Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 64

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Der Foto­graf

Der Agnes aus der Unter­pri­ma hät­te Jakob lie­ber nichts von sei­ner Lie­be zu Kat­zen erzäh­len sol­len. Denn schon am näch­sten Tag bringt sie ihm ein Kater­chen mit. Gefleckt und rosa Nase.

Das zutrau­li­che Ding wan­dert vor dem Unter­richt von Arm zu Arm. Schnurrt, beleckt mit sei­ner Sand­pa­pier­zun­ge Hand­flä­chen und Fin­ger­spit­zen. Die Wache am Spalt der Klas­sen­zim­mer­tür ver­kün­det ER KOMMT. Jakob steckt sich das Kater­chen unters Hemd. Der Wol­ken­hau­er mit der dün­nen Recla­maus­ga­be des Faust in der Hand. Gelang­weil­tes und unbe­tei­lig­tes Lesen mit ver­teil­ten Rol­len. Was der Dich­ter­fürst wohl mit dem und dem gemeint haben könn­te, will er zwi­schen­durch wis­sen. Als Jakob Pas­sa­gen des Mephi­sto liest, da drängt das Kater­chen zum Aus­guck ober­halb des letz­ten Hem­den­knopfs. Nadel­spit­ze Krallen.

Der Wol­ken­hau­er bekommt das plötz­li­che Stot­tern mit, blickt kurz auf und sieht den Kopf vom Kater­chen. Kein Don­ner­wet­ter. Auch kei­ne Ver­ban­nung aus dem Klas­sen­zim­mer. Viel­mehr leicht ver­gnüg­tes Schmun­zeln. Er habe nicht gewusst, dass der neue Mit­schü­ler aus­ge­spro­che­ne Ammen­qua­li­tä­ten hat. Nach der Pau­se scheint sich das Kater­chen im Leh­rer­zim­mer her­um­ge­spro­chen zu haben. Der Dschen­ne­räll lässt sogar ein eng­li­sches Sprich­wort über Kat­zen vom Sta­pel. Und der Mathe–Spindler lässt sich sogar die Hand beschnuppern.

*

Oben am Berg in der Sozi­al­bau­sied­lung Kat­zen und Hun­de laut Miet­ver­trag uner­wünscht. Ein Schüs­sel­chen Gries­brei und eine bei­na­he voll gekack­te Klapp­couch. Von dem Ein­bür­ge­rungs­ge­dan­ken Abschied neh­men. Jakob steckt das Kater­chen in einen hand­ge­strick­ten Skisocken, steigt auf sein Rad und lässt sich den Sied­lungs­hang hin­ab­rol­len. Es soll eine Lie­bes­ga­be an sei­ne Freun­din werden.

Wie üblich fährt er über den Schloss­platz. Ein in der adels­be­wuss­ten Stadt pro­le­ten­haf­tes, auch offi­zi­ell unter­sag­tes Ver­kehrs­ver­hal­ten. Ein­fach an der Ach­tung gebie­ten­den Ehren­burg, der ehr­wür­di­gen Bron­ze­sta­tue von Her­zog Ernst I, den statt­li­chen Arka­den, der vor­neh­men Tem­pel­front des Lan­des­thea­ters vor­bei zu stram­peln. Dem Foto­gra­fen einer der bei­den Stadt­zei­tun­gen ist der drei­ste Rad­fah­rer schon seit Wochen ein Dorn im Auge, wenn er ihn von sei­nem Wohn­zim­mer­fen­ster aus erspä­hen muss. Von Halb­star­ken und das Hand­werk legen hat er der Ehe­frau erzählt, sei­ne Lei­ca zu die­sem Zweck schon bereit­ge­legt, ihr sogar den Blitz­licht­re­flek­tor mit dem Magne­si­um­birn­chen auf­ge­steckt. Er nimmt sei­ne Waf­fe, ent­si­chert sie und geht dem Übel­tä­ter ent­ge­gen. Die foto­gra­fi­sche Beu­te ist für ihn heu­te beson­ders loh­nend und abschuss­reif. Zur täg­li­chen ille­ga­len Platz­über­que­rung heu­te erschwe­rend das Hal­ten eines Gegen­stands in der Hand, das dar­aus sich zwangs­läu­fig erge­ben­de ein­hän­di­ge Fah­ren und eine damit ver­bun­de­ne Unfä­hig­keit zur Betä­ti­gung der Handbremse.

In einer Mischung aus Belu­sti­gung und Ver­wun­de­rung blickt Jakob den stadt­be­kann­ten Pres­se­mann in sei­ner schuss­be­rei­ten Hal­tung an. Der Blitz am hell­lich­ten Tag. Rosa Punk­te, dann Strei­fen vor den Augen.

*

Das Kater­chen fin­det bei der Freun­din im Kano­nen­weg begei­ster­te Auf­nah­me, erhält wegen sei­ner drol­li­gen Über­schlä­ge auf dem Web­tep­pich den Namen Pur­zel. Rücken­tei­le und Arm­leh­nen der Pol­ster­ses­sel sind in kür­ze­ster Zeit in bejam­merns­wer­tem Zustand. Zum Aus­gleich lernt er in eben­so kur­zer Zeit, gro­ße und klei­ne Geschäf­te direkt ins Klo­becken zu verrichten.

*

Zwei Wochen ver­ge­hen. Er soll wie­der ein­mal auf den Juden­berg gehen. Der Tan­te Holz hacken. Als es mit sei­nem Rad ohne Gang­schal­tung nicht mehr wei­ter­geht, steigt Jakob ab. Ein 2dunkelblauer VW der Stadt­po­li­zei häm­mert lang­sam an ihm vor­bei, bleibt mit lau­fen­dem Motor ste­hen. Eine Uni­form­hand reckt sich auf der Bei­fah­rer­sei­te, hält ihm ein Schwarz­weiß­fo­to ent­ge­gen. Das gemüt­li­che Gesicht hat die Uni­form­müt­ze abge­setzt und fragt ihn, ob er das sei. Was soll er sagen? Hat er doch das­sel­be wei­ße Kurz­arm­hemd an, trägt die­sel­be dunk­le, lan­ge Hose und auch sol­che Gesund­heits­lat­schen. Und schiebt auch noch die­ses lam­pen­lo­se Tou­ren­rad mit dem VATER­LAND– Rah­men. Schutz­ble­che mit schwar­zer Ölfar­be gestri­chen. Die Fel­gen mit Ofen­rohr­bron­ze ein­ge­sil­bert. Am vor­de­ren Schutz­blech der nach­träg­lich ange­schraub­te Alu­mi­ni­um­pan­ther. Und dann auch noch sein Ami­haar­schnitt. Leug­nen sinnlos.

Notiz­block. Name und Adres­se. Sogar Schu­le und Klas­se. Die sind nicht blöd. Die Erwach­se­nen schei­nen ihm alle irgend­wie zusam­men zu hal­ten. Sind mäch­ti­ger. Um fünf­zehn Uhr Stadt­po­li­zei Zim­mer 14. Bei Haupt­wacht­mei­ster Eisen­traut melden.

Fünf Mark gebüh­ren­pflich­ti­ge Verwarnung.

Zwei Mona­te Taschen­geld. Er wird sei­ne Mut­ter wie­der ein­mal beklau­en müssen.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839