Abend­mahls­got­tes­dienst in der Bay­reu­ther Stadt­kir­che – Pre­digt von Regio­nal­bi­schö­fin Dr. Greiner

Stadtkirche Bayreuth. Foto: gmk/Stadtkirche
Stadtkirche Bayreuth. Foto: gmk/Stadtkirche

Rede­ma­nu­skript – es gilt das gespro­che­ne Wort

Pre­digt am 1. Weih­nachts­fei­er­tag 2021

Seht, welch eine Lie­be hat uns der Vater erwie­sen, dass wir Got­tes Kin­der hei­ßen sol­len – Mit die­sem freu­di­gen Zuruf beginnt das Bibel­wort, das wir vor­hin gehört haben und das Grund­la­ge der heu­ti­gen Pre­digt ist. Dazu eine klei­ne bio­gra­phi­sche Geschichte.

Die­ses Bibel­wort soll­te der Tauf­spruch unse­res jün­ge­ren Soh­nes wer­den. Wir bespra­chen das mit dem Ortspfarrer.

Am Tauf­t­ag dann, schenk­ten er und sei­ne Frau uns ein gro­ßes Bild im Glas­rah­men. Es war ein Abdruck – ein Poster – eines Gemäl­des von Kees de Kort. Zu sehen war dar­auf jene Sze­ne aus der Geschich­te vom ver­lo­re­nen Sohn, in der der Vater den zurück­ge­kehr­ten Sohn in sei­ne Arme schließt.

Unten auf das Poster hat­ten die bei­den den ver­ein­bar­ten Tauf­spruch geschrie­ben aus 1. Johan­nes 3,1. Als ich den las, wun­der­te ich mich. Da stand: „Seht, welch eine Lie­be hat uns der Vater erwie­sen, dass wir Got­tes Kin­der hei­ßen sol­len – und wir sind es auch.“ Das ist aber nett, dass ihr die­se Bestä­ti­gung dazu geschrie­ben habt, sag­te ich. „Wie­so?“, frag­ten sie mich zurück. „Das gehört zum Tauf­spruch und es steht so in der Bibel.“ Ich war völ­lig über­rascht: „Die­se Bestä­ti­gung ‚und wir sind es auch‘ steht so in Bibel?“ „Ja“, nick­ten die beiden.

Zu Hau­se ange­kom­men schlug ich natür­lich mei­ne Bibel auf. Und da stand wirk­lich schwarz auf weiß zu lesen: Seht, welch eine Lie­be hat uns der Vater erwie­sen, dass wir Got­tes Kin­der hei­ßen sol­len – und wir sind es auch.

Seit­dem ist die­se Ver­ge­wis­se­rung fest in mei­nem Gedächt­nis. Sie gilt natür­lich dem dama­li­gen Tauf­kind, und sie gilt uns allen, die wir durch die Tau­fe zu Jesus Chri­stus gehö­ren: „und wir sind es auch“. Du bist Got­tes gelieb­tes Kind. Das ist ganz gewiss und unumstößlich.

Unser aller Lebens­si­tua­ti­on ist viel unge­wis­ser als noch vor der Pan­de­mie. Anfangs waren wir beson­ders ver­un­si­chert, weil wir nicht wuss­ten, wie die­ses Virus wirkt, wie es ansteckt.

Inzwi­schen sind wir da kla­rer. Wir haben nach zwei Jah­ren Übung im Umgang mit der Pan­de­mie. Aber das gewohn­te Leben ist nur teil­wei­se zurück. Wir seh­nen uns nach mehr Gemein­schaft. Doch: Wie­der dicht an dicht im Got­tes­dienst sit­zen und ohne Mas­ke kräf­tig sin­gen – das ist noch in wei­ter Ferne.

Und die­se Omi­kron­va­ri­an­te?! Ob die uns nicht doch noch erwischt?! Das ist mög­lich – auch bei mir, obwohl ich geboo­stert bin und alles ver­su­che zu tun, was ver­nünf­tig ist und dem Schutz aller und mei­nem eige­nen dient.

Auf ein­mal ist klar: Sicher­hei­ten sind so schnell weg. Und nicht nur wegen Coro­na. Vor zwei Wochen hör­te ich die Andacht eines Pfar­rers. Eine Woche spä­ter wur­de ich ange­ru­fen, weil er im akti­ven Dienst ver­stor­ben war. Sicher­heit ist sehr rela­tiv. Gewiss scheint nur, dass wir alle – auch ohne Coro­na – irgend­wann mal sterben.

