Eber­mann­städ­ter Schü­ler zu Gast bei Bun­des­prä­si­dent a.D. Gauck in München

Logo 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Vier enga­gier­te Gym­na­sia­sten und ihre bei­den Leh­rer aus Eber­mann­stadt, folg­ten im Rah­men des „Eich­mann-Pro­jekts“ der Ein­la­dung des Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ten der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung zu einer Vor­trags­rei­he mit Alt­bun­des­prä­si­dent Gauck nach München.

Am Diens­tag, den 19. Okto­ber 2021, mach­te sich eine klei­ne Dele­ga­ti­on des Gym­na­si­ums Frän­ki­sche Schweiz Eber­mann­stadt auf die Rei­se nach Mün­chen. Die Schü­ler Lina Fied­ler, Mar­tin Kopp, Simon Rei­chel und Vitus Dann, waren mit ihren Lehr­kräf­ten, Herrn StD Tho­mas Kraus und Herrn OStD Sieg­fried Reck, zu der Vor­trags­rei­he des Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ten Dr. Lud­wig Spaen­le unter dem Mot­to „Reden über… mit Bun­des­prä­si­dent a.D. Gauck“ nach Mün­chen ein­ge­la­den wor­den. Anlass war deren Betei­li­gung am Eich­mann­pro­jekt – einem Pro­jekt der baye­ri­schen Mini­ste­ri­en für Justiz und Kul­tus anläss­lich des 60. Jah­res­sta­ges des Eich­mann­pro­zes­ses. Die Schü­ler setz­ten sich in ihrer Frei­zeit und im Unter­richt mit dem Holo­caus­t­or­ga­ni­sa­tor und Nazi­ver­bre­cher Adolf Eich­mann aus­ein­an­der, um einen Bei­trag zur wich­ti­gen deut­schen Erin­ne­rungs­kul­tur anläss­lich des Fest­jah­res „1700 Jah­re jüdi­sches Leben in Deutsch­land“ zu leisten.

In Mün­chen ange­kom­men, ging es für die Grup­pe zunächst in Justiz­mi­ni­ste­ri­um zu einem Gesprächs­ter­min mit Herrn Tobi­as Rott­meir, dem Lei­ter des Refe­rats für Grund­satz­an­ge­le­gen­hei­ten und Öffent­lich­keits­ar­beit. „Das wäre doch eine ordent­li­che Aula für unser Gym­na­si­um“, staun­te ein Schü­ler ange­sichts der impo­san­ten Aus­ma­ße des 1897 errich­te­ten neu­ba­rocken Justiz­pa­la­stes mit sei­ner alles über­ra­gen­den Kuppel.

Am Schick­sals­ort der „Wei­ßen Rose“

Anschlie­ßend erhiel­ten die Betei­lig­ten exklu­siv eine Füh­rung durch das Gebäu­de, in dem der Volks­ge­richts­hof die Pro­zes­se gegen die Mit­glie­der der Wei­ßen Rose geführt und am 22.02.1943 die Wider­stands­kämp­fer Sophie und Hans Scholl sowie Chri­stoph Probst zum bar­ba­ri­schen Tode durch die Guil­lo­ti­ne ver­ur­teilt hat. Man erhielt Ein­blicke u.a. in den Gerichts­saal 270 und den eigent­lich nicht zu besich­ti­gen­den Kar­zer, in wel­chem Christl Probst und die Geschwi­ster Scholl aus­har­ren muss­ten. Die düste­ren und von hohen Wän­den umsäum­ten Zel­len erin­ner­ten fast an ein mit­tel­al­ter­li­ches Loch­ge­fäng­nis. Bedrückt von der Kon­fron­ta­ti­on mit der unsäg­lich grau­sa­men Ver­gan­gen­heit des deut­schen Unrechts­staa­tes unter natio­nal­so­zia­li­sti­scher Schreckens­herr­schaft, aber gleich­sam auch über­wäl­tigt von den Aus­ma­ßen des Pracht­baus, lie­ßen sie den geschichts­träch­ti­gen Ort hin­ter sich.

