Roman „Sonn­tags­schüs­se II“ von Jonas Phil­ipps: „DJK Drei­en­tor – TSV Wei­her­fel­den (Pokal­spiel)“

Sonntagsschüsse II

Wir hat­ten es uns in der klei­nen Kel­ler­woh­nung gemüt­lich gemacht. Sie war schön ein­ge­rich­tet. Viel Geld hat­ten wir nicht. Aber das woll­ten wir ändern. Anni­ka arbei­te­te wie­der einen Tag pro Woche bei der Bank. Wir plan­ten, dass sie auf drei Tage auf­stocken soll­te, sobald Timo in den Kin­der­gar­ten kom­men wür­de. Und ich war Stu­dent. Doch nach den Som­mer­fe­ri­en stand mein erstes Refe­ren­da­ri­at an. Das wür­de ein wenig Geld in die Kas­se spü­len. Und bald – nach Abschluss mei­nes Stu­di­ums – wäre unse­re Zukunft gesichert.

Das war auch bit­ter nötig. Denn mit jedem Tag ent­wickel­te sich Timo wei­ter und ent­deck­te mehr von der Welt. Die win­zi­ge Woh­nung im Kel­ler mei­ner Eltern wur­de uns zu klein. Es war offen­sicht­lich, dass wir etwas unter­neh­men muss­ten. Da kam uns der Bau­spa­rer, von dem ich bis vor weni­gen Wochen noch nichts gewusst hat­te, gera­de recht.

Mei­ne Eltern hat­ten den Ver­trag zu mei­ner Geburt abge­schlos­sen und gemein­sam mit den Groß­el­tern ste­tig etwas ein­be­zahlt. Der Bau­spa­rer eröff­ne­te uns plötz­lich neue Mög­lich­kei­ten. Anni­ka hat­te dank ihrer Tätig­keit in der Bank gute Bezie­hun­gen. Wir rech­ne­ten also mit einem gün­sti­gen Kre­dit. Mit der Aus­sicht auf mein künf­ti­ges Gehalt als Leh­rer konn­ten wir etwas gegen die beeng­te Wohn­si­tua­ti­on unternehmen.

Die ersten Kosten­vor­anschlä­ge für einen Haus­bau mit dem Kauf eines Bau­plat­zes hol­ten mei­nen anfäng­li­chen Enthu­si­as­mus schnell auf den Boden der Tat­sa­chen zurück. Des­halb hat­ten wir einen Ter­min mit einem Bau­zeich­ner ver­ein­bart, um alter­na­ti­ve Optio­nen zu besprechen.

„Ein Anbau ist immer etwas kom­pli­ziert. Aber der Platz ist da. Mög­lich wäre es.“

„Wie genau wür­de man sowas denn angehen?“

„Man kann den Anbau lan­ge Zeit aut­ark hoch­zie­hen. In einem gewis­sen Rah­men. Irgend­wann muss man dann einen Durch­bruch machen. Das gibt etwas Dreck und Staub, aber das geht vorbei.“

Weh­mü­tig ließ mein Vater sei­nen Blick über den Hof und sei­nen gelieb­ten Gar­ten streifen:„Puh, wie viel Platz braucht denn so ein Anbau?“

„Das kommt ganz dar­auf an, wie man ihn gestal­tet. Ent­we­der wir bau­en in den Hof raus, dann büßt ihr aber eini­ges an nutz­ba­rer Hof­flä­che ein. Wenn ihr hin­ge­gen hin­ten Rich­tung Gar­ten aus­baut, wer­det ihr die Hälf­te des Rasens ver­lie­ren. Min­de­stens. Was genau habt ihr euch denn vorgestellt?“

„Naja, das hängt davon ab, was alles mach­bar ist.“

„Mach­bar ist immer alles. Es ist nur eine Fra­ge des Geldes.“

„Also ein unbe­grenz­tes Bud­get haben wir schon mal nicht. Wir wür­den gern die Kel­ler­woh­nung mit­ein­be­zie­hen. Die drei Zim­mer, in denen wir aktu­ell woh­nen, könn­ten zum Bei­spiel die künf­ti­gen Schlaf­zim­mer sein.“

Die Dis­kus­si­on wur­de immer detail­lier­ter. Wir lie­ßen uns zu den Vor- und Nach­tei­len eines Holz­rah­men­an­baus gegen­über einem klas­si­schen Stein­an­bau beraten.