Nein, nicht nur das ist gewiss, sagt unser Bibel­wort. Gewiss ist: Du bist Got­tes Kind. Und Du bleibst es, auch im Tod, wirst im Tod – bild­haft gespro­chen – von Gott in die Arme genom­men und bist bei ihm. Unser Bibel­wort endet mit dem Ziel­satz: wir wer­den ihn sehen, wie er ist. Dar­auf gehen wir zu – nicht nur auf unse­ren Tod, son­dern dar­auf, dass wir bei Gott sein wer­den und ihn sehen wer­den, weil uns dann neue Augen geschenkt sein wer­den, die Gott und sein Reich, das uns hier schon unsicht­bar umgibt, sehen können.

Was hat das eigent­lich mit Weih­nach­ten zu tun? Heu­te ist schließ­lich der erste Weih­nachts­fei­er­tag und nicht der Tauf­sonn­tag. Ich wür­de den Zusam­men­hang so for­mu­lie­ren: Gott wur­de ein Kind, damit jedes Men­schen­kind ein Got­tes­kind wer­den kann. So ähn­lich sagt es auch Augu­stin und fügt noch einen Gedan­ken hin­zu: „Welch grö­ße­res Geschenk hät­te Gott vor unse­ren Augen auf­leuch­ten las­sen kön­nen als die­ses: dass er sei­nen ein­ge­bo­re­nen Sohn zum Men­schen­sohn wer­den ließ, damit jedes Men­schen­kind ein Kind Got­tes wer­den kann? Wes­sen Ver­dienst ist dies? Wel­chen Grund gibt es dafür? Den­ke dar­über nach und du wirst nur eine Ant­wort fin­den: „Alles ist Geschenk.“

Der Zwei­fel, ob wir Got­tes Kind sind, kommt doch, zumin­dest bei mir, durch die Fra­ge, ob ich Gott genü­ge. Ob ich wirk­lich lie­be­voll genug in mei­nem Leben bin gegen­über den Men­schen, vor allem denen in Not. Wahr­schein­lich haben vie­le hier im Kir­chen­raum ihre eige­ne per­sön­li­che Fra­ge in sich, ob sie Gott genügen.

Wir sind Men­schen mit Gren­zen. Das Wich­tig­ste in unse­rem Leben ist die Lie­be zu Gott und ande­ren Men­schen. Aber gera­de auch unser Ver­mö­gen für ande­re lie­be­voll da zu sein – das hat Grenzen.

Sind wir trotz­dem Got­tes Kind? Ja wir sind es, mit unse­ren Gren­zen und Schwächen.

Das ist rei­nes Geschenk, unver­dient. Nicht von unse­rer Lie­be, nicht von unse­ren Lebens­lei­stun­gen ist unse­re Got­tes­kind­schaft abhän­gig, denn die Got­tes­kind­schaft grün­det in der unge­bro­che­nen Lie­be unse­res Vaters im Him­mel. Das bleibt uns – auch wenn alles um uns her­um unsi­cher ist und sogar, wenn wir uns unse­rer selbst unsi­cher sind. Gera­de weil Gott so bedin­gungs­los liebt, hat Got­tes Lie­be die Kraft in uns unse­re Lie­be zu ver­meh­ren – zu ihm und zu allen Menschen.

Heu­te ist erster Weih­nachts­fei­er­tag. Und (!) heu­te ist ein 500-jäh­ri­ges Jubi­lä­um eines wich­ti­gen refor­ma­to­ri­schen Ereig­nis­ses. Am 1. Weih­nachts-fei­er­tag 1521 wur­de zum ersten Mal im deutsch­spra­chi­gen Raum das Abend­mahl – nicht nur mit Brot, son­dern auch mit Wein gefei­ert und nicht in Latein, son­dern in deut­scher Spra­che. Das war in Wit­ten­berg. Dabei war Luther gar nicht dort, son­dern auf der Wartburg.

Aber Karl­stadt war dort. Er war neun Jah­re zuvor Luthers Dok­tor­va­ter gewor­den und war zunächst ein Anhän­ger Luthers. Dann aber über­hol­te er Luther weit an Radikalität.

Luther war auf dem Reichs­tag zu Worms 1521 geäch­tet wor­den und daher im gan­zen Römi­schen Reich vogel­frei – zum Abschuss frei­ge­ge­ben. Zu sei­nem Schutz ent­führ­ten ihn die Sol­da­ten Fried­richs III. auf der Heim­fahrt, um ihn auf der Wart­burg als Jun­ker Jörg vom 4. Mai 1521 an zu ver­stecken. Der­weil trieb Karl­stadt in Wit­ten­berg die Refor­ma­ti­on mit Macht vor­an. So kam es auch zu die­sem Abend­mahl heu­te vor 500 Jah­ren. Eigent­lich gut.

