Neue Stu­die aus Bay­reuth: Ver­meint­lich gleich­ar­ti­ge Mikro­pla­stik-Par­ti­kel zei­gen unter­schied­lich hohe Toxizität

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Welt­weit befas­sen sich immer mehr Stu­di­en mit Aus­wir­kun­gen von Mikro­pla­stik, vor allem im Hin­blick auf die Umwelt und die Gesund­heit. Oft ver­wen­den sie kugel­för­mi­ge Poly­sty­rol-Mikro­par­ti­kel und sind dabei zu teil­wei­se wider­sprüch­li­chen Ergeb­nis­sen gelangt. Ein inter­dis­zi­pli­nä­res For­schungs­team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth hat einen Grund dafür ent­deckt: Han­dels­üb­li­che, ver­meint­lich glei­che Poly­sty­rol-Teil­chen unter­schei­den sich je nach Her­stel­ler signi­fi­kant in Bezug auf ihre Struk­tu­ren und Eigen­schaf­ten. Des­halb haben ihre Wech­sel­wir­kun­gen mit leben­den Zel­len unter­schied­li­che Fol­gen für den Zell­stoff­wech­sel. Im Jour­nal of Hazar­dous Mate­ri­als stel­len die Wissenschaftler*innen ihre Stu­die vor.

Elektronenmikroskopische Aufnahmen gleichnamiger Polystyrolpartikel von zwei verschiedenen Herstellern. Die kugelförmigen Partikel zeigen verschiedene Oberflächenmorphologien, die zu unterschiedlichen Zellinteraktionen führen können. Bilder: Julia Jasinski.

Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pi­sche Auf­nah­men gleich­na­mi­ger Poly­sty­rol­par­ti­kel von zwei ver­schie­de­nen Her­stel­lern. Die kugel­för­mi­gen Par­ti­kel zei­gen ver­schie­de­ne Ober­flä­chen­mor­pho­lo­gien, die zu unter­schied­li­chen Zell­in­ter­ak­tio­nen füh­ren kön­nen. Bil­der: Julia Jasinski.

Die neu­en For­schungs­er­geb­nis­se wur­den exem­pla­risch an Modell­zell­li­ni­en von Mäu­sen gewon­nen. „Unse­re Stu­die zeigt ein­drucks­voll, wie pro­ble­ma­tisch es ist, ver­all­ge­mei­nern­de Aus­sa­gen über gesund­heit­li­che oder öko­lo­gi­sche Aus­wir­kun­gen von Mikro­pla­stik machen zu wol­len. Wenn gleich gro­ße Par­ti­kel des glei­chen Kunst­stoff­typs in der glei­chen Form bei ver­tief­ten Ana­ly­sen über­ra­schen­de che­mi­sche und phy­si­ka­li­sche Unter­schie­de auf­wei­sen und wenn sich die­se Unter­schie­de auf Inter­ak­tio­nen mit leben­den Zel­len aus­wir­ken – dann ist Vor­sicht gegen­über vor­ei­li­gen Schluss­fol­ge­run­gen gebo­ten“, sagt Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch, Spre­cher des SFB Mikro­pla­stik an der Uni­ver­si­tät Bayreuth.

Drei Autor*innen der neuen Studie Julia Jasinski M.Sc., Marcel Meinhart M.Sc. und Anja Ramsperger M.Sc. (v.l.) mit dem Koordinator der Studie Prof. Dr. Christian Laforsch (2.v.l.) vor einem 1-Gigahertz-NMR-Spektrometer der Universität Bayreuth. Foto: Christian Wißler.

Drei Autor*innen der neu­en Stu­die Julia Jas­in­ski M.Sc., Mar­cel Mein­hart M.Sc. und Anja Ram­sper­ger M.Sc. (v.l.) mit dem Koor­di­na­tor der Stu­die Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch (2.v.l.) vor einem 1‑Gi­ga­hertz-NMR-Spek­tro­me­ter der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: Chri­sti­an Wißler.

„Unse­re Befun­de ent­hal­ten kla­re Hin­wei­se dar­auf, dass die in Wir­kungs­stu­di­en der­zeit gern ver­wen­de­ten Poly­sty­rol-Mikro­par­ti­kel bis­her nur schlecht cha­rak­te­ri­siert sind. Weil hoch­re­le­van­te Unter­schie­de unent­deckt blie­ben, haben wider­sprüch­li­che Ergeb­nis­se, die unter ver­meint­lich glei­chen Bedin­gun­gen erzielt wur­den, der For­schung Rät­sel auf­ge­ge­ben. Künf­tig wer­den wir in Bay­reuth die in unse­ren Ver­su­chen ein­ge­setz­ten Mikro­par­ti­kel noch genau­er unter die Lupe neh­men. Die Repli­zier­bar­keit von Expe­ri­men­ten muss in der Mikro­pla­stik-For­schung höch­ste Prio­ri­tät haben – gera­de wenn es um die Unter­su­chung gesund­heit­li­cher Aus­wir­kun­gen geht“, ergänzt Anja Ram­sper­ger, eine der Erstautor*innen der Studie.