Wie in alten Zei­ten: Hoher Staats­be­such in der Residenz

Anschlie­ßend begab sich die Dele­ga­ti­on wei­ter zur Münch­ner Resi­denz; genau­er gesagt zur dazu­ge­hö­ri­gen Aller­hei­li­gen-Hof­kir­che. Vom könig­li­chen Hof­ar­chi­tek­ten Leo von Klen­ze – der übri­gens auch das klas­si­zi­sti­sche Por­tal der Eggols­hei­mer Pfarr­kir­che St. Mar­tin ent­wor­fen hat­te – in den 1820er Jah­ren erbaut und im 2. Welt­krie­ge zer­stört, dient das pro­fa­nier­te Got­tes­haus heu­te als Ver­an­stal­tungs­stät­te, so auch für den Vor­trag mit Herrn Gauck. Neben hohen Beam­te des baye­ri­schen Staa­tes, Ver­tre­tern der israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de, der Stadt und der Uni­ver­si­tät Mün­chen und Jour­na­li­sten renom­mier­ter Zei­tun­gen / Rund­funk­an­stal­ten, waren auch aus­ge­wähl­te Gym­na­sia­sten zuge­gen. Nach ein­lei­ten­den Wor­ten, zeig­te sich Gauck allen, ins­be­son­de­re den Gym­na­sia­sten, die sich an dem Pro­jekt „1700 Jah­re jüdi­sche Leben in Deutsch­land“ betei­li­gen, dank­bar, nicht zuletzt auch als „Christ für die­ses Enga­ge­ment […], dass die­se Kapi­tel unse­res Ver­sa­gens und unse­res Neu­be­ginns, nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten.“ Anschlie­ßend skiz­zier­te das ehem. Staats­ober­haupt grob die Ent­wick­lung der Akzep­tanz gegen­über jüdi­schem Leben in Euro­pa, begin­nend mit Kai­ser Kon­stan­tins Tole­ranz­edikt über das anti­ju­da­istisch gepräg­te Mit­tel­al­ter, bis hin zum 19 Jahr­hun­dert, als ´Tole­ranz´ im Nach­klang der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on der auf­ge­klär­te Abso­lu­tis­mus unter Fried­rich II., erst­mals Beach­tung fand. Gauck bekann­te sich am Bei­spiel sei­ner eige­nen Erfah­run­gen dazu, dass es nicht immer leicht sei, Tole­ranz zu zei­gen und vor allem auch aus­zu­le­ben. Als Goe­the­lieb­ha­ber ver­tritt er des Wei­ma­rer Lite­ra­ten Anschau­ung der Begriff­lich­keit „Tole­ranz“, dass „Tole­rie­ren, […] ja nur ertra­gen [hie­ße]“. „Das sei eigent­lich eine Belei­di­gung, denn die rich­ti­ge Form des Umgangs müs­se dar­in bestehen, anzu­er­ken­nen, was anders sei“, so fol­ger­te Gauck.

„Kann man tole­rant gegen­über Into­le­ran­ten sein?“

Dass Tole­ranz ins­be­son­de­re in der Poli­tik nicht immer leicht ist, konn­te der Alt­bun­des­prä­si­dent aus eige­ner Erfah­rung bestä­ti­gen. So war es für ihn als Mit­glied der ersten und letz­ten demo­kra­tisch gewähl­ten Volks­kam­mer der DDR „befremd­lich“, ehem. SED-Poli­ti­kern gegen­über­zu­ste­hen, die strikt jeg­li­che Form von Demo­kra­tie zu unter­drücken ver­such­ten, doch dies­mal waren sie ja demo­kra­tisch gewählt. „Kann man tole­rant gegen­über Into­le­ran­ten sein?“, warf Gauck auch im Hin­blick auf heu­ti­ge Par­tei­en der poli­ti­schen Extre­me als Fra­ge in den Raum und bejah­te dies unter der Prä­mis­se, dass es so lan­ge rich­tig sei, wie die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auch von jenen aner­kannt wer­de. Davon aber aus­ge­nom­men sei­en folg­lich z.B. Links­extre­me, isla­mi­sti­sche Fana­ti­ker und Zuwan­de­rer, die das Grund­ge­setz als Richt­schnur der Demo­kra­tie bewusst ableh­nen. „Wenn Men­schen bestän­dig gegen ein zivi­li­sa­to­risch ein­ge­üb­tes Ver­hal­ten auf­tre­ten, dür­fen wir ein­schrei­ten“, beton­te der frü­he­re Bun­des­prä­si­dent. „Da sol­len wir strei­ten und nicht nur so tun, son­dern auch gewin­nen wollen!“