Doch Karl­stadt mein­te auch Bil­der aus den Kir­chen rei­ßen zu müs­sen, weil es im Alten Testa­ment heißt: Du sollst Dir kein Bild­nis machen. Und Kir­chen­mu­sik woll­te er auch ver­bie­ten, weil sie vom Wort ablenke.

Für Luther war die­se Bil­der- und Musik­ver­nich­tung ein Graus. Er ver­ließ im Früh­jahr 1522 die siche­re Wart­burg und kehr­te nach Wit­ten­berg zurück. Er dreh­te die Refor­men wie­der zurück, weil er sie mit den Men­schen Schritt für Schritt lang­sam ein­füh­ren woll­te. Die Bil­der soll­ten – sofern sie dem Evan­ge­li­um ent­spra­chen – blei­ben und die Musik nann­te er eine der größ­ten Got­tes­ga­ben. Erst knapp fünf Jah­re spä­ter, 1526, ver­öf­fent­lich­te er sei­ne Deut­sche Mes­se, die dann in allen luthe­ri­schen Gegen­den ein­ge­führt wur­de – natür­lich ein Abend­mahls­got­tes­dienst mit Brot und Wein.

Luther war zugleich Weih­nachts­theo­lo­ge und Abend­mahls­theo­lo­ge. Er lieb­te Weih­nach­ten, weil da Gott sicht­bar wird im Kind in der Krip­pe. Gott wird anfass­bar, damit wir mit allen Sin­nen glau­ben kön­nen: Gott ist da.

Und ähn­li­ches fühl­te Luther im Abend­mahl. Wenn es heißt: Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, dann ist Chri­stus wirk­lich da in Brot und Wein. Chri­stus wird anfass­bar, kommt uns nah. Wir neh­men ihn auf in uns.

Ähn­lich wie unser Satz ver­ge­wis­sert: „Seht, welch eine Lie­be hat uns der Vater erwie­sen, dass wir Got­tes Kin­der hei­ßen sol­len – und wir sind es auch.“ So ver­ge­wis­sert Weih­nach­ten: Gott will bei Dir sein. Und so ver­ge­wis­sert das Abend­mahl: Chri­stus schenkt sich Dir. Sei­ne Ver­ge­bung, sein Leben. So wahr wir Brot und Wein zu uns neh­men, so wahr ist Chri­stus bei uns.

In den Anfän­gen der Pan­de­mie waren wir vor­sich­tig mit dem Abend­mahl. Man­che Gemein­den fei­er­ten es gar nicht mehr, vie­le nur mit Hosti­en. Als ich hier in der Stadt­kir­che im Inter­na­tio­na­len Got­tes­dienst nur Brot reich­te, kam hin­ter­her jemand auf mich zu und sag­te: „Zum Abend­mahl gehört der Wein – so steht es in der Bibel. Wir sind doch evan­ge­lisch.“ Das arbei­te­te in mir und so erprob­te ich eine neue Form: Als Aus­tei­len­de tauch­te ich selbst die Hostie in den Wein und leg­te sie den Men­schen in die offe­ne Hand mit den Wor­ten: Chri­sti Leib und Blut für Dich. Seit­dem prak­ti­zie­ren wir das in Bay­reuth so. Aber auch an ande­ren Orten.

So wer­den wir es auch heu­te hand­ha­ben. Der Wein ist dabei – wie zum ersten Mal vor genau 500 Jahren.

Brot ist das Grund­nah­rungs­mit­tel. Beth­le­hem, der Geburts­ort Jeus, heißt über­setzt Haus des Bro­tes. Chri­stus ist Brot des Lebens für uns. Er nährt uns. Stärkt uns auch die Pan­de­mie zu durch­ste­hen. Der Glau­be an ihn kräf­tigt uns an Leib und Seele.

Und Chri­stus schenkt sich im Wein. Bei jedem gro­ßen Fest trin­ken Men­schen Wein und genie­ßen das Leben. Dass wir Wein zu uns neh­men beim Abend­mahl bedeu­tet: Chri­stus schenkt uns Freu­de am Leben, Freu­de am Guten im Leben, ja auch am Wein. Und er schenkt uns auch in die­ser Zeit Freu­de tief ins Herz, weil wir zu Gott gehö­ren, sei­ne Kin­der hei­ßen – und wir sind es auch.

Amen.