Roman „Sonn­tags­schüs­se II“ von Jonas Phil­ipps: „1. FC Hohen­tan­nen – TSV Wei­her­fel­den (3. Spieltag)“

Sonntagsschüsse II

Die Fei­er­lich­kei­ten des Kan­ter­sie­ges mach­ten die Ker­wa noch schlim­mer als sonst.

Karl hat­te am dar­auf fol­gen­den Diens­tag kein Mit­leid, als er die 26 ver­lot­ter­ten Gestal­ten zum Trai­ning zitier­te. „Noch haben wir über­haupt nichts erreicht!“, lau­te­te das ste­te Mot­to unse­res neu­en Trai­ners. Er war ehr­gei­zig. Er woll­te in die Kreis­li­ga. Mit einem kla­ren Sieg über einen Auf­stei­ger gab er sich noch lan­ge nicht zufrieden.

Dem­entspre­chend waren wir im Trai­ning hoch­kon­zen­triert. Vor allem, weil mit dem 1. FC Hohen­tan­nen der erste rich­ti­ge Prüf­stein auf dem Spiel­plan stand. Seit ich nach Ober­fran­ken gezo­gen war, spiel­te Hohen­tan­nen jede Sai­son um den Titel mit. Den Auf­stieg hat­ten sie nie geschafft, aber sie waren jedes Mal nahe dran gewe­sen. Es war ein ernst­zu­neh­men­der Geg­ner, nicht zuletzt wegen ihrem Mit­tel­feld­ass Söld­ner, mit dem ich mir bei jedem Duell aufs Neue eine hart umkämpf­te Schlacht lieferte.

Nach dem Trai­ning hat­te ich aber erst­mal ande­re Sor­gen. Mei­ne Gedan­ken krei­sten um Anni­ka. Der Ent­schluss, ihr einen Antrag zu machen, stand fest. Aber irgend­wie zöger­te ich die Vor­be­rei­tun­gen jeden Tag aufs Neue hin­aus. Hat­te ich etwa Angst vor der alles ent­schei­den­den Fra­ge? Was, wenn sie „Nein“ sag­te? Aber war­um soll­te sie das tun? Wir hat­ten immer­hin einen Sohn zusam­men. Und wir ver­stan­den uns gut und ver­brach­ten noch vie­le hei­ße Näch­te in unse­rem Schlaf­zim­mer – zumin­dest wenn das Baby­phon stumm blieb.

Trotz­dem war es ein mul­mi­ges Gefühl, eine Frau zu bit­ten, ob sie einen hei­ra­ten woll­te. Dabei hat­te ich doch so einen guten Plan. Das Zeit­fen­ster ihres Teil­zeit­jobs hat­te ich in Gedan­ken per­fekt durch­ge­tak­tet: Rosen kau­fen, Tee­lich­ter auf­stel­len, Musik und roman­ti­sches Ambi­en­te vor­be­rei­ten, … Ich hat­te an alles gedacht. Nur mein eige­nes Zau­dern hat­te ich völ­lig unterschätzt.

Dafür mach­ten wir wenig­stens bei der Wohn­si­tua­ti­on Nägel mit Köpfen.

„Ich hab noch­mal aweng rum­ge­rech­net“, mur­mel­te Anni­ka. Der klein­lau­te Ton­fall ihre Stim­me war Musik in mei­nen Ohren. Denn das schlag­fer­ti­ge Teu­fels­weib war sel­ten auf den Mund gefallen.

„Grins nicht so doof!“, lach­te sie und kniff mir in den Arm. „Du weißt sowie­so genau, was jetzt kommt!“

„Da bin ich aber gespannt, Fräu­lein Bankkauffrau!“

Sie wür­de mich sicher bei der nächst­be­sten Gele­gen­heit für mei­ne offen zur Schau gestell­te hämi­sche Freu­de lei­den las­sen, aber der Moment des Tri­um­phes war zu süß, um auch nur einen ein­zi­gen Gedan­ken an spä­ter zu verschwenden.