Demo­kra­tie braucht Demokraten

„Wir wol­len ganz bewusst unser Leben als Demo­kra­tin­nen und Demo­kra­ten gestal­ten als ein Leben, das imstan­de ist, auf Res­sen­ti­ment und auf die Unkul­tur der Men­schen­feind­lich­keit zu ver­zich­ten. Und ein Teil die­ses Kamp­fes besteht dar­in, dass wir äußerst sen­si­bel immer dort genau hin­schau­en, wo sich Anti­se­mi­tis­mus neu zeigt“, appel­lier­te er an das ver­sam­mel­te Publi­kum im Hin­blick auf zuneh­men­de Fäl­le von Anti­se­mi­tis­mus in unse­rer Gesell­schaft, nicht zuletzt auch auf den Pau­sen­hö­fen groß­städ­ti­scher Brenn­punkt­schu­len. „Fähig­keit zur Into­le­ranz“ gehö­re dem­zu­fol­ge in die kämp­fe­ri­schen und demo­kra­tie­ver­tei­di­gen­den Köp­fe der über­zeug­ten Demo­kra­ten, „an denen es“, so Gauck, „in der Wei­ma­rer Repu­blik an ihrer Anzahl fehl­te“. Mit dem ein­dring­li­chen Appell in unse­ren Köp­fen, „es gehört zur Recht­schaf­fen­heit, dass wir alle For­men des Anti­se­mi­tis­mus in ihrer bedroh­li­chen Erschei­nung mit­ein­an­der zur Kennt­nis neh­men, und dar­auf ange­mes­sen reagie­ren“, fand auch die­se denk­wür­di­ge und ein­ma­li­ge Ver­an­stal­tung ein Ende. Nach einem per­sön­li­chen Gespräch der Ebser mit dem Land­tags­vi­ze­prä­si­den­ten Karl Frel­ler, wur­de die Heim­rei­se angetreten.

Von der Rede zum Nach­den­ken inspiriert

„Ich fühl­te mich klein und fremd unter all den Wür­den­trä­gern und hohen Beam­ten des Staa­tes, aber gleich­sam auch so gebor­gen durch das ergrei­fen­de und zugleich wohl­tu­en­de Cha­ris­ma des Herrn Alt­bun­des­prä­si­den­ten Gauck“, fass­te der Ober­stu­fen­schü­ler Mar­tin Kopp den Abend zusam­men. Schlicht „über­wäl­ti­gend“ ent­fuhr es einem wei­te­ren Schü­ler, denn es war gar nicht ein­mal so leicht, das Erleb­te in pas­sen­den Wor­ten aus­zu­drücken. Mit dem Abfahrts­pfiff des Auf­sichts­be­am­ten und dem Schlie­ßen der Türen, ver­stumm­ten die vie­len lei­sen und lau­ten Stim­men des Bahn­hofs; und mit ihnen die Geräu­sche einer bun­ten Groß­stadt in ihrer reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Plu­ra­li­tät. Mit den am Hori­zont erlö­schen­den roten Schluss­lich­tern des Zuges, ent­fern­ten sich auch die Jugend­li­chen Meter um Meter vom Schau­platz des ereig­nis­rei­chen, ein­drucks­vol­len und bewe­gen­den Nach­mit­ta­ges, der ihnen zuteil­ge­wor­den war. In ihren Her­zen aber ist von nun an das Licht, das sie durch Herrn Gaucks Rede emp­fan­gen haben und in die Welt tra­gen wol­len … das Licht der Toleranz.