Die deut­li­chen Unter­schie­de zwi­schen han­dels­üb­li­chen Poly­sty­rol-Par­ti­keln, die von ver­schie­de­nen Her­stel­lern stam­men, betref­fen zunächst ihren Gehalt an Mono­me­ren. Die­se Grund­bau­stei­ne der lang­ket­ti­gen Kunst­stoff­mo­le­kü­le, die bei der Her­stel­lung der Kunst­stof­fe ver­ket­tet wer­den, kön­nen schäd­lich auf Zel­len oder Orga­nis­men wir­ken. Wei­te­re Unter­schie­de betref­fen die elek­tri­sche Ladungs­ver­tei­lung an der Ober­flä­che der Par­ti­kel, das soge­nann­te Zeta-Poten­zi­al. Die Expe­ri­men­te wur­den im Rah­men des SFB 1357 Mikro­pla­stik in Labo­ra­to­ri­en der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und des Leib­niz-Insti­tuts für Poly­mer­for­schung in Dres­den durch­ge­führt. Die Ergeb­nis­se zei­gen ein­deu­tig: Wenn Poly­sty­rol-Mikro­par­ti­kel mit einem höhe­ren Zeta-Poten­zi­al und einer ein­heit­li­chen Ladungs­ver­tei­lung an der Ober­flä­che in Kon­takt mit leben­den Zel­len gebracht wer­den, kommt es zu weit­aus häu­fi­ge­ren Inter­ak­tio­nen als bei der Ver­wen­dung ande­rer Poly­sty­rol-Mikro­par­ti­kel. Im Zuge häu­fi­ger Wech­sel­wir­kun­gen kön­nen ver­gleichs­wei­se vie­le Par­ti­kel in die Zel­len gelan­gen. Hier beein­träch­ti­gen sie den Stoff­wech­sel und die Ver­meh­rung der Zel­len – vor allem dann, wenn die Par­ti­kel­kon­zen­tra­tio­nen hoch sind.

„Mitt­ler­wei­le gibt es zahl­rei­che toxi­ko­lo­gi­sche Stu­di­en, die den Aus­wir­kun­gen von Mikro­pla­stik auf leben­de Orga­nis­men auf die Spur kom­men wol­len. Aber erst wenn wir die che­mi­sche Zusam­men­set­zung und die Ober­flä­chen­ei­gen­schaf­ten der dabei ver­wen­de­ten Par­ti­kel im Detail ken­nen, las­sen sich die­se Stu­di­en wis­sen­schaft­lich ver­glei­chen. Nur auf die­ser Basis wird es mög­lich sein, die Eigen­schaf­ten zu ent­schlüs­seln, die bestimm­te Arten von Mikro­pla­stik für die Umwelt und den Men­schen poten­zi­ell gefähr­lich machen“, betont Ramsperger.

Die neue Stu­die beruht auf einer engen inter­dis­zi­pli­nä­ren Koope­ra­ti­on im DFG-Son­der­for­schungs­be­reich 1357 Mikro­pla­stik an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Die betei­lig­ten Autor*innen for­schen und leh­ren auf Gebie­ten der Tier­öko­lo­gie, der Bio­ma­te­ri­al­for­schung, der Bio­pro­zess­tech­nik, der Bio­phy­sik und der Anor­ga­ni­schen Che­mie. Wei­te­rer For­schungs­part­ner im Rah­men des SFB war das Leib­niz-Insti­tut für Poly­mer­for­schung in Dresden.

Ver­öf­fent­li­chung:

A.F.R.M. Ram­sper­ger, J. Jas­in­ski, M. Völkl et al.: Sup­po­sedly iden­ti­cal micro­pla­stic par­tic­les sub­stan­ti­al­ly dif­fer in their mate­ri­al pro­per­ties influen­cing par­tic­le-cell inter­ac­tions and cel­lu­lar respon­ses. Jour­nal of Hazar­dous Mate­ri­als (2021), DOI: https://​doi​.org/​1​0​.​1​0​1​6​/​j​.​j​h​a​z​m​a​t​.​2​0​2​1​.​1​2​7​961

1 Antwort

  1. Ferenc sagt:

    Das – eigent­lich nicht über­ra­schen­de – Ergeb­nis die­ser Unter­su­chun­gen zeigt eines über­deut­lich auf: Aus Grün­den der Vor­sor­ge müs­sen Ver­wen­dung von Mikro­pla­stik und der Ein­trag in die Umwelt­me­di­en grund­sätz­lich mini­miert werden.

    Über­haupt ist das bis­lang vor­herr­schen­de Rechts­prin­zip, daß nahe­zu alles solan­ge erlaubt ist, bis stark schä­di­gen­de Wir­kun­gen mit abso­lu­ter Sicher­heit nach­ge­wie­sen sind, zu hin­ter­fra­gen. Im kon­kre­ten Fall betrifft es bei­spiels­wei­se die mas­sen­haf­te Ver­wen­dung von Mikro­pla­stik in kos­me­ti­schen Pro­duk­ten und sol­chen zur Körperpflege.

    Aus­sa­gen von Spit­zen­po­li­ti­kern , wonach man (nur) auf die Chan­cen tech­no­lo­gi­scher Ent­wick­lung und nicht auf die Risi­ken sehen sol­le, sind nichts ande­res als der Auf­ruf zur Verantwortungslosigkeit.