„Lass uns die Optio­nen durch­ge­hen: Bau­plät­ze in Wei­her­fel­den und Obst­ho­fen sind schwei­ne­teu­er. Wenn man über­haupt wel­che bekommt. Viel­leicht kön­nen wir uns das lang­fri­stig mal lei­sten, aber mit unse­rem Eigen­ka­pi­tal so hohe Schul­den auf­zu­neh­men … Dar­auf hab ich eigent­lich kei­ne Lust.“

„Ich auch nicht“, stimm­te ich ihr ernst zu.

„Und in irgend­ei­nem Kaff, wo der Qua­drat­me­ter 30 Euro kostet, möcht ich fei auch ned woh­nen. Dort gibt’s bestimmt ned­mal einen Bäcker.“

„Und in den Tie­fen Fran­kens gibt’s sogar Orte, in denen es nicht mal Han­dy­emp­fang und Inter­net gibt.“

„Also haben wir nur drei Mög­lich­kei­ten: Wir kön­nen in der Woh­nung dei­ner Eltern woh­nen blei­ben, und spä­ter ent­schei­den. Wir kön­nen uns eine Miet­woh­nung anschau­en. Oder wir bau­en hier bei dei­nen Eltern an.“

„Aber Mie­te hat­ten wir doch eigent­lich im Vor­feld schon ausgeschlossen.“

„Das seh ich schon auch noch so“, stimm­te Anni­ka zu. „Das Geld, das wir unse­rem Ver­mie­ter in den Rachen wer­fen, kön­nen wir auch jetzt gleich zum Til­gen ver­wen­den. Dann haben wir wenig­stens was Eigenes.“

„Und die Woh­nung hier hilft uns auch nur ein paar Jah­re wei­ter. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich möch­te schon noch ein zwei­tes Kind. Und nicht erst wenn wir 35 sind.“

Anni­ka nickte.

„Dann bleibt ja nur eine Mög­lich­keit übrig, oder?“, frag­te ich zur Sicher­heit noch­mal nach.

„Ja“, stöhn­te Anni­ka gequält. „Es sieht wohl so aus, als bleibt mir nichts ande­res übrig, als eine dau­er­haf­te Wei­her­fel­de­ne­rin zu werden.“

„Dann ist es beschlos­sen? Wir gehen die­sen Weg?“

„Lass es uns machen!“

Ich atme­te inner­lich auf, zwang mich aber, Anni­ka nicht län­ger damit zu ärgern. Es war sicher kei­ne ein­fa­che Ent­schei­dung für sie gewesen.

„Jetzt, wo wir das ent­schie­den haben, und wo Timo gera­de hoch zu mei­nen Eltern ist … Wol­len wir uns nicht gleich um wei­te­ren Nach­wuchs küm­mern?“, reg­te ich mit einem schel­mi­schen Grin­sen auf den Lip­pen an und fiel über mei­ne gelieb­te Neu-Wei­her­fel­de­ne­rin her.

Wäh­rend unse­re Baby­pro­duk­ti­on auf Hoch­tou­ren lief, fei­er­ten mei­ne Mann­schafts­kol­le­gen bei unse­rem näch­sten Geg­ner Ker­wa. Ich war mir nicht sicher, ob es ein Vor­teil oder Nach­teil für uns war, an der Hohen­tan­ner Ker­wa dort spie­len zu müs­sen. Vie­le Mann­schaf­ten waren an ihrer hei­mi­schen Kirch­weih umso moti­vier­ter. Schließ­lich woll­ten sie gemein­sam mit ihren Fans eine rau­schen­de Sie­ges­fei­er zele­brie­ren, anstatt mit hän­gen­den Köp­fen über den Fest­platz zu schlurfen.

