Euro­pa in Bam­berg e.V. ver­an­stal­te­te „Digi­ta­len Wohnzimmertalk“

Digi­tal euro­pä­isch in Bamberg

Professor Bülent Bilmez mit Alexandra von Rohr

Pro­fes­sor Bülent Bil­mez mit Alex­an­dra von Rohr

„Mer­ha­ba. Herz­lich Will­kom­men zum Wohn­zim­mer­talk Tür­kei und EU“. Auf Tür­kisch und Deutsch begrüßt Mode­ra­to­rin Alex­an­dra von Rohr die 25 Gäste, die sich online am Frei­tag­abend zum Digi­ta­len Wohn­zim­mer­talk des Ver­eins Euro­pa in Bam­berg e.V. zuge­schal­tet haben. Neben Inter­es­sier­ten aus Bam­berg, aus Kana­da, den Mit­glie­dern von Pul­se of Euro­pe aus Coburg und Men­schen, deren Vor­na­me auf die fran­zö­si­sche und ita­lie­ni­sche Her­kunft schlie­ßen las­sen, neh­men Dr. Meh­met Cebe­ci vom Lehr­stuhl für Ori­en­ta­li­sche Phi­lo­lo­gie und Islam­wis­sen­schaft der FAU aus Erlan­gen, Herr Celik aus Bam­berg, Serap Özalp vom Migran­tin­nen ‑und Migran­ten­bei­rat aus Bam­berg und der erste Vor­sit­zen­de von Ditib in Bam­berg, Meh­met Cet­in­de­re, teil. „Das Ziel ist, mit­ein­an­der und nicht über­ein­an­der zu spre­chen“, so fasst Rudolf Schu­bert vom Ver­ein Euro­pa in Bam­berg e.V. die Ver­an­stal­tungs­idee zusam­men. Alle sind gekom­men, um zusam­men mit dem Histo­ri­ker Pro­fes­sor Bülent Bil­mez von der Bil­gi Uni­ver­si­tät, der sich aus Istan­bul ein­ge­wählt hat, über die Chan­cen und per­sön­li­chen Sor­gen eines mög­li­chen Bei­tritts der Tür­kei zur Euro­päi­schen Uni­on zu diskutieren.

Nach einer Ein­füh­rung zur Geschich­te der Bei­tritts­ver­hand­lun­gen dis­ku­tie­ren die Inter­es­sier­ten zunächst in Klein­grup­pen, anschlie­ßend wie­der im Ple­num ihre Sicht­wei­sen zur Wahr­schein­lich­keit, eines Bei­tritts der Tür­kei zur EU in den näch­sten 5 bis 10 Jah­ren und loten Vor­tei­le und Nach­tei­le dazu aus. Die Dis­kus­si­on ist leben­dig, kon­tro­vers und geprägt davon, dass alle ein­an­der zuhö­ren und von­ein­an­der ler­nen wol­len. Was die Geschwin­dig­keit eines Bei­tritts der Tür­kei zu EU angeht, so ist der pro­mo­vier­te Ori­en­ta­list Dr. Cebe­ci aus Erlan­gen skep­tisch. „Ich fürch­te, das klappt nicht so schnell“, ist sein Resü­mee. „Die Tür­kei gehört zur EU, aber es wird seit über 20 Jah­ren dar­über dis­ku­tiert“, ergänzt Herr Celik. Und auch Herr Cet­in­de­re pflich­tet bei: „Kul­tu­rell gehört die Tür­kei zur Euro­päi­schen Uni­on, aber durch die lan­ge Dau­er der Ver­hand­lun­gen hat auch die Begei­ste­rung in der Tür­kei für einen Bei­tritt abge­nom­men. Die Men­schen sind müde und haben kei­ne Hoff­nung mehr.“ Serap Özalp zeigt sich ent­täuscht: „Die Tür­kei wird in den Bei­tritts­ge­sprä­chen seit Jah­ren hingehalten.“

Gegen­über der Ent­täu­schung brin­gen die Cobur­ger Mit­glie­der des Pul­se of Euro­pe eine ande­re Per­spek­ti­ve ins Spiel. Wal­ter Flor­schütz und André Teissier sor­gen sich um die Grö­ße, die die EU bereits jetzt hat und um die Durch­set­zung der gemein­sa­men Wer­te. „Die EU hat schon mit den jet­zi­gen Part­nern Pro­ble­me, gemein­sa­me Wer­te wie Pres­se­frei­heit, Min­der­hei­ten­schutz und Rechts­staat­lich­keit durch­zu­set­zen. Mit wei­te­ren Part­nern wird das nicht leich­ter.“ Die Bam­ber­ger Joa­chim Graff, Chri­sti­ne und Sigi trei­ben die glei­chen Befürch­tun­gen um: „Die EU ist bereits jetzt zu groß. Sie muss sich zunächst selbst refor­mie­ren, bevor sie wei­te­re Part­ner inte­grie­ren kann.“ Auch Bry­son Edmon­ton aus Kana­da sieht die Bei­tritts­per­spek­ti­ve skep­tisch und die Tür­kei ohne Chan­ce auf einen Bei­tritt. Pro­fes­sor Bil­mez teilt die Ein­schät­zung, dass die EU gera­de jetzt weni­ger eine Gemein­schaft als viel­mehr eine Ansamm­lung von Ein­zel­staa­ten ist, die unter­ein­an­der zer­strit­ten sind. „Wir ana­ly­sie­ren und dis­ku­tie­ren den Brexit und die Kon­flik­te mit Polen und Ungarn sehr genau in der Tür­kei“, bringt er sei­ne Skep­sis auf den Punkt.

