„Lost Places“ rund um Waischenfeld

Lost Places, Objek­te, die dem Zer­fall aus­ge­setzt sind, gibt es vie­le auf der Welt und täg­lich wer­den es mehr. So lan­ge die­se Plät­ze weit weg sind und für unse­re Augen nicht vor­han­den, ver­lie­ren wir kei­nen Gedan­ken dar­an. Was ande­res ist es, wenn sol­che Plät­ze vor der Haus­tü­re sind und wir ihnen täg­lich begeg­nen (kön­nen). Eini­ge Beispiele:

Die Weiße / Schwarze Marter ... Foto: Reinhard Löwisch

Die Wei­ße / Schwar­ze Mar­ter … Foto: Rein­hard Löwisch

Die wei­ße Mar­ter bei Kött­weins­dorf. Ein ewi­ges Spiel der Kräf­te. Die­se schön­ste und größ­te Bild­säu­le Nord­bay­erns wird seit vie­len Jah­ren immer mal wie­der restau­riert, aber immer wie­der „erobert“ die Natur den Sand­stein zurück und bedeckt ihn anschlie­ßend mit dunk­len Moo­sen und Flech­ten, so dass die „Wei­ße Mar­ter“ mitt­ler­wei­le eigent­lich „schwar­ze Mar­ter“ hei­ßen müss­te. Bin gespannt, wann die näch­ste Reno­vie­rung ansteht und wie lan­ge sie anhält.

Kunigundenbrunnen in Waischenfeld. Foto: Reinhard Löwisch

Kuni­gun­den­brun­nen in Wai­schen­feld. Foto: Rein­hard Löwisch

Der sog. Kuni­gun­den­brun­nen in Wai­schen­feld, neben dem alten Brau­haus. Histo­risch abso­lut unkor­rekt hat man den Brun­nen im Zuge einer Sanie­rung des Plat­zes ver­legt und bei der Gele­gen­heit gleich umbe­nannt. Denn eigent­lich heißt er „Johan­nes­brun­nen“ nach der Figur des Johan­nes Nepo­muk, die seit 1715 hier am Platz steht und die Brücke vor Hoch­was­ser schützt. Und noch ein „Lap­sus“ macht deut­lich, dass die Ent­schei­der gar nichts von der Histo­rie hier wis­sen: Um den Brun­nen offen­sicht­lich schö­ner wir­ken zu las­sen, hat man eine Frau­en­fi­gur dazu gestellt, die direkt am Brun­nen Wäsche rei­nigt. Nun soll­te man wis­sen, dass Brun­nen frü­her, als es kein ande­res Was­ser gab, als hei­li­ge Orte behan­delt wor­den sind, um das Was­ser vor Ver­un­rei­ni­gung zu schüt­zen. Daher ist für Ken­ner der Mate­rie der fol­gen­de Para­graf aus einem Gemein­de­ge­setz­blatt von 1729 ein­leuch­tend: „Item wel­che Per­son vor dem Zieh­brun­nen und dem Brun­nen vor der Bruck­hen Wesch oder groß waschen wer­den, soll ein jed­we­der nicht allein umb 5 fl. Straf, son­dern auch mit dem Gefäng­nis gestraft wer­den“. Also das Waschen beim Brun­nen wur­de dop­pelt bestraft: Ein­mal mit einer emp­find­li­chen Geld­stra­fe (umge­rech­net nur rund 20 Euro, aber von dem Geld konn­te man damals einen Zent­ner Brot kau­fen) und dazu noch eine Gefäng­nis­stra­fe. Dass bei­des (Brun­nen und Frau­en­fi­gur) mitt­ler­wei­le sehr unan­sehn­lich sind, ist offen­sicht­lich ein Wink der Geschichte.

Tafel mit Erklärungen zur Heiligenfigur. Foto: Reinhard Löwisch

Tafel mit Erklä­run­gen zur Hei­li­gen­fi­gur. Foto: Rein­hard Löwisch

Apro­pos Johan­nes: Sogar beim Abschrei­ben gab es offen­sicht­lich Pro­ble­me. Neben der Nepo­muk­sta­tue steht eine Tafel mit Erklä­run­gen zur Hei­li­gen­fi­gur. Beim latei­ni­schen Text jedoch haper­te es mit der Schreib­wei­se. So fehlt beim „JOAN­NES“ das „A“, dafür hat man ver­ges­sen zu erklä­ren, dass man frü­her das „v“ (beim Wort NEPOMV­C­NE) auch als „u“ ver­wen­det hat. Als Aus­gleich dafür hat man offen­sicht­lich beim Wort CIVI­TA­TE ein „e“ (CIVI­TAE­TE) rein­ge­schmug­gelt. Der Nepo­muk hat sich also wie­der gewehrt, nach­dem er schon mal sei­ne drei Lin­den ver­lo­ren hat­te und des­halb ein Gedicht ver­fas­sen muss­te, das ihm aller­dings drei neue Lin­den brachte.

Ansicht des Schlüsselbergwappens (alt). Foto: Reinhard Löwisch

Ansicht des Schlüs­sel­berg­wap­pens (alt). Foto: Rein­hard Löwisch

Einen vier­ten „lost place“ könn­te man mit dem Schlüs­sel­ber­ger Wap­pen benen­nen, wenn es denn wie­der zum Vor­schein käme. Es war ein­mal, dass ein 600 Jah­re altes Wap­pen der Her­ren von Schlüs­sel­berg (immer­hin Städ­te­grün­der von Wai­schen­feld) in der Wei­se geret­tet ward, dass man es aus dem alten Rent­amt­ge­bäu­de her­aus­mei­ßel­te, bevor jenes im Jah­re 1968 dem Bag­ger zum Opfer fiel. Doch wohin damit? Nach­dem die Gemein­de anstel­le des Rent­am­tes eine neue Schu­le bau­te, hat man das Wap­pen in die Beton­mau­er des Schul­ho­fes mit ein­ze­men­tiert. Zwar ver­kehrt her­um, aber immer­hin: Es war noch da und unversehrt.

Ansicht des Schlüsselbergwappens (neu). Foto: Reinhard Löwisch

Ansicht des Schlüs­sel­berg­wap­pens (neu). Foto: Rein­hard Löwisch

Dass es auf dem Kopf stand sprach sich im Lau­fe der Jahr­zehn­te her­um und so kam es, dass man eines Tages her­ging und das Wap­pen aus der Beton­mau­er wie­der her­aus­säg­te. Eine an sich lobens­wer­te Tat. Und man ging auch dar­an, einen Restau­ra­tor zu beauf­tra­gen, die­ses zeit­ge­schicht­li­che Denk­mal zu sanie­ren. Doch irgend­wie hat dabei die Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht ganz geklappt. Jeden­falls ist aus dem alten Wap­pen ein ganz neu­es gewor­den und man traut sich nicht mehr, es gut sicht­bar wie­der der Öffent­lich­keit zu zei­gen, weil auch die neue Farb­ge­bung falsch ist. Ein Schelm wer denkt, dass da jemand die Geschich­te umschrei­ben will. In die­sem Jahr fei­ert Wai­schen­feld übri­gens den 900. Geburts­tag der Erst­nen­nung. Bin gespannt, ob da wie­der jemand an der Geschich­te fei­len wird. Nach all den Lost Places, wäre das kein Wunder.

Rein­hard Löwisch


Tipp der Redak­ti­on: Unse­re Son­der­se­rie „Hei­mat­kun­de am Sonn­tag“ von Rein­hard Löwisch