Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 70

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Jim

Ein Ammi will einen Deut­schen ken­nen ler­nen. Jakob mel­det sich und gibt sei­ne Adres­se an. Der Sol­dat Jim Arnold ist oben auf dem Flug­platz ein­ge­setzt. Noch heu­te wird er nach dem Dienst vor­bei kom­men, heißt es. Im eige­nen Wagen.

Immer wie­der lehnt sich Jakob aus dem Fen­ster, hält Aus­schau nach einem ver­chrom­ten Ammi-Schlit­ten. Mal in so einem Cadil­lac, Buick oder Che­vro­let mit­fah­ren. Einer, bei dem das Dach mit Knopf­druck auf und zu geht. Durch Moh­ren­stra­ße und Spi­tal­gas­se im Schritt. Ein paar Mal um den Markt kur­ven. Den Arm läs­sig aus dem Bei­fah­rer­fen­ster hän­gen las­sen. An einer Bude stop­pen und Brat­wurst essen. Sich dabei vor den Leu­ten auf Eng­lisch unter­hal­ten. Der müss­te natür­lich Uni­form tragen.

Käp­pi mit stark gewölb­tem Schild, Army­hemd in oliv mit Namens­schild und Dienst­rang, hohe Schnürstiefel.

Es läu­tet. Der Ammi ist da.

Es fraut mick, ihra Bekann­schaff ßu maken, hat er sich eingeübt.

Er ist nicht drah­tig und sport­lich. Unter­setzt, Bril­len­trä­ger, Haar­schnitt wie der Hit­ler, sogar schwar­zer Schnau­zer. Kei­ne Uni­form, son­dern aus­ge­beul­te Hosen mit Auf­schlag, ärmel­lo­ser Pull­over, Hawaii­blu­men­hemd und schwar­ze Halb­schu­he. Einen gan­zen Kopf klei­ner. Er ist kein Ammi zum Angeben.

Whe­re did you park your car?

Right in front of your hou­se. It’s a Volkswagen.

Ein Blick aus dem Fen­ster. Da unten steht wirk­lich bloß ein kacke­brau­ner Käfer. Aus der Traum vom Her­um­fah­ren im Chrom­blit­zer. Even­tu­ell könn­te man zumin­dest an ein Paar gebrauch­te Levis kommen.

Sie stei­gen ein. Auf der Rück­bank liegt die Uni­form. Im hin­te­ren Fuß­raum sei­ne Schnür­stie­fel. Es geht hin­aus nach Neuses.

Er will ihm sein ren­tal apart­ment zei­gen. Ein schie­fer­ge­deck­tes Häus­chen. Zim­mer mit Klo.

Scotch or Bourbon?

Das Wort Scotch kommt ihm bekannt vor. Also Scotch. Das Zeug schmeckt gräss­lich. Kunst­bän­de im win­zi­gen Bücherregal.

Er ist inte­re­sted in art. Vor drei Jah­ren hat er das High-School Diplo­ma gemacht. Das gerahm­te Jahr­gangs­fo­to. Unter­ho­se, TShirt und abge­streif­te Socken in Army-Oliv auf dem unge­mach­ten Bett. Er will Ger­man Art ken­nen lernen.

Let’s start with Baroque.

Jakob diri­giert ihn über Lich­ten­fels nach Vier­zehn­hei­li­gen. Jakob sagt etwas von seven­te­enth cen­tu­ry und abso­lu­tism. Der Jim nickt, scheint beein­druckt. Decken­ge­mäl­de über­fliegt er unbeteiligt.

Die Kam­mer mit Votiv­ta­feln, wäch­ser­nen Armen und Bei­nen, zurück gelas­se­nen Krücken. Hier bleibt er am läng­sten, lässt sich die Wid­mun­gen der Bil­der und Dank­sa­gun­gen im Gäste­buch über­set­zen. Das Metz­gerskind fällt in den Brüh­trog und wird geret­tet. Der Ehe­mann und Vater kehrt nach zehn Jah­ren aus rus­si­scher Gefan­gen­schaft zurück. Die Vier­zehn Hei­li­gen haben geholfen.

*

Auf der Rück­fahrt hält er am Wald­rand an. Uni­form anziehen.

