Dün­ge­mit­tel für die Welt: Uni­ver­si­tät Bay­reuth erforscht Verfahren

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STICK­STOFF­HAL­TI­GE DÜN­GE­MIT­TEL SIND NOT­WEN­DIG, UM DIE ERNÄH­RUNG DER WACH­SEN­DEN WELT­BE­VÖL­KE­RUNG SICHER­ZU­STEL­LEN. DIE NACH­HAL­TI­GE GEWIN­NUNG VON INDU­STRI­ELL VER­WERT­BA­REM STICK­STOFF, INS­BE­SON­DE­RE FÜR DIE DÜN­GE­MIT­TEL­PRO­DUK­TI­ON, STEHT DAHER IM ZEN­TRUM DES SCHWER­PUNKT­PRO­GRAMMS „NIT­RO­CON­VER­SI­ON“ (SPP 2370) DER DEUT­SCHEN FOR­SCHUNGS­GE­MEIN­SCHAFT. KOOR­DI­NA­TOR DES PRO­GRAMMS IST DER BAY­REU­THER PHY­SI­KO­CHE­MI­KER PROF. DR. ROLAND MAR­SCHALL. AN DER UNI­VER­SI­TÄT BAY­REUTH SIND AUCH ZWEI VON ELF FOR­SCHUNGS­PRO­JEK­TEN ANGE­SIE­DELT, WEL­CHE DIE DFG ZUR FÖR­DE­RUNG AUS­GE­WÄHLT HAT. DIE DFG FÖR­DERT DIE BEI­DEN PRO­JEK­TE SOWIE DIE KOOR­DI­NA­TI­ON DES PRO­GRAMMS ZUNÄCHST FÜR DREI JAH­RE MIT INS­GE­SAMT RUND 1,5 MIL­LIO­NEN EURO.

Seit mehr als hun­dert Jah­ren ver­wen­det die che­mi­sche Indu­strie zur Gewin­nung von indu­stri­ell ver­wert­ba­rem Stick­stoff das Haber-Bosch-Ver­fah­ren. Auf die­se Wei­se wer­den jähr­lich rund 180 Mil­lio­nen Ton­nen Ammo­ni­ak (NH₃) syn­the­tisch her­ge­stellt. Sie wer­den für die Pro­duk­ti­on von Dün­ge­mit­teln, aber bei­spiels­wei­se auch von Käl­te­mit­teln oder Kunst­stof­fen ein­ge­setzt. Aller­dings ver­braucht das Ver­fah­ren sehr viel Ener­gie, und die CO₂-Emis­sio­nen sind hoch: Das Ver­fah­ren ver­ur­sacht welt­weit etwa ein Pro­zent des jähr­li­chen Treib­haus­gas­aus­sto­ßes. Des­halb ist das Schwer­punkt­pro­gramm „Nit­ro­con­ver­si­on“ dar­auf aus­ge­rich­tet, grund­le­gend neue Wege für eine nach­hal­ti­ge­re Stick­stoff­ge­win­nung zu erschlie­ßen. Wesent­li­che Aspek­te sind dabei die kli­ma­freund­li­che Nut­zung erneu­er­ba­rer Ener­gien und die Opti­mie­rung der Wert­schöp­fungs­ket­ten. Das Pro­gramm lei­stet damit auch einen Bei­trag zu den Nach­hal­tig­keits­zie­len der Ver­ein­ten Nationen.

Eines der neu­en Pro­jek­te an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth befasst sich mit den Grund­la­gen und der Ent­wick­lung eines neu­en Ver­fah­rens, das eine
effi­zi­en­te, kosten­gün­sti­ge und bedarfs­ori­en­tier­te Ammo­ni­ak­her­stel­lung ermög­licht. Auch Ent­wick­lungs­län­der kön­nen so in die Lage versetzt
wer­den, stick­stoff­hal­ti­ge Dün­ge­mit­tel für nähr­stoff­ar­me Böden zu pro­du­zie­ren. Prof. Dr. Roland Mar­schall koope­riert in die­sem Pro­jekt mit
Prof. Dr. Bar­ba­ra Milow am Insti­tut für Werk­stoff-For­schung am Deut­schen Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt in Köln sowie mit Prof. Dr.
Dirk Zie­gen­balg am Insti­tut für Che­mie­in­ge­nieur­we­sen an der Uni­ver­si­tät Ulm. Bei dem ange­streb­ten Ver­fah­ren geht es dar­um, nano­struk­tu­rier­te Halb­lei­ter (TiO₂-Aero­ge­le) durch Licht­be­strah­lung mit Elek­tro­nen zu laden. Die­se Halb­lei­ter wer­den im Dun­keln mit Stick­stoff­mo­le­kü­len (N₂) ent­la­den, so dass Ammo­ni­ak ent­steht. „Unser Ziel in die­sem Pro­jekt ist eine bedarfs­ge­rech­te Pro­duk­ti­on von Ammo­ni­ak zu jeder Zeit. In wei­te­ren Schrit­ten wol­len wir ein Kon­zept für einen neu­ar­ti­gen Reak­tor ent­wickeln, mit dem die­se On-Demand-Pro­duk­ti­on ohne hohen tech­no­lo­gi­schen Auf­wand dezen­tral statt­fin­den kann. Wäh­rend das Haber-Bosch-Ver­fah­ren auf gro­ße zen­tra­le Indu­strie­an­la­gen ange­wie­sen ist, setzt unser alter­na­ti­ver Weg auf die fle­xi­ble Dün­ge­mit­tel­pro­duk­ti­on vor Ort“, sagt Prof. Dr. Roland Mar­schall, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl Phy­si­ka­li­sche Che­mie III innehat.

