Zet­tels Refle­xio­nen: Normalität

Peter Zettel
Peter Zettel

Was ist eigent­lich „nor­mal“? Und ist es erstre­bens­wert, „nor­mal“ zu sein, also so, wie alle ande­ren auch? Ich habe kein Pro­blem damit, dass ich als männ­li­ches Wesen kei­ne Röcke tra­ge son­dern eben Hosen, wie die mei­sten auch. Und ich habe auch kein Pro­blem damit, mich an Ver­kehrs­re­geln zu hal­ten. Obwohl, das ist mitt­ler­wei­le viel­fach nicht mehr so ganz normal.

Nur es gibt auch Berei­che, wo ich wirk­lich nicht nor­mal sein will. Etwa im Gebrauch der Struk­tu­ren, mit denen vie­le ihr Den­ken orga­ni­sie­ren – eben nor­ma­ler­wei­se. Als ich noch als Anwalt tätig war, habe ich mir nie Gedan­ken dar­über gemacht, mit wel­chem Impe­ra­tiv ich gear­bei­tet habe bezie­hungs­wei­se, was „das“Recht für mich war: Ein ethi­schen oder eine erkennt­nis­theo­re­ti­scher Impe­ra­tiv? Und wenn ich mir dar­über Gedan­ken gemacht hät­te, hät­te ich gemerkt, wenn ich wie viel­leicht die mei­sten Juri­sten bei­de Begrif­fe ver­tauscht hätte?

Ein Jurist emp­fin­det nor­ma­ler­wei­se sei­ne Affi­ni­tät zum Recht als ethi­schen Impe­ra­tiv, weil es die gesell­schaft­li­che Wirk­lich­keit wei­test­ge­hend betrifft, damit die Gesell­schaft Struk­tu­ren und Regeln erhält und dadurch funk­ti­ons­fä­hig ist respek­ti­ve bleibt. Emp­fun­den wird die­se Affi­ni­tät als ethi­scher Impe­ra­tiv, gelebt jedoch als erkennt­nis­theo­re­ti­scher Impe­ra­tiv. Also normalerweise.

Wenn ich so dar­über nach­den­ke, war ich erfreu­li­cher Wei­se als Anwalt nicht nor­mal, denn dass das kodier­te Recht die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Gesell­schaft gewähr­lei­stet, habe ich schon immer für Unsinn gehal­ten. Was ich mitt­ler­wei­le für selbst­ver­ständ­lich hal­te, ist für mög­li­cher­wei­se für vie­le Men­schen alles ande­re als nor­mal. Oder das, was Nietz­sche im „Zara­thu­stra“ sagt:

„Wo mei­ne Red­lich­keit auf­hört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wis­sen will, will ich auch red­lich sein, näm­lich hart, eng, grau­sam, unerbittlich.“

Oder, wie es der Phi­lo­soph Tho­mas Met­zin­ger, in sei­nem Auf­satz Spi­ri­tua­li­tät und intel­lek­tu­el­le Red­lich­keit sagt:

„Beim Den­ken geht es nicht um schö­ne Gefüh­le. Es geht um die best­mög­li­che Über­ein­stim­mung zwi­schen Wis­sen und Mei­nung; es geht dar­um, nur evi­denz­ba­sier­te Über­zeu­gun­gen zu haben und dar­um, dass Kogni­ti­on nicht emo­tio­na­len Bedürf­nis­sen dient.“

Und sagt nicht Dürer in sei­nem Ver­ständ­nis von Kunst das Glei­che? Kunst sagt er, ist gewal­tig, und daher ist der Künst­ler gewalt­tä­tig, indem er den Men­schen sei­ne Kunst zumutet.

Nur, dass wir die Bild­kunst leich­ter aus­blen­den kön­nen, dazu nicht Stel­lung neh­men müs­sen, wie in einem Gespräch. Die inter­es­san­te Fra­ge ist, ob Nietz­sche, Met­zin­ger oder auch Dürer „nor­mal“ wie ihre Mit­men­schen gedacht haben.

Ich den­ke näm­lich, dass sie das nicht haben. Die Fra­ge aber bleibt: Ist Red­lich­keit im Sin­ne von Nietz­sche hart, eng, gar grau­sam und uner­bitt­lich? Aber wie sagt Met­zin­ger? „Beim Den­ken geht es nicht um schö­ne Gefüh­le. Es geht um die best­mög­li­che Über­ein­stim­mung zwi­schen Wis­sen und Mei­nung; es geht dar­um, nur evi­denz­ba­sier­te Über­zeu­gun­gen zu haben und dar­um, dass Kogni­ti­on nicht emo­tio­na­len Bedürf­nis­sen dient.“

Das kann ganz schön hart sein, jeden­falls für die, die an oder in ihren Emo­tio­nen festhängen.


Peter Zet­tel

ist pen­sio­nier­ter Anwalt. Seit ein paar Jah­ren ist er begei­ster­ter Motor­rad­fah­rer – sein per­sön­li­cher Weg der Selbst­er­kennt­nis. Er inter­es­siert sich für das, was die Welt bewegt und schreibt dar­über in sei­nem Blog zet​tel​.biz.

Alle bis­her im Wie­sent­bo­ten erschie­nen „Zet­tels Refle­xio­nen