Ist der Bei­tritt der Tür­kei zur EU viel­leicht auch aus tür­ki­scher Per­spek­ti­ve gar nicht mehr attrak­tiv? „Der Blick von oben her­ab auf die Tür­kei ist jeden­falls nicht hilf­reich“, so Serap Özalp. Zwar sei die tür­ki­sche Poli­tik zur­zeit natio­na­li­stisch, aber auch das sei eine Moment­auf­nah­me. Bei­de Sei­ten müss­ten sich auf­ein­an­der zube­we­gen, damit etwas Neu­es ent­steht, for­dert Herr Celik. Chri­sti­an Dib­bern aus Bam­berg ergreift Par­tei für die tür­ki­sche Sicht­wei­se: „Die Tür­kei ist in den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen jah­re­lang hin­ge­hal­ten wor­den und die Skep­ti­ker haben mit der Poli­tik Erdo­gans ein vali­des Gegen­ar­gu­ment. Aber es gibt auch eine Post-Erdo­gan-Ära.“ Das setzt aller­dings vor­aus, dass die näch­ste Regie­rung in der Tür­kei euro­pa­freund­li­cher ist als die jet­zi­ge. Die­se hoff­nungs­vol­le Sicht teilt Pro­fes­sor Bil­mez nicht. Die Grund­fra­ge sei jedoch: „Ist die Demo­kra­ti­sie­rung der Tür­kei Vor­aus­set­zung für Gesprä­che? Oder kann ein Bei­tritt eine Demo­kra­ti­sie­rungs­be­we­gung erst unterstützen?“

Zum Schluss nimmt die Dis­kus­si­on die Reli­gi­on in den Blick. „Will die EU die Tür­kei nicht, weil es im Kern um Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit geht? „Ist die EU eine christ­li­che Uni­on?“, fragt Meh­met Cet­in­de­re. Der größ­te Unter­schied ist die poli­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung, wirft André Teissier aus Coburg ein. Die Unter­stüt­zung natio­na­li­sti­scher Ima­me aus der Tür­kei in Deutsch­land sieht er kri­tisch. „In Deutsch­land ist Reli­gi­on Pri­vat­sa­che und spielt poli­tisch kei­ne Rol­le“, pflich­tet Rudolf Schu­bert bei.

„Was pas­siert eigent­lich, wenn die Tür­kei der EU nicht bei­tritt?“ bringt Herr Celik die Dis­kus­si­on mit einem kunst­vol­len Per­spek­ti­ven­wech­sel wie­der zur Aus­gangs­fra­ge zurück. Bei allen Sor­gen und Befürch­tun­gen, die sowohl von tür­ki­scher Sei­te als auch aus Sicht der EU von den Teil­neh­men­den for­mu­liert wor­den sind, ist das Aus­schlie­ßen eines Bei­tritts für nie­man­den an die­sem Abend eine ech­te Opti­on. Zwar hat kei­ner eine Ant­wort auf das Wie, aber dass die Gesprä­che mit mehr Ver­ständ­nis und ein Auf­ein­an­der-Zuge­hen statt­fin­den müs­sen, gilt als Kon­sens an die­sem Abend.

Die Dis­kus­si­on ist ein Erfolg für die Ver­an­stal­ter vom Ver­ein Euro­pa in Bam­berg e.V., denn es ist wie­der ein­mal ein­drucks­voll gelun­gen, Men­schen ver­schie­de­ner Kul­tur­krei­se mit­ein­an­der in Kon­takt zu brin­gen, unter­schied­li­che Sicht­wei­sen ruhig aus­zu­tau­schen und sich gegen­sei­tig auf­merk­sam zuzu­hö­ren. Ein Zei­chen dafür, dass ein soli­da­ri­sches Euro­pa sich im Dia­log schon ereig­nen kann, bevor es poli­ti­sche Ver­trä­ge zwi­schen Staa­ten dazu gibt.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen zu den näch­sten Ver­an­stal­tun­gen unter www​.euro​pa​-in​-bam​berg​.de