Als ich am Sonn­tag­mit­tag beim Treff­punkt ein­traf, war ich über­rascht, in so vie­le nüch­ter­ne Gesich­ter zu blicken. Der neue Trai­ner, der tol­le Sai­son­start und nicht zuletzt die schwe­re Auf­ga­be gegen den 1. FC Hohen­tan­nen hat­ten selbst auf unse­re fei­er­wü­ti­ge Mann­schaft guten Ein­fluss. Die Spie­ler schie­nen aus­ge­ruht und gut vor­be­rei­tet zu sein. Welch eine Überraschung.

Mei­ne Son­der­auf­ga­be hin­ge­gen war kei­ne gro­ße Über­ra­schung. Es stand Unent­schie­den zwi­schen Mit­tel­feld­spie­ler Söld­ner und mir. Vier­mal waren wir uns im direk­ten Duell gegen­über­ge­stan­den. Zwei­mal hat­te er kei­nen Stich gegen mich gemacht, aber zwei­mal hat­te er mich vor­ge­führt. Ich lieb­te den Kampf gegen ihn. Denn der groß­ge­wach­se­ne, tech­nisch beschla­ge­ne und schuss­ge­wal­ti­ge Mit­tel­feld­re­gis­seur kit­zel­te das Beste aus mir heraus.

Als ich nach der Anspra­che unse­res Trai­ners ange­spornt den Rasen betrat, um mich auf­zu­wär­men, kam mir dann doch so eini­ges spa­nisch vor.

Ich blick­te auf den Sport­platz des 1. FC Hohen­tan­nen und trau­te mei­nen Augen kaum. So einen Platz hat­te ich noch nie gese­hen. Das Grün selbst war nicht das Pro­blem. Der sorg­fäl­tig gepfleg­te Rasen war einer der besten in der gesam­ten Kreis­klas­se Nord. Viel­mehr sorg­te die eigen­ar­ti­ge Lini­en­füh­rung am Spiel­feld­rand für Irri­ta­ti­on. Ich war es aus Ham­burg nicht gewohnt, dass auf einem Fuß­ball­platz so krum­me Lini­en zuge­las­sen waren, dass man glau­ben muss­te, der Platz­wart habe vor dem Spiel nicht nur eine Fla­sche Bier, son­dern drei Fla­schen Schnaps geleert. In Kirchthein oder Hohen­stein hät­te mich das nicht gewun­dert, aber beim 1. FC Hohen­tan­nen? Die Kreis­klas­se Nord war eben auch gegen lang­jäh­ri­ge Spit­zen­geg­ner stets für eine Über­ra­schung gut.

Eins war sofort klar für mich: Der Lini­en­rich­ter wür­de an die­sem Tag kein leich­tes Spiel haben. Denn ein auf dem Flü­gel gera­de­aus geschla­ge­ner Ball könn­te je nach Inter­pre­ta­ti­on mal drei Meter im Sei­ten­aus oder mal drei Meter im Spiel­feld sein. Der Straf­raum ähnel­te mehr einem Kreis als einem Vier­eck. Der Fünf­me­ter­raum war viel zu groß. Und der Mit­tel­kreis stell­te eine solch eigen­ar­ti­ge Ellip­se dar, dass man sich fra­gen muss­te, ob der Platz­wart eine Schlei­fe in den Platz malen woll­te. Es fehl­te nur noch, dass die Lini­en bis in die Zuschau­er­tri­bü­ne hineinragten.

Ich woll­te nie Fuß­ball­schieds­rich­ter wer­den, und zum Glück ist die­ser Kelch stets an mir vor­über­ge­gan­gen, aber wäre ich es an jenem Tage gewe­sen, ich hät­te das Spiel nicht ange­pfif­fen. Unser Schieds­rich­ter jedoch begut­ach­te­te die Lini­en mit einem kri­ti­schen Blick, kniff bei­de Augen zusam­men und pfiff die Par­tie an, ohne jeg­li­che Kor­rek­tu­ren von Sei­ten der Gast­ge­ber zu for­dern. Auch wenn es in mei­ner vier­ten Sai­son in der Kreis­klas­se Nord nicht mehr viel gab, was mich noch über­rasch­te, so zähl­te die­se Lini­en­füh­rung zwei­fel­los dazu.

