Roman „Sonntagsschüsse II“ von Jonas Philipps: „TSV Weiherfelden – TV Helmersdorf (4. Spieltag)“

Sonntagsschüsse II

Am Montag nach dem Sieg in Hohentannen schlug ich den lokalen Sportteil der Zeitung auf. Meine Anspannung wuchs ins Unermessliche. Wir waren nicht die Einzigen, die bislang alle Punkte geholt hatten. Der TV Helmersdorf war ebenfalls bärenstark gestartet. Trotz unseres guten Torverhältnisses belegte Helmersdorf mit einem Tor Vorsprung Platz 1. Die Vorfreude auf das anstehende Spitzenspiel war grenzenlos. Wir empfingen den Tabellenführer zuhause. Und das war unsere Chance, sie vom Platz an der Sonne zu verdrängen.

Niemand wusste so recht, woher der TV Helmersdorf das plötzliche Geld hatte. Die ganze Geschichte hatte einen dubiosen Beigeschmack. Jahrelang war der Verein in der untersten Spielklasse auf den hinteren Plätzen herumgedümpelt. Bis er urplötzlich vergangene Saison mit vierzehn Neuzugängen aufgestiegen war. Es waren bekannte Namen dabei: Einige Spieler aus der Bezirksliga, junge Nachwuchstalente aus der Bayernliga-A-Jugend von Blau-Weiß Forchheim, und nicht zuletzt Aleno und Stark vom 1. FC Leimbach, der sich langsam auf dem absteigenden Ast befand. Es würde uns eine Freude sein, dieses geldgierige Starensemble in seine Schranken zu verweisen.

Denn es war in unseren Augen etwas völlig anderes, dass altgediente höherklassige Spieler wie Karl oder Georg ihre Karriere bei ihrem Heimatverein ausklingen ließen. Dabei schwang eine romantische Heimatverbundenheit mit. Aber wir verabscheuten Vereine, in denen man regionalen Möchtegernstars, die nichts mit dem eigenen Dorf zu tun hatten, das Geld nur so in den Rachen stopfte. Wir verachteten dieses Konzept. Und waren dementsprechend motiviert, es ihnen zu zeigen.

Am Samstagnachmittag vor dem großen Spiel besuchte uns der Bauzeichner. Er hatte die finalen Pläne und eine Kostenschätzung im Gepäck.

„Hier könnt ihr die Stahlträger sehen, auf denen der freistehende Teil eures Anbaus abgestützt wird. Wie ihr erkennen könnt, werden wir auf der Garage einen Großteil des Gewichts ablasten.“

Obwohl ich nur Bahnhof verstand, nickte ich eifrig.

„Die Zimmeraufteilung ist so, wie ihr es euch gewünscht habt. Was haltet ihr davon?“

Annika grinste begeistert. Es war alles so, wie wir uns es vorgestellt hatten. Ich nahm die Pläne genau unter die Lupe, ohne sie im Detail zu verstehen. Meine handwerkliche Unfähigkeit war nicht nur auf meine beiden linken Hände beschränkt. Ich konnte mir nicht mal im Ansatz vorstellen, wie das später aussehen sollte. Mein Vater sah meinen Blick und musste lachen: „Du hast absolut keine Ahnung, was du da gerade siehst, oder?“

Ich wollte es leugnen, aber es hatte keinen Sinn. Sie kannten mich zu gut. „Aber es gefällt mir trotzdem“, erwiderte ich dümmlich.

„Was würde das Ganze denn etwa kosten?“

„Ich hab mir schon mal aweng Gedanken gemacht. Wir haben etwa 250 Kubikmeter umbauten Raum. Wenn wir optimistisch mit sagen wir mal 500 Euro pro Kubikmeter rechnen, wenn ihr euch nicht zu viel Luxus leisten wollt, dann kommen wir also auf 125.000 Euro. Sollte ausreichen. Legt noch 20.000 für Renovierungsarbeiten am Altbau zurück, dann seid ihr auf der sicheren Seite.“

Ich schluckte und suchte Annikas Blick. 145.000 Euro! Für jemanden, der immer knapp bei Kasse war, war das ein ganz schöner Haufen Geld. Natürlich würde ich später als Lehrer gut verdienen, einen sicheren Job haben. Aber trotzdem war es eine Entscheidung, die uns über viele Jahre begleiten und binden würde.

„Okay“, seufzte sie gefasst. „Dann lass uns ein Bauunternehmen suchen und einen Kredit beantragen.“

Ich liebte ihre Entschlossenheit. Sie gab mir Kraft.

Das brauchten wir auch für das Duell mit dem TV Helmersdorf. Es war kein Derby gegen Obsthofen, aber dennoch gut besucht. Die Zuschauer aus der Region wirkten zum Zerreißen gespannt, welches Modell sich durchsetzte: die heimatverbundenen Eigengewächse gegen die geldgierigen Söldner.

