Nano­pla­stik­teil­chen suchen Anschluss: Bay­reu­ther Forscher*innen ana­ly­sie­ren Poly­ethy­len-Abbau in der Umwelt

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Welt­weit besteht fast ein Drit­tel der Kunst­stoff­ab­fäl­le aus Poly­ethy­len, einem preis­wer­ten und leicht zu ver­ar­bei­ten­den Kunst­stoff. Ein inter­dis­zi­pli­nä­res Team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth hat erst­mals den fort­schrei­ten­den Abbau von Poly­ethy­len in der Umwelt erforscht. Die­ser Pro­zess führt zu einer Frag­men­tie­rung in immer klei­ne­re Par­ti­kel. Den­noch sind ver­ein­zel­te Nano­pla­stik­teil­chen kaum in der Umwelt zu fin­den. Der Grund: Die­se Zer­falls­pro­duk­te blei­ben nicht gern allein. Sie hän­gen sich rasch an grö­ße­re kol­lo­ida­le Syste­me an, die in der Umwelt natür­li­cher­wei­se vor­kom­men. In der Zeit­schrift „Sci­ence of the Total Envi­ron­ment“ stel­len die Forscher*innen ihre Ergeb­nis­se vor.

Poly­ethy­len ist ein Kunst­stoff, der in ver­schie­de­nen mole­ku­la­ren Struk­tu­ren vor­kommt. Poly­ethy­len nied­ri­ger Dich­te (low-den­si­ty poly­ethy­lene, LDPE) wird häu­fig für Ver­packun­gen all­täg­li­cher Kon­sum­gü­ter, bei­spiels­wei­se im Lebens­mit­tel­be­reich, ver­wen­det und ist infol­ge der stei­gen­den Nach­fra­ge einer der am häu­fig­sten vor­kom­men­den Poly­me­re welt­weit. Bis­lang gab es nur Schät­zun­gen dar­über, wie die­ser weit ver­brei­te­te Kunst­stoff abge­baut wird, nach­dem er als Abfall in die Umwelt gelangt ist. Ein For­schungs­team des Son­der­for­schungs­be­reichs „Mikro­pla­stik“ an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist die­ser Fra­ge jetzt erst­mals syste­ma­tisch nach­ge­gan­gen. Die Wissenschaftler*innen haben dafür eine neu­ar­ti­ge, tech­nisch anspruchs­vol­le Ver­suchs­an­ord­nung ent­wickelt. Die­se ermög­licht es, zwei bekann­te und in der Umwelt mit­ein­an­der ver­knüpf­te Pro­zes­se des Kunst­stoff­ab­baus unab­hän­gig von­ein­an­der im Labor zu simu­lie­ren: die Pho­to­oxi­da­ti­on, bei der sich die lan­gen Poly­ethy­len-Ket­ten unter Licht­ein­fluss schritt­wei­se in klei­ne­re, poten­zi­ell was­ser­lös­li­che­re Mole­kü­le auf­spal­ten, und die zuneh­men­de Frag­men­tie­rung durch mecha­ni­sche Bean­spru­chung. Auf die­ser Basis war es mög­lich, detail­lier­te Ein­blicke in die kom­ple­xen phy­si­ka­li­schen und che­mi­schen Pro­zes­se des Abbaus von LDPE zu gewinnen.