Nach dem Auf­wär­men rief der Schieds­rich­ter die bei­den Mann­schaf­ten zu sich. Wir stell­ten uns neben­ein­an­der auf und trab­ten gemein­sam in den Mit­tel­kreis. Von dort wink­ten wir den Zuschau­ern kurz zu. Der obli­ga­to­ri­sche Hand­shake zwi­schen den Kon­tra­hen­ten begann. Kamp­fes­lu­stig blick­te ich jedem ein­zel­nen Geg­ner in die Augen. Und was ich dort sah, mach­te mir Mut. Denn eins war klar: Der Platz­wart, der die krum­men Lini­en auf das Feld gestreut hat­te, war an die­sem Tag noch der nüch­tern­ste Mensch auf dem Sport­platz. Der 1. FC Hohen­tan­nen war in einem gott­er­bärm­li­chen Zustand.

Es ent­wickel­te sich ein rasan­tes und risi­ko­freu­di­ges Spiel. Hohen­tan­nen über­spiel­te sei­nen rekord­ver­däch­ti­gen Pro­mil­le­spie­gel mit Kampf­kraft und Lauf­be­reit­schaft. Ein pre­sti­ge­träch­ti­ges Der­by gegen den Nach­bar­ver­ein Wei­her­fel­den ver­lieh nun mal Flügel.

In der 5. Spiel­mi­nu­te grätsch­te ich Söld­ner einen Ball von den Füßen. Wäh­rend er fru­striert fluch­te („Die­ser ver­damm­te bis­si­ge Zwerg schon wie­der!“), kul­ler­te der Ball zu unse­rem Unglück zu einem Gegen­spie­ler. Der fass­te sich ein Herz, zog aus einer unmög­li­chen Posi­ti­on ab, und häm­mer­te einen Sonn­tags­schuss in den Tor­win­kel. Hohen­tan­nen führ­te mit 1–0. Wir waren geschockt. Georg Wei­ler und Karl Adler ver­such­ten ver­zwei­felt, unse­re Mann­schaft anzu­trei­ben. Aber wir waren zu ent­täuscht, hat­ten uns gegen die­sen voll­trun­ke­nen Geg­ner zu sicher gefühlt, um nun das Ruder her­um­zu­rei­ßen. Die Abwehr­spie­ler wirk­ten ver­un­si­chert. Mein Kum­pel Niklas lei­ste­te sich einen kapi­ta­len Feh­ler auf der Außen­bahn und ebne­te bereits nach zehn Minu­ten dem 1. FC Hohen­tan­nen den Weg zum 2–0.

Ich konn­te es nicht fas­sen. Gegen die­sen Geg­ner. Natür­lich war es eine gute Mann­schaft, aber nicht heu­te. Je näher man dem Halb­zeit­pfiff kam, desto mehr bemerk­te man, wie schwan­kend sie sich über den Platz beweg­ten. Eine Abstim­mung unter den Spie­lern war unmög­lich. Denn sie waren alle hei­ser und brach­ten kei­nen Ton her­aus. Die gefürch­te­ten lan­gen Bäl­le aus der Abwehr flo­gen links und rechts ins Sei­ten­aus. Und der fei­ne Tech­ni­ker Söld­ner hat­te selbst mit den ein­fach­sten Zuspie­len Pro­ble­me, die er sonst im Schlaf ver­ar­bei­te­te. Trotz­dem führ­ten sie 2–0. Was für eine Schande!

Der Platz­wart war anschei­nend noch betrun­ke­ner gewe­sen als ver­mu­tet. Ich hat­te vom Anpfiff an das Gefühl gehabt, dass irgend­et­was fehl­te. Etwas, das womög­lich noch wich­tig sein konn­te. Nun wuss­te ich, was es war.