„Wir haben nichts zu verlieren. Aber heute werden wir sehen, wo wir in unserer Entwicklung stehen. Wir haben das gut gemacht in den vergangenen Wochen. Heute müssen wir denen von der ersten bis zur letzten Minute Paroli bieten. Das Flügelspiel ist eine gefährliche Waffe. Nutzen wir sie! Denn im Zentrum sind sie bärenstark aufgestellt. Konzentrieren wir uns auf ihre Außenspieler, setzen sie unentwegt unter Druck. Michael und ich sind kopfballstark. Flankt was das Zeug hält!“

Die Marschroute war klar. Doch vom Anpfiff weg dominierte Helmersdorf das Geschehen. Aleno wirbelte unsere Abwehrreihe kräftig durcheinander. Und Defensivspieler Stark lehrte unsere Offensivkräfte das Fürchten. Wir hatten keinen Zugriff, um die gegnerischen Angriffe in Schach zu halten. Und Helmersdorf ließ uns zu wenig Raum, um unser von Schnelligkeit lebendes Offensivspiel aufzuziehen.

„Rumpelstilzchen“ Andreas Stieler hielt uns noch eine gute halbe Stunde lang mit tollen Paraden im Spiel. Aber dann war es gerade unser Torwart, der mit einem leichtfertigen Patzer die Niederlage einleitete. Fluchend trampelte er auf seiner Torlinie auf und ab. „Und wir wollen aufsteigen? Mit so einem Torwart? Mit so einem verdammten Torwart? Dem schlechtesten Torwart aller Zeiten? Nicht mal gegen einen Aufsteiger können wir gewinnen. Absteigen sollten wir, damit wir endlich mal in einer Klasse landen, wo wir auf gleichwertige Gegner treffen!“

„Sag mal … Bist du nicht ganz dicht?“, fragte Karl ganz direkt in der Halbzeitpause.

„Ist doch wahr! Da wollen wir aufsteigen, und spielen so einen Käse zusammen! Und ich bin noch der Schlechteste von allen.“

„Und durch dein Gejammer wird es besser?“

„Das ist kein Gejammer, das sind Tatsachen!“

„Wir haben hier noch nichts verloren“, polterte Karl entschlossen. „Natürlich hab ich mir eine bessere erste Hälfte erhofft. Na und?“ Eindringlich blickte er von einer niedergeschlagenen Miene zur nächsten. „Jedes Fußballspiel hat zwei Halbzeiten. Aber mit Jammern kommen wir nicht weiter. Wenn wir das Spiel rumreißen wollen, dann müssen wir mit einer breiten Brust auftreten und uns nicht gegenseitig fertig machen.“

Schweigend funkelte Andreas den Trainer an. Aber es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er weiter gewillt war, wie ein wildgewordenes Rumpelstilzchen auf seiner Linie hin und her zu springen. Jedem von uns war klar: Er würde auch die zweiten 45 Minuten mit Fluchen und Jammern verbringen.

„Andreas, du bleibst draußen“, raunte Karl kopfschüttelnd. „Alfred, geh raus und lass dich Warmschießen. Du stehst die zweite Halbzeit im Tor.“

Frustriert feuerte Andreas seine Torwarthandschuhe in die Ecke. Aber Karl hatte kein Mitleid. Er wollte dieses Spiel gewinnen. Niemand sagte ein Wort. Still tranken wir unsere Pausengetränke. Wir waren fassungslos. Andreas war seit knapp einem Jahrzehnt eine Institution beim TSV. Bis auf seine wenigen Aussetzer galt er als der stärkste Weiherfeldener Torwart der letzten zwanzig Jahre.

Karls Konsequenz wurde nicht belohnt. Alfred Escher traf dabei keine Schuld. Wenige Minuten nach dem Anstoß zur zweiten Halbzeit spazierte Aleno flink wie ein Wiesel durch unsere Abwehrreihen und schob den Ball aus kurzer Distanz ins Netz. Wir hatten uns so viel vorgenommen. Der sofortige Gegentreffer brach uns das Genick. Am Ende hatte der TV Helmersdorf seine Aufstiegsambitionen untermauert. Ihr 4-0 Auswärtssieg hatte uns gehörig die Grenzen aufgezeigt. Mit neun Punkten lagen wir jetzt auf Rang vier. Helmersdorf thronte über allen.

Nach dieser brutalen Niederlage lechzte ich nach einem Erfolgserlebnis. Und was man auf dem Fußballplatz nicht bekommen konnte, das musste man sich zuhause holen. Als ich am Sonntagabend grübelnd in meinem Bett lag, immer wieder die einzelnen Spielsituationen durchging und mich darüber ärgerte, dass ich diesen und jenen Ball nicht bereits im Mittelfeld abgefangen hatte, fasste ich einen beherzten Entschluss. Morgen, wenn Annika vormittags in der Bank arbeitete, würde ich meinen Plan in die Tat umsetzen. Es war an der Zeit, ihr endlich einen Heiratsantrag zu machen.

Als ich am frühen Morgen erwachte, war ich schon total aufgeregt. Ich konnte es nicht erwarten, dass Annika das Haus verließ. Doch das Frühstück zog sich wie Kaugummi. Dann endlich schnappte sie sich ihre Tasche, gab mir einen Kuss und machte sich auf den Weg zur Bank. Erleichtert atmete ich auf.