„Wenn ihr nicht eure Hof­flä­che oder euren Gar­ten ver­lie­ren wollt, könn­ten wir die Hang­la­ge etwas aus­nut­zen und den Anbau auf Stahl­trä­gern im Gar­ten auf­set­zen. Dann habt ihr bei Regen ein Dach über dem Kopf und im Som­mer Schatten.“

„Meinst du, das geht?“

„Klar. Wir kön­nen die aktu­el­le Woh­nung zwei Meter nach außen erwei­tern, dann ver­liert ihr nur ein biss­chen von der Rasen­flä­che. Und über ein Trep­pen­haus könnt ihr von den Schlaf­räu­men in die Wohn­räu­me gehen.“ Der Bau­zeich­ner war sicht­lich begei­stert von sei­ner krea­ti­ven Idee. „Genau, und damit die Sta­tik nicht ganz so teu­er wird, lasten wir auf den Gara­gen ab. Das müss­te funk­tio­nie­ren. Es trifft sich wirk­lich gut, dass ihr hin­ten im Gar­ten noch die bei­den Gara­gen habt.“

So ganz konn­te ich mir das Kon­zept noch nicht vor­stel­len. Aber er sag­te uns zu, dass er ein paar Zeich­nun­gen anfer­ti­gen wür­de. Das hör­te sich schon mal gut an. Es fiel mir lei­der sehr schwer, mich in die­se Bau­pla­nung hin­ein­zu­ver­set­zen. Schließ­lich konn­te ich gera­de mal einen Ham­mer oder einen Schrau­ben­zie­her hal­ten. Ein jun­ger Mann, der nach zehn Minu­ten Stra­ßen­fe­gen Bla­sen an den Fin­gern bekam, war nicht für gro­ße Eigen­lei­stun­gen beim Haus­bau geschaffen.

„Lasst mich mal ein oder zwei Vor­schlä­ge zu Papier brin­gen. Dann set­zen wir uns noch­mal zusam­men. Aber ich glau­be, die Idee wird gut. Und defi­ni­tiv gün­sti­ger als ein kom­plet­ter Neu­bau inklu­si­ve Bauplatz.“

Gün­sti­ger klang mit Blick auf unser klam­mes Kon­to sehr gut.

„Das hat sich doch viel­ver­spre­chend ange­hört. Meinst du nicht?“, sag­te ich nach dem Ter­min zu Annika.

„Ja, es ist eine inter­es­san­te Option.“

Ihre Stim­me klang alles ande­re als begei­stert. Aber ich glaub­te zu wis­sen, wor­an das lag. Es war das alte Thema …

„Ich kann doch nicht nach Wei­her­fel­den zie­hen! Was sol­len mei­ne Freun­din­nen von mir denken?“

„Du wohnst doch schon seit andert­halb Jah­ren in Weiherfelden.“

„Genau! Und damit habe ich mein Exil abge­ses­sen. Nun steht die Rück­kehr in das gelob­te Land an.“

„Das gelob­te Land“, pru­ste­te ich. „Ein Volk von hin­ter­li­sti­gen Ban­di­ten seid ihr, die arme, unschul­di­ge Fuß­ball­spie­ler nackt durch ihre Flu­re treiben.“

„Bes­ser als ein Volk von nai­ven Tröp­fen, die das mit sich machen lassen.“

Ich lieb­te ihren Humor, auch wenn sie mir das Leben mal wie­der schwer mach­te. „Aber Wei­her­fel­den ist nicht Sibi­ri­en. Was sol­len denn mei­ne Mann­schafts­kol­le­gen sagen, wenn ich nach Obst­ho­fen ziehe?“

„Aber du bist ein Preu­ße. Dir wird man das verzeihen.“

„Im Her­zen bin ich schon Fran­ke! Und das ist, was zählt!“, wehr­te ich mich.