Mar­tin „Lupo“ Kru­se hat­te wie­der ein­mal einen Gegen­spie­ler umge­nie­tet, ohne jede Not, ver­steht sich. Der Schieds­rich­ter ent­schied auf Straf­stoß. Rat­los stand der geg­ne­ri­sche Elf­me­ter­schüt­ze mit dem Ball in den Hän­den im Straf­raum. Wo soll­te er das Leder nun hin­le­gen? Der Platz­wart hat­te ver­ges­sen, den Elf­me­ter­punkt in den Sech­zehn­me­ter­raum zu streu­en. Genervt eil­te der Schieds­rich­ter zur Tor­li­nie und mach­te sich bereit, die elf Schrit­te abzulaufen.

„Kein Elf­me­ter­punkt, kein Elf­me­ter. Las­sen wir den doch ein­fach weg und spie­len wei­ter“, ver­such­te Schwät­zer Niklas mit einem mehr als sinn­frei­en Vor­schlag sein Glück. Aber der Schieds­rich­ter ließ sich von die­ser Schnaps­idee natür­lich nicht überzeugen.

Miss­mu­tig mach­te er elf gro­ße Schrit­te und bat den geg­ne­ri­schen Spie­ler, den Ball an sei­ner Fuß­spit­ze abzu­le­gen. Wir hat­ten Glück im Unglück. Der Schieds­rich­ter hat­te gro­ße Schrit­te gemacht. Mit blo­ßem Augen­maß konn­te man erken­nen, dass er viel zu nah an der Linie des Sech­zehn­me­ter­raums war. Aber drei­zehn Meter, neun Meter, elf Meter, was spiel­te das alles schon für eine Rol­le? Der Elf­me­ter­schuss war rei­ne Ner­ven­sa­che. Auf einen Meter hin oder her kam es dabei im Grun­de nicht an. Söld­ner lief an … und schei­ter­te am Außen­pfo­sten. Wir waren wie­der da!
Ich ent­schloss mich, ein wei­te­res Zei­chen zu set­zen. Bei sei­nem näch­sten Ball­kon­takt feg­te ich Söld­ner rüde von den Bei­nen. Es war im Kampf um den Ball pas­siert, so dass der Schieds­rich­ter mir für die über­har­te Attacke nur die gel­be Kar­te zeig­te. „Los Jungs, jetzt reißt euch mal zusam­men und hal­tet dage­gen!“. brüll­te ich mei­nen Kame­ra­den zu. Und es wirkte.

Lang­sam aber sicher leg­te sich unse­re Lethar­gie. Wir began­nen Fuß­ball zu spie­len. Und wie. „Knight Rider“ Georg trieb den Ball mit viel Tem­po nach vorn, pass­te zu Karl Adler, der direkt auf den frei­ste­hen­den Micha­el Mei­ster durch­steck­te. Nur noch 2–1. Kurz vor der Pau­se brach Kevin Mai auf dem lin­ken Flü­gel durch die Hohen­tan­ner Defen­si­ve. Der groß gewach­se­ne Karl köpf­te sei­ne punkt­ge­naue Flan­ke zum Aus­gleichs­tref­fer in die Maschen.

In der zwei­ten Hälf­te wur­de das Spiel für Hohen­tan­nen zum Deba­kel. Die Kräf­te der ker­wa­ge­schä­dig­ten Fei­er­bie­ster schwan­den. Und mit ihnen die Kon­zen­tra­ti­on. Und so muss­ten wir selbst nicht mehr viel nach­hel­fen. Der 1. FC Hohen­tan­nen deklas­sier­te sich selbst. Mit drei unge­len­ken Eigen­to­ren besie­gel­ten sie den 2–5 End­stand und schli­chen wie elf geprü­gel­te Hun­de vom Platz.

Wir waren erleich­tert und außer uns vor Freu­de. Es war ein har­ter Prüf­stein gewe­sen, trotz des Aus­nah­me­zu­stands. Aber wir hat­ten Moral bewie­sen und drei wich­ti­ge Aus­wärts­punk­te mit­ge­nom­men. Neun Punk­te aus drei Spie­len, und noch dazu 14–3 Tore. Das konn­te sich sehen lassen.