Das Schwer­punkt­pro­gramm beschränkt sich aber aus­drück­lich nicht auf neu­ar­ti­ge Wege zur Ammo­ni­ak­syn­the­se. Es setzt bei der grundsätzlichen
Her­aus­for­de­rung an, dass Stick­stoff in der Natur fast nur in Form von N₂-Mole­kü­len vor­kommt. Dar­in sind zwei Stick­stoff­ato­me durch eine
außer­or­dent­lich star­ke Drei­fach­bin­dung gekop­pelt. Die­se Bin­dung muss auf­ge­bro­chen wer­den, damit Stick­stoff für die Pro­duk­ti­on von
Dün­ge­mit­teln und ande­ren All­tags­pro­duk­ten ver­füg­bar wird.

Vor die­sem Hin­ter­grund befasst sich das zwei­te For­schungs­pro­jekt an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth mit einem spe­zi­el­len, aber zen­tra­len Aspekt der
Stick­stoff­ge­win­nung: der kata­ly­ti­schen Reduk­ti­on von N₂. Natür­li­ches Vor­bild sind Enzym­kom­ple­xe, soge­nann­te Nitro­ge­na­sen, die von neuartigen
Kata­ly­sa­tor­ma­te­ria­li­en nach­ge­ahmt und mög­li­cher­wei­se sogar über­trof­fen wer­den sol­len. Die For­schungs­ar­bei­ten zie­len dar­auf ab, geeignete
Elek­tro­den und Elek­tro­lyt-Kom­bi­na­tio­nen zu ent­wickeln, die opti­mal geeig­net sind, die jeweils gewünsch­ten elek­tro- und pho­to­elek­tro­ka­ta­ly­ti­schen Reak­tio­nen in Gang zu set­zen. Die For­schungs­ar­bei­ten bezie­hen auch neue Tech­no­lo­gien des Elektrospinning
ein, um hybri­de Elek­tro­ly­te zu erpro­ben, bei denen ioni­sche Flüs­sig­kei­ten auf und in fase­ri­gen Struk­tu­ren fixiert sind. In die­sem zwei­ten Pro­jekt koope­riert Prof. Dr. Roland Mar­schall mit der Bay­reu­ther Inge­nieur­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Dr.-Ing. Chri­sti­na Roth und mit Prof. Dr. Andrea Bal­duc­ci an der Che­misch-Geo­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena.

„Das Schwer­punkt­pro­gramm mit sei­nen ins­ge­samt elf For­schungs­pro­jek­ten bie­tet die ein­ma­li­ge Chan­ce, in enger mul­ti- und interdisziplinärer
Zusam­men­ar­beit den Vor­aus­set­zun­gen einer nach­hal­ti­gen Stick­stoff­ge­win­nung auf den Grund zu gehen und dafür Kon­zep­te bereit­zu­stel­len, die fle­xi­bel und kosten­gün­stig umge­setzt wer­den kön­nen. Ins­ge­samt sind jetzt 21 Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­ein­rich­tun­gen am SPP 2370 betei­ligt. Wir wer­den dar­auf hin­ar­bei­ten, unter den Aspek­ten des Kli­ma­schut­zes, der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und der Res­sour­cen­scho­nung prak­ti­ka­ble Lösun­gen zu erar­bei­ten, die nicht not­wen­di­ger­wei­se an die hoch­tech­no­lo­gi­schen Vor­aus­set­zun­gen west­li­cher Indu­strie­län­der gebun­den sind. Die aktu­ell dro­hen­de Ernäh­rungs­kri­se infol­ge dra­stisch ver­rin­ger­ter Dün­ge­mit­tel- und Getrei­de-Expor­te zeigt die Dring­lich­keit der Her­aus­for­de­run­gen, die wir jetzt gemein­sam ange­hen wol­len“, sagt SPP-Koor­di­na­tor Prof. Dr. Roland Marschall.