Der Com­man­der hat es nicht gern, wenn sei­ne GI’s das Kaser­nen­ge­län­de als civi­li­ans betre­ten. A fri­end of mine, sagt der Jim Arnold zum Dienst­ha­ben­den in der Baracke am Check­point und deu­tet auf Jakob. Der wird rot. Sie dür­fen pas­sie­ren. In der Can­teen schleppt Jim Tüten mit Ham­bur­gern, Dough­nuts und But­ter­coo­kies an. Gold­gel­ber Cali­for­ni­an Oran­ge Juice rinnt aus der Liter­do­se in die Papp­be­cher. Sie kau­en, trin­ken, schwei­gen sich an. A fri­end of mine. Zu jedem GI sagt er das, der an ihrem Tisch vor­bei geht. Kei­ner ant­wor­tet ihm. Freun­de scheint er hier nicht zu haben. Jakob will ihn von die­ser Nie­der­la­ge ablen­ken und sagt, dass es hier für ihn very inte­re­st­ing ist und wie gut das alles geschmeckt hat. Ande­re Ammis wir­ken in der Uni­form schnei­dig und durch­trai­niert. Beim Jim sieht es aus, als habe er sich damit nur ver­klei­det. Sie gehen.

*

Die Mama hat gesagt, er soll den Jim einladen.

An Hei­lig­abend hockt der doch sonst ein­sam in sei­ner Bude.

Um sechs Uhr gibt es Abend­essen. Knack­wür­ste vom Platsch und Kar­tof­fel­sa­lat. So was muss jedem schmecken.

Einen ver­chrom­ten Patent­kor­ken­zie­her hat sie sich als Geschenk aus­ge­dacht. Weil der doch Whis­ky trinkt. Jakob soll ihm das Ding im Namen der Fami­lie über­rei­chen. Man darf sich doch nicht lum­pen las­sen. Sie erin­nert an Schul­spei­sung und CAREPakete.

*

Der VW ist da. Unter der Neon­peit­sche kann er sehen, wie der Jim Arnold Päck­chen aus sei­nem Käfer holt, sie auf das Auto­dach sta­pelt. Jakob hält ihm die Haus­tür auf und hört den Jim Mer­ry Christ­mas sagen. Die Mama an der Wohnungstür.

Aber Jim, das wäre doch nicht nötig gewesen.

Not­hing to speak of, nuschelt er ver­le­gen zurück.

Nein wirk­lich, Jim. Dass Sie sich wegen uns so in Unko­sten gestürzt haben.

Jakob sieht der Besche­rung mit dump­fer Angst ent­ge­gen. Mit einem Kor­ken­zie­her im Kar­tön­chen soll er gegen den ame­ri­ka­ni­schen Geschenk­pa­ket­rie­sen antre­ten. Die Mama zer­streut sei­ne Beden­ken, meint, dass der sol­che Knack­wür­ste noch nie geges­sen hat. Von ihrem Kar­tof­fel­sa­lat ganz zu schwei­gen. Sie hat Recht. Auf Jim Arnolds Tel­ler türmt sich ein Berg davon. Sei­ne Gabel gabelt sich der Rei­he nach sechs Knacker aus der Brühe.

Ihm glän­zen die Mundwinkel.

*

Alle sind in die Küche ver­bannt wor­den. Das Christ­kind braucht Zeit zum Auf­stel­len der Geschen­ke, zum Anzün­den der Christbaumkerzen.

Jakob kramt im Bücher­re­gal. Ihm ist eine Idee gekom­men, wie er die Demü­ti­gung beim Über­rei­chen des Kor­ken­zie­hers von sich abwen­den könn­te. Die klei­ne schwar­ze Bibel sucht er. Holy Bible in Gold­schrift auf dem Buch­rücken. Die­ser ame­ri­ka­ni­sche Mis­sio­nar hat­te sie ihm vor ein paar Jah­ren auf der Bahn­hof­stra­ße in die Hand gedrückt. Ein freund­li­cher Mann.

Kurz­haar­schnitt, dun­kel­blau­er Anzug, wein­ro­te Krawatte.

You are sear­ching for peace of mind? You’ll find it in the words of the Lord. Some­day you’­re gon­na need it.

Dann war er wei­ter gegan­gen. Hat­te ihn bedep­pert ste­hen lassen.

Was soll­te er denn als Vier­zehn­jäh­ri­ger mit einer Bibel?

Mamas Mes­sing­glöck­chen.

Jetzt bloß nicht gie­rig nach Geschen­ken schie­len oder gar suchen.

Zuerst kommt das Weih­nachts­evan­ge­li­um. Das war schon immer so. Seit dem letz­ten Jahr sei­ne Auf­ga­be. Weil er so eine deut­li­che Aus­spra­che hat, begrün­det die Mama das. Der gewohn­te Tisch­kreis. Holy Bible und Neu­es Testa­ment mit Lesezeichen.