Für Unter­su­chun­gen, die sich mit den mög­li­chen Aus­wir­kun­gen der Umwelt­be­la­stung durch Poly­ethy­len befas­sen, ist vor allem das letz­te Sta­di­um des LDPE-Abbaus von gro­ßem Inter­es­se. Wie die Forscher*innen her­aus­ge­fun­den haben, endet die­ser Abbau nicht bei der Zer­set­zung des in die Umwelt gelang­ten Ver­packungs­ma­te­ri­als in vie­le Mikro- und Nano­pla­stik-Par­ti­kel, die einen hohen Kri­stal­li­ni­täts­grad auf­wei­sen. Denn die­se win­zi­gen Par­ti­kel haben eine star­ke Nei­gung zur Aggre­ga­ti­on: Sie hän­gen sich rasch an grö­ße­re kol­lo­ida­le Syste­me an, die aus orga­ni­schen oder anor­ga­ni­schen Mole­kü­len bestehen und Teil des Stoff­kreis­laufs in der Umwelt sind. Bei­spie­le für sol­che kol­lo­ida­len Syste­me sind Ton­mi­ne­ra­le, Humin­säu­ren, Poly­sa­cha­ri­de oder auch bio­lo­gi­sche Par­ti­kel aus Bak­te­ri­en und Pil­zen. „Die­ser Pro­zess der Aggre­ga­ti­on ver­hin­dert, dass ein­zel­ne, durch Poly­ethy­len-Abbau ent­stan­de­ne Nano­par­ti­kel frei in der Umwelt ver­füg­bar sind und mit Tie­ren und Pflan­zen wech­sel­wir­ken. Aber das bedeu­tet kei­ne Ent­war­nung. Grö­ße­re Aggre­ga­te, die am Stoff­kreis­lauf in der Umwelt teil­ha­ben und Nano­pla­stik ent­hal­ten, wer­den oft von leben­den Orga­nis­men auf­ge­nom­men. So kann Nano­pla­stik schließ­lich in die Nah­rungs­ket­te gelan­gen“, sagt Tere­sa Men­zel, eine der drei Erst­au­torin­nen der neu­en Stu­die und Dok­to­ran­din im Bereich Poly­me­re Werkstoffe.

Für die Iden­ti­fi­zie­rung der Abbau­pro­duk­te, die beim Zer­fall von Poly­ethy­len ent­ste­hen, nutz­ten die Forscher*innen eine Metho­de, die bis­her in der Mikro­pla­stik-For­schung nicht sehr häu­fig ver­wen­det wur­de: die Kreuz­po­la­ri­sa­ti­on mit mul­ti­CP-Sequen­zen bei der Fest­kör­per-NMR-Spek­tro­sko­pie. „Die­ses Ver­fah­ren ermög­licht uns sogar eine Quan­ti­fi­zie­rung der Abbau­pro­duk­te, die durch die Pho­to­oxi­da­ti­on ent­ste­hen“, sagt Mit­au­torin Anika Mau­el, Dok­to­ran­din im Bereich Anor­ga­ni­sche Chemie.

Die Bay­reu­ther Forscher*innen haben dar­über hin­aus ent­deckt, dass der Abbau und Zer­fall von Poly­ethy­len auch zur Ent­ste­hung von Per­oxi­den führt. „Per­oxi­de ste­hen seit lan­gem im Ver­dacht, dass sie zyto­to­xisch sind, also eine gif­ti­ge Wir­kung auf leben­de Zel­len haben. Auch in die­ser Hin­sicht stellt die Degra­da­ti­on von LDPE eine poten­zi­el­le Bedro­hung für natür­li­che Öko­sy­ste­me dar. Die­se Zusam­men­hän­ge müs­sen künf­tig noch genau­er unter­sucht wer­den“, ergänzt Mit­au­torin Nora Mei­des, Dok­to­ran­din im Bereich Makro­mo­le­ku­la­re Chemie.

Die detail­lier­te Ana­ly­se der am Abbau von Poly­ethy­len betei­lig­ten che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Pro­zes­se wäre nicht mög­lich gewe­sen ohne die inter­dis­zi­pli­nä­re Ver­net­zung und den koor­di­nier­ten Ein­satz modern­ster For­schungs­tech­no­lo­gien auf dem Bay­reu­ther Cam­pus. Dazu zäh­len ins­be­son­de­re die Raster­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pie (SEM), die ener­gie­di­sper­si­ve Rönt­gen­spek­tro­sko­pie (EDS), die Rönt­gen­dif­f­rak­to­me­trie (XRD), die NMR-Spek­tro­sko­pie, die Fou­rier-Trans­for­ma­ti­ons-Infra­rot­spek­tro­sko­pie (FTIR) und die Dif­fe­ren­ti­al-Scan­ning-Kalo­ri­me­trie (DSC).