Unse­ren Pflicht­be­such in Hohen­tan­nen mach­ten wir nicht im Sport­heim, son­dern auf der Ker­wa. Denn auch die hei­mi­schen Spie­ler kehr­ten sofort nach dem Duschen dort­hin zurück. Wir bestell­ten uns Schnit­zel und Bier und fei­er­ten den ver­dien­ten Sieg. Ein klei­ner bren­nen­der Apé­ri­tif an der Bar stimm­te uns auf einen legen­dä­ren Abend im hei­mi­schen Sport­heim ein.

„Setz mich bit­te in Obst­ho­fen ab“, bat ich Wil­li, der uns im Ver­eins­bus ins Wei­her­fel­de­ner Sport­heim kutschierte.

„Nicht dein Ernst jetzt, oder?“, grin­ste Niklas hämisch.

„Schau dir den Pan­tof­fel­hel­den an!“, lach­te Max.

„Ihr Affen! Was soll ich denn machen?“

„Ich dach­te, Anni­ka wohnt bei dir?“

„Tut sie ja auch.“

„Und was willst du dann in Obsthofen?“

„Ihr Vater hat heu­te Geburtstag!“

„Und da willst du in dem Zustand noch hin?“

„Was heißt da, in dem Zustand? Ich hat­te doch nur ein paar Bier.“

„Und die Schnäp­se an der Bar. Du lallst, Marco!“

„Kommt schon, Leute …“

„Lasst den Mann tun, was er tun muss“, griff Wil­li ein und hielt den Bus an. „Von hier aus kannst du die paar Meter lau­fen. Ich wage mich in Obst­ho­fen nicht von der Haupt­stra­ße runter.“

Seuf­zend stieg ich aus dem Bus. Ich schwank­te tat­säch­lich etwas, als ich mir die Sport­ta­sche zu schwung­voll über die Schul­ter leg­te. Ver­damm­te Schnäp­se auf nüch­ter­nen Magen direkt nach dem Spiel!

Ich klin­gel­te und gra­tu­lier­te Anni­kas Vater Hans zum Geburts­tag. Eigent­lich war er ganz in Ord­nung, aber das durf­te ich in Wei­her­fel­den nie­man­dem sagen. Als ich das Wohn­zim­mer betrat, erwar­te­te mich bereits die gan­ze Obst­ho­fe­ner Sipp­schaft und begaff­te den Aus­wär­ti­gen wie eine ver­bo­te­ne Attraktion.

„Oh, er hat sogar sei­nen blau-gel­ben Trai­nings­an­zug ange­zo­gen, um uns zu zei­gen, dass er auch näch­stes Jahr nicht nach Obst­ho­fen wech­seln wird“, raun­te Anni­kas Onkel „Har­dy“.

„Naja, die einen haben’s eben drauf, und die ande­ren ver­sau­ern lie­ber in der Kreis­klas­se!“, lach­te mein Schwie­ger­va­ter in spe, der alte Verräter.

Na klar, nur weil ihr jetzt vier Spie­le in der Kreis­li­ga gemacht habt.

„Der Sta­chel sitzt ganz schön tief, dass ich trotz eures Auf­stiegs nicht zu euch gewech­selt bin, was?“, lall­te ich grinsend.

Anni­ka ver­dreh­te genervt die Augen. Nun ahn­te sie gleich zwei­mal, wie betrun­ken ich war. Zum einen konn­te ich mei­ne Zun­ge nicht mehr rich­tig bewe­gen, und zum ande­ren wuss­te sie, dass ich mich nüch­tern nie so angriffs­lu­stig auf die­se Gesprächs­rich­tung einließ.