„Solan­ge du den Senf noch ohne t schreibst, bist du kein Fran­ke. Und einem hei­mat­lo­sen Preu­ßen kann es doch egal sein, ob er in Wei­her­fel­den oder Obst­ho­fen wohnt.“

„Dann tref­fen wir uns eben auf neu­tra­lem Boden.“

„Wir könn­ten nach Möh­rich zie­hen. Da hast du sicher vie­le Freun­de, seit du vor sechs Wochen mit dei­nem Sieg­tor ihren Abstieg besie­gelt hast“, grin­ste sie bissig.

War­um zum Teu­fel ist die­ses Teu­fels­weib nur so schlagfertig?

„Aber mal ehr­lich … Ist es nicht ein­fa­cher, wenn wir Oma und Opa mit im Haus haben?“

„Wir kön­nen ja auch in Obst­ho­fen anbauen.“

„Wo sol­len wir denn bei dei­nen Eltern anbau­en? Auf dem Gehsteig?“

„Dann müs­sen wir eben ein eige­nes Haus bauen.“

„Und von was bezah­len wir den Bau­platz, Fräu­lein Bankkauffrau?“

Zum Glück kam Timo in dem Augen­blick von sei­ner Oma zurück. „Hun­ger“, piep­ste er.

Anni­ka seufz­te. „Die Ver­hand­lun­gen sind damit noch nicht been­det, mein klei­ner preu­ßi­scher Freund“, rief sie mir augen­zwin­kernd zu und küm­mer­te sich um Timos Abendessen.

Ich war ver­zwei­felt. Das war wirk­lich eine har­te Nuss. Nach Obst­ho­fen zie­hen? Ins Fein­des­land? Ich war froh, dass der SV Obst­ho­fen end­lich auf­ge­stie­gen war. Dann muss­te ich mir in den Der­bys zumin­dest kei­ne Anfein­dun­gen wie „Frau­en­dieb“, „Ham­bur­ger Stri­cher“ oder „Nacke­dei“ mehr anhö­ren. Irgend­wie hat­te das Obst­ho­fe­ner Publi­kum es mir übel genom­men, eines ihrer schön­sten Mädels weg­ge­schnappt zu haben. Am Obst­ho­fe­ner Sport­platz war ich der Staats­feind Num­mer 1. Nein, nach Obst­ho­fen wür­den mich kei­ne zehn Pfer­de brin­gen. Aber was waren schon zehn Pfer­de gegen Anni­kas schlag­fer­ti­ges Mundwerk?

Zumin­dest auf dem Fuß­ball­platz stan­den alle Vor­zei­chen auf Erfolg. Die Vor­be­rei­tung ver­lief glän­zend. Die Trai­nings­ein­hei­ten waren feu­rig, inten­siv und abwechs­lungs­reich. Und in den ersten bei­den Vor­be­rei­tungs­spie­len hat­ten wir unse­re Geg­ner nach allen Regeln der Kunst zer­legt. Karl Adler hat­te dabei fünf, Jugend­spie­ler Kevin Mai vier Tore geschos­sen. Die erste Pokal­run­de war ange­sichts die­ser ful­mi­nan­ten Schüt­zen­fe­ste rei­ne Form­sa­che. Schließ­lich spiel­ten wir gegen die DJK Drei­en­tor. Unser Geg­ner lief zwar noch immer mit sei­nem bären­star­ken, nim­mer­mü­den Spie­ler­trai­ner auf, der wie ein Duracell-Hase über den Platz wetz­te und Sturm, Mit­tel­feld und Libe­ro­po­sten gleich­zei­tig beacker­te. Aber an der tri­sten Situa­ti­on um die­sen fun­keln­den Stern her­um hat­te sich in den letz­ten drei Jah­ren nichts geän­dert. Drei­en­tor spiel­te nach wie vor einen erbärm­li­chen Fußball.

