk­sam­keit und Inter­es­se für die Lebens­we­ge der sude­ten­deut­schen Sozialdemokrat_​innen zu wecken. Sein Dank galt abschlie­ßend der Gemein­de Buben­reuth, vor allem Bür­ger­mei­ster Stumpf und Moni­ka Eckert für die Gele­gen­heit zur Dar­stel­lung, den Geld­ge­bern für die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung, den Pro­jekt­part­nern und den Aus­stel­lungs­ma­chern für die gute Zusam­men­ar­beit und schloss mit einem erfri­schen­den „Ahoj, liegt Böh­men viel­leicht doch am Meer?“

Die Aus­stel­lung „Böh­men liegt nicht am Meer“ ist noch bis 31. Juli 2022 täg­lich von 8.30 bis 19 Uhr in der ehe­ma­li­gen Spar­kas­sen­fi­lia­le in der Bir­ken­al­lee 79 in Buben­reuth zu sehen.

Buch­vor­stel­lung: Zwei Ton­quel­len der Welt

Das west­böh­mi­sche Schön­bach (heu­te Luby) war die Hei­mat der Instru­men­ten­ma­cher. Hier wur­den mit bos­ni­schen Höl­zern fein­ste Musik­in­stru­men­te her­ge­stellt, die mit gro­ßem Erfolg auf dem Welt­markt ver­kauft wurden.

Dass der wirt­schaft­li­che Erfolg nicht gleich­be­deu­tend war mit einem guten Leben für die Instru­men­ten­ma­cher im west­böh­mi­sche Schön­bach, doku­men­tiert eine Repor­ta­ge von Wen­zel Jaksch aus dem Jah­re 1928. Die Wege Jakschs und der Instru­men­ten­ma­cher soll­ten sich noch ein­mal kreu­zen, als der erfolg­rei­che SPD-Poli­ti­ker der Gemein­de Buben­reuth einen Besuch abstat­te­te. Hier hat­ten sich die ver­trie­be­nen Schön­ba­cher nach 1945 auf Ein­la­dung der Ein­hei­mi­schen ansie­deln und die Musik­in­stru­men­ten­pro­duk­ti­on wie­der auf­neh­men kön­nen. Gedacht wird auch dem ehe­ma­li­gen Schön­ba­cher DSAP-Vor­sit­zen­den Johann Lang­ham­mer, der spä­ter hier Kreis­vor­sit­zen­der der SPD, der AWO und der Seli­ger-Gemein­de war.

Die vor­lie­gen­de Publi­ka­ti­on erschien mit Unter­stüt­zung der Ernst und Gise­la Paul-Stif­tung und zeich­net die gemein­sa­me Geschich­te von Schön­ba­cher und sude­ten­deut­scher Sozi­al­de­mo­kra­tie nach. Die zwei­spra­chi­ge Publi­ka­ti­on ist zum Preis von 5 Euro (+ Ver­sand­ko­sten) bei der Gemein­de Buben­reuth oder der Seli­ger-Gemein­de zu bezie­hen. Die 5 Euro flie­ßen unge­kürzt in den Son­der­fonds „Ver­brann­te Bücher“ der Ernst und Gise­la Paul-Stif­tung ein.