Satz für Satz will er abwech­selnd aus bei­den vorlesen.

Der Jim Arnold muss davon so beein­druckt sein, dass ihm die­ses Zwer­gen­ge­schenk eines küm­mer­li­chen Kor­ken­zie­hers nichts mehr ausmacht.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kai­ser Augu­stus aus­ging, dass alle Welt gezählt würde.

And it came to pass in tho­se days, that the­re went out a decree from Cae­sar Augu­stus, that all the world should be taxed.

Er mimt Ammi-Aus­spra­che und Tonfall.

Die Mama lächelt ihren Jüng­sten stolz von der Sei­te her an, blickt dem ame­ri­ka­ni­schen Gast for­schend ins Gesicht. Selt­sam klingt das Evan­ge­li­um in Eng­lisch. Gar nicht fromm. Ganz modern.

Wie die Nach­rich­ten vom AFN.

Und sie gebar ihren erst­ge­bo­re­nen Sohn, wickel­te ihn in Win­deln und leg­te ihn in eine Krip­pe. Denn in der Her­ber­ge war kein Platz für sie.

And she brought forth her first­born son, and wrap­ped him in swaddling-clo­thes, and laid him in a man­ger; becau­se the­re was no room for them in the inn.

Das mit den Hir­ten und Engeln schenkt er sich. Dem Gesicht vom Jim Arnold ist nichts anzu­mer­ken. Die Geschen­ke. Jakob muss es hin­ter sich brin­gen. Schnell und unauf­fäl­lig wird der Patent­kor­ken­zie­her an Jim über­reicht. Einen bon­bon­far­be­nen Wand­be­hang mit Fran­sen holt die Mama aus dem ame­ri­ka­ni­schen Paket. Sie fal­tet ihn auf. Die Nia­ga­ra­fäl­le sind aufgedruckt.

Sie hält ihn pro­vi­so­risch über die Leh­ne der Klapp­couch, sagt Thank you. Jakob soll auf Eng­lisch Sehr geschmack­voll dol­met­schen. Ammi-Rasier­was­ser Old Spi­ce für das Fami­li­en­ober­haupt. Er ver­reibt es auf dem kah­len Schädel.

Das kühlt so schön. Für die Brü­der eine Lang­spiel­plat­te von Folk­sän­ger Burl Ives. Am Brun­nen vor dem Tore und Kein schö­ner Land in die­ser Zeit sind lang­wei­li­ge Scheiße.

Der Jim Arnold schaut auf sei­ne Army-Uhr. Das eng­li­sche Evan­ge­li­um scheint ihn doch nicht so recht über­zeugt zu haben.

Da hat man den letz­ten Cent vom Sold ins Bam­ber­ger PX geschleppt, und die ver­damm­ten Ger­mans schen­ken mir einen beschis­se­nen Kor­ken­zie­her, wird er sich denken.

Jakob muss noch ein­mal nach­le­gen, muss die Geschen­ke­lücke end­gül­tig schlie­ßen. Es geht um sei­ne Ehre, die Ehre der Fami­lie Kott­ke und um die Ehre von ganz Deutschland.

Er muss dem Ammi die schwar­ze Holy Bible mit dem gol­de­nen Auf­druck schen­ken. Damals mit vier­zehn hat­te er damit nichts anfan­gen kön­nen. Inzwi­schen war sie ihm aber zu einem wert­vol­len Besitz gewor­den. Eine ech­te Rari­tät. Sogar der Dschen­ne­räll auf dem Alber­ti­num hat­te sich die Bibel mit ins Leh­rer­zim­mer genom­men, um sie einem ande­ren Kol­le­gen zu zeigen.

Jakob kennt kei­nen Deut­schen, der eine ori­gi­nal ame­ri­ka­ni­sche Bibel besitzt. Der Ammi-Mis­sio­nar hat­te doch damals gesagt, dass er sie eines Tages noch brau­chen wird. Das ist also die­ser Tag, den er gemeint hat. Es muss­te sein.

Thanks a lot.

Unter sei­nem ame­ri­ka­ni­schen Dau­men rasen die zwei­hun­dert­sie­ben­und­sech­zig Bibel­sei­ten hindurch.

Any colour pictures?

Er legt das Buch auf den Tisch.

Time to go. Nice evening. Ger­man christ­mas nice experience.

Jakob beglei­tet ihn zum VW.

Bet­ter get my exhaust fixed, knurrt er durch sein gekur­bel­tes Fen­ster und knat­tert mit dem Loch im Aus­puff davon. Die Holy Bible ist auf dem Ess­tisch lie­gen geblieben.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839