„Näch­stes Jahr kommst du von selbst ange­lau­fen, wenn du siehst, wel­che Rol­le wir in der Kreis­li­ga spielen.“

„Wer weiß, viel­leicht spie­len ja wir näch­stes Jahr in der Kreis­li­ga und ihr wie­der Kreis­klas­se“, ant­wor­te­te ich leicht­hin. Mit neun Punk­ten aus drei Spie­len im Rücken sti­chel­te es sich ganz hervorragend.

Seuf­zend zog mich Anni­ka von ihrer Ver­wandt­schaft weg. „Jetzt reiß dich fei mal zusam­men“, zisch­te sie. „Die Stim­mung ist eh schon etwas gedrückt, seit ich mei­nem Papa gesagt hab, dass ich wohl län­ger in Wei­her­fel­den woh­nen wer­de als geplant.“

„Du hast es ihm heu­te gesagt?“

„Ja“, gestand sie mit gesenk­tem Blick.

„Heu­te? An sei­nem Geburtstag?“

„Ja!“, fauch­te sie.

„Du hät­test Diplo­ma­tin wer­den sol­len“, pru­ste­te ich.

„Nicht wit­zig! Jetzt hol dir mal was zu essen und ver­hal­te dich ein­fach ruhig.“

Auf dem Weg zum Essen kam ich an dem klei­nen Steh­tisch vor­bei, der die Schnaps­bar dar­stell­te. Irgend­wie hat­te ich plötz­lich kei­nen Hun­ger mehr. Ein klei­ner Kla­rer hier, ein fruch­ti­ges Likör­chen dort. Mei­ne Mann­schafts­kol­le­gen lie­ßen schließ­lich daheim im Sport­heim auch gehö­rig die Kor­ken knallen.

Lang­sam aber sicher ver­schwamm das Wohn­zim­mer von Anni­kas Eltern vor mei­nen Augen. Ich rede­te und lall­te, aber ich wuss­te gar nicht mehr so recht, was ich sag­te. Alles lag hin­ter einem Nebel­schlei­er ver­bor­gen. Plötz­lich waren Anni­kas Onkel wie­der ganz nett zu mir. Hier hol­te mir einer ein Schnäps­chen. Dort wink­te der Näch­ste mit einem Bier­chen. Es war wie im Para­dies. Wenn da nur nicht die­ser komi­sche Bier­deckel gewe­sen wäre, mit dem sie stän­dig vor mei­nem Gesicht her­um wedel­ten. Ach, egal!, dach­te ich, ehe mir die müden Augen zu fie­len und ich mit dem eigen­ar­ti­gen Gefühl ein­schlief, der größ­te Idi­ot unter der Son­ne zu sein.


Sonn­tags­schüs­se II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonntagsschüsse II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonn­tags­schüs­se II – Das Bierdeckel-Dilemma

Nun beginnt also die zwei­te Rei­se des jun­gen Fuß­bal­lers Mar­co Tan­ner über die zuwei­len holp­ri­gen Fuß­ball­plät­ze der Frän­ki­schen Schweiz. Die Leser erwar­ten uri­ge Hand­wer­ker, ein wahn­wit­zi­ger Hei­rats­an­trag, ein ver­häng­nis­vol­ler Bier­deckel, ein fol­gen­schwe­rer Anruf, legen­dä­re Neu­zu­gän­ge und vie­les mehr. Wird dem TSV Wei­her­fel­den der ersehn­te Auf­stieg gelin­gen? Die 332 wit­zi­gen Sei­ten wer­den es beant­wor­ten. Alle Sonn­tags­schüs­se

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Über den Autor

Jonas Phil­ipps lebt mit sei­ner Frau und sei­nen bei­den Söh­nen im Land­kreis Bam­berg. Er schreibt unter­halt­sa­me Roma­ne über Sport und Musik. Aus vie­len Ideen und zahl­rei­chen Gedan­ken zu sei­ner Ver­gan­gen­heit als Ama­teur­kicker und Band­mit­glied ent­ste­hen wit­zi­ge Roma­ne, die Lese­spaß garan­tie­ren. Home­page: www​.jonas​-phil​ipps​.de