Ich machte Timo fertig und brachte ihn zu meiner Mutter: „Ich muss noch schnell etwas erledigen. Kannst du ein bisschen auf ihn aufpassen?“ Was für eine Frage. Welche Oma nutzte nicht gerne jede Gelegenheit mit ihrem Enkelkind.

Ich hatte alles genau geplant. Die Musik lag bereit und wartete nur noch darauf, in den CD-Player eingelegt zu werden. Beim Blumenladen holte ich eine Tüte voll Rosenblüten. Und abschließend kaufte ich im Drogeriemarkt Duftkerzen. Alles musste perfekt sein.

Zufrieden schleppte ich meine Einkäufe in unsere kleine Wohnung. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Beginne mit dem Einfachen, sprach ich mir selbst Mut zu. Mit zittrigen Händen ging ich zum CD-Player und legte die CD ein. Bed of Roses von Bon Jovi tönte sanft aus den Boxen. Prima, die Musik funktioniert ja schon mal.

Als Nächstes ging ich zu meinem Nachttisch, wo ich versteckt unter alten Sportzeitschriften die Schatulle mit den silbernen Verlobungsringen aufbewahrte, die ich vor zwei Wochen besorgt hatte. Ich öffnete den Deckel, um mich zu vergewissern, dass die Ringe auch noch an Ort und Stelle waren. An diesem Tag durfte ich nichts dem Zufall überlassen.

„Ähm, schöne Musik. Ich wusste gar nicht, dass du auf Bed of Roses stehst …“

Annikas Stimme aus dem Flur ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Was macht sie denn schon daheim? Ich hatte sie frühestens in eineinhalb Stunden hier erwartet. Mein Herz raste. Hastig klappte ich die Schatulle zu und steckte sie in die Gesäßtasche meiner Jeans. Panisch blickte ich mich um. Bis auf die Tüte mit den Einkäufen und die duftenden Rosenblüten zeugte noch nichts vor meinem kläglichen Versuch, ihr einen Antrag zu machen.

„Was machst du denn schon hier?“, versuchte ich möglichst beiläufig zu fragen. Doch für mich klang meine Stimme dünn und zittrig.

„Ach, irgendwie fühl ich mich nicht so gut. Ein bisschen Kopfschmerzen. Da sowieso nicht viel los war, haben mich die Kollegen heimgeschickt.“

„Schön“, kommentierte ich trocken, und Annika überhörte zum Glück den bitteren Sarkasmus.

„Wo ist denn Timo?“

„Oben bei meiner Mutter.“

„Warst du einkaufen?“, wunderte sich Annika.

Meine Gedanken überschlugen sich. Schau nur nicht in die Tüte mit den Kerzen!, betete ich verzweifelt. Und erst recht nicht in die Rosenblüten! Händeringend suchte ich nach einer Möglichkeit, meine Zukünftige abzulenken.

„Soll ich dir den Nacken massieren? Vielleicht hilft das gegen deine Kopfschmerzen.“

Lächelnd reckte Annika mir ihren Kopf entgegen. „Ach, da sag ich nicht nein.“

Sanft massierte ich ihren Nacken und ihre Schultern. Annika schnurrte wie ein Kätzchen. Gerade, als meine Hände unauffällig weiter nach unten wandern wollten, zog Annika einen zerknitterten Umschlag aus ihrer Handtasche.

„Hier. Soll ich dir von Onkel Hardy geben.“

„Von Onkel Hardy?“, wiederholte ich skeptisch. Was will der denn von mir?
„Ja, keine Ahnung …“

Mit einem mulmigen Gefühl öffnete ich den Umschlag und spitzte vorsichtig hinein. Dann setzte mein Herz einen Schlag aus.

„Marco? Alles in Ordnung?“

Aber ich konnte Annika nicht antworten. Fassungslos starrte ich auf den Umschlag in meinen Händen. Der einzig klare Gedanke, zu dem ich noch fähig war, war eine vernichtende Feststellung: Ich bin wirklich der größte Volltrottel unter der Sonne!


Sonntagsschüsse II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonntagsschüsse II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonntagsschüsse II – Das Bierdeckel-Dilemma

Nun beginnt also die zweite Reise des jungen Fußballers Marco Tanner über die zuweilen holprigen Fußballplätze der Fränkischen Schweiz. Die Leser erwarten urige Handwerker, ein wahnwitziger Heiratsantrag, ein verhängnisvoller Bierdeckel, ein folgenschwerer Anruf, legendäre Neuzugänge und vieles mehr. Wird dem TSV Weiherfelden der ersehnte Aufstieg gelingen? Die 332 witzigen Seiten werden es beantworten. Alle Sonntagsschüsse

Links zum Buch:

Über den Autor

Jonas Philipps lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen im Landkreis Bamberg. Er schreibt unterhaltsame Romane über Sport und Musik. Aus vielen Ideen und zahlreichen Gedanken zu seiner Vergangenheit als Amateurkicker und Bandmitglied entstehen witzige Romane, die Lesespaß garantieren. Homepage: www.jonas-philipps.de