Zet­tels Refle­xio­nen: Ohnmacht

Peter Zettel
Peter Zettel

Das aktu­ell (04.03.22) ange­mes­se­ne Gefühl. Wenn ich ehr­lich zu mir selbst bin weiß ich, dass ich außer huma­ni­tä­rer Hil­fe nichts wirk­lich tun kann. Weder habe ich einen Zugang zu den Kon­tra­hen­ten des Kon­flikts, noch habe ich die Mög­lich­keit, in die Gescheh­nis­se einzugreifen.

Die hat nicht ein­mal ein Poli­ti­ker, der könn­te nur ande­re in den Kon­flikt schicken. Und mir Putin spre­chen? Wohl nicht. Das ist schwer zu akzep­tie­ren, aber das muss ich, will ich die aktu­el­le Situa­ti­on für mich nicht ver­leug­nen. Wenn ich die näm­lich ver­leug­ne, lau­fe ich Gefahr, das, was ich tat­säch­lich nicht tun kann, demon­stra­tiv durch Wor­te zu ersetzen.

Doch Wor­te sind nicht harm­los, denn sie wir­ken in mei­nem Den­ken und im Den­ken der­je­ni­gen, die sie hören und lesen. Wir erle­ben das auf einem ande­ren Gebiet immer wie­der: Dem Fuß­ball. Da sit­zen lau­ter Exper­ten vor dem Fern­se­her, wis­sen genau Bescheid, was zu tun wäre und regen sich fürch­ter­lich auf, wenn nicht pas­siert, was sie sich erhoffen.

Und genau das pas­siert viel­fach in den Social Media. Doch anders als beim Fuß­ball wirkt das unmit­tel­ba­rer. Ein Fuß­ball­trai­ner wird sich von dem Fern­seh­pu­bli­kum nicht beein­drucken las­sen, aber die Poli­tik schon. Poli­tik fin­det mitt­ler­wei­le ja öffent­lich in soge­nann­ten Talk­shows statt. Und da sagt man dann doch eher das, was erwar­tet wird und nicht das, was man sel­ber denkt. Und exakt da spielt dann die Stim­mung in der Bevöl­ke­rung eine Rolle.

Also muss ich mir wohl über­le­gen, was ich sage und wel­che Reak­tio­nen das her­vor­ruft. Möch­te ich wirk­lich, dass öffent­lich über ABC Waf­fen oder den Ein­satz von Atom­bom­ben dis­ku­tiert wird? Ist uns nicht bewusst, dass das Bewusst­sein in der Welt eins ist, wie Erwin Schrö­din­ger es fest­ge­stellt hat? Und dass wir die Wirk­lich­keit nicht sehen, wie sie tat­säch­lich ist? Das sag­te übri­gens Ein­stein. Müs­sen wir nicht erst ein­mal das in unse­re Köp­fe bekom­men und end­lich die Frag­men­tie­rung im Den­ken über­win­den, wie es uns David Bohm ans Herz legt?

Bil­den wir uns wirk­lich ein, wir sei­en schlau­er als die­se wirk­li­chen Exper­ten? Müss­ten wir uns nicht erst ein­mal damit beschäf­ti­gen, bevor wir han­deln? Denn wir kön­nen defi­ni­tiv etwas tun, aber nicht mit Wor­ten, son­dern in Gedan­ken. Wir kön­nen uns Frie­den vor­stel­len und die­se Frie­dens­ge­dan­ken brau­chen wir nicht in die Welt zu schicken, sie sind schon in der Welt. Das haben uns Schrö­din­ger, Ein­stein und Bohm (und vie­le ande­re auch) ver­sucht bei­zu­brin­gen. Es ist jetzt wirk­lich an der Zeit, das auch zu beherzigen.

Heu­te in der NZZ war ein nach­denk­lich stim­men­der Kom­men­tar von Eric Gujer zu lesen. Er ist der Ansicht, dass der rus­si­sche Prä­si­dent zwei Din­ge unter­schätzt hat: den Durch­hal­te­wil­len der Ukrai­ner und die Einig­keit des Westens. Die Frei­heit sei nun ein­mal eine mäch­ti­ge Trieb­fe­der, schreibt er in «Der ande­re Blick». Daher sei­en demo­kra­ti­sche und offe­ne Gesell­schaf­ten selbst dann stark, wenn sie über­mäch­ti­gen Des­po­ten gegen­über­stün­den. Russ­land, so Gujer, zah­le dafür einen hohen Preis.

Die Fra­ge ist nur, wie lan­ge die Ein­heit der demo­kra­ti­schen und offe­nen Gesell­schaf­ten hält. Denn Wirt­schaft darf nicht das Bin­de­glied sein, son­dern wirk­li­ches Demo­kra­tie­ver­ständ­nis. So schlimm die Din­ge sind, so klar ist auch, dass es eine Chan­ce für uns alle ist umzu­den­ken. Auch wenn wir uns demo­kra­tisch und offen orga­ni­sie­ren, es geht noch ein Stück wei­ter, näher in oder an der Wirklichkeit.

Es ist Zeit, das zu realisieren.


Peter Zet­tel

ist pen­sio­nier­ter Anwalt. Seit fünf Jah­ren ist er begei­ster­ter Motor­rad­fah­rer – sein per­sön­li­cher Weg der Selbst­er­kennt­nis. Er inter­es­siert sich für das, was die Welt bewegt und schreibt dar­über in sei­nem Blog zet​tel​.biz.

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