Mein per­sön­li­cher Höhe­punkt gleich zu Beginn der ersten Spiel­hälf­te war ein kurz aus­ge­führ­ter Frei­stoß. So etwas hat­te ich mein Leb­tag noch nicht gese­hen. Nach einem Foul­spiel am Drei­en­to­rer Spie­ler­trai­ner kurz vor der Mit­tel­li­nie stand ein unbe­hol­fe­ner Rum­pel­fuß­bal­ler mit wal­len­dem blon­den Haar in der Nähe des Balls. Wie man es in den höhe­ren Spiel­klas­sen lernt, schal­te­te der Spie­ler­trai­ner sehr schnell. Kaum wie­der auf den Bei­nen, sau­ste er wie­sel­flink auf sei­nen Mit­spie­ler zu, um sich anzubieten.

„Spiel mich kurz an“, rief er ihm zu. Der blon­de Spie­ler wuss­te, was von ihm erwar­tet wur­de. Ange­strengt nahm er sei­nen Trai­ner ins Visier, der nur noch fünf Meter von ihm ent­fernt war. Es hät­te aus­ge­reicht, den Ball leicht anzu­tip­pen, und schon hät­te ihn der Spie­ler­trai­ner mit­neh­men können.

Dann trat der Kerl gegen den Ball. Die Kugel don­ner­te gut fünf­zehn Meter ent­fernt gegen die Ban­de im Sei­ten­aus. Eini­ge Zuschau­er pru­ste­ten vor Lachen. Uns Spie­lern hat­te es die Spra­che verschlagen.

Wie ange­wur­zelt stand der fru­strier­te Spie­ler­trai­ner an sei­nem Platz, fünf win­zi­ge Meter neben sei­nem fili­gra­nen Mann­schafts­kol­le­gen. Seuf­zend setz­te er sich wie­der in Bewe­gung und kehr­te auf den Libe­ro­po­sten zurück. Er hat­te wohl schon lan­ge genug mit den Talen­ten des DJK Drei­en­tor trai­niert, um durch nichts und nie­man­den mehr aus der Bahn gewor­fen zu werden.

Ich bewun­der­te den Spie­ler­trai­ner für sei­ne stoi­sche Ruhe. Gedul­dig nahm er Fehl­pass um Fehl­pass hin, wir­bel­te uner­müd­lich wei­ter und kämpf­te, als glaub­te er tat­säch­lich dar­an, dass er ganz allein das aus­sichts­lo­se Spiel aus dem Feu­er rei­ßen konnte.

Karl Adler hat­te sie­ges­si­cher eine jun­ge erste Elf auf­ge­bo­ten und mit Georg Wei­ler und sich selbst zwei abso­lu­te Lei­stungs­trä­ger geschont. Natür­lich hät­ten wir selbst mit unse­rer kom­plet­ten zwei­ten Mann­schaft gegen Drei­en­tor gewin­nen müs­sen. Aber manch­mal gibt es Tage im Fuß­ball, da geht ein­fach gar nichts zusammen.

In einer kläg­li­chen Par­tie leg­ten wir eine erbärm­li­che Chan­cen­ver­wer­tung an den Tag. Drei Pfo­sten­schüs­se, ein­mal Lat­te, fünf­mal aus aus­sichts­rei­cher Posi­ti­on den Tor­wart ange­schos­sen, ohne dass die­ser Blin­de auch nur im Ent­fern­te­sten etwas dafür konn­te. Unser altes Unver­mö­gen war zurück!

Erin­ne­run­gen wur­den wach, an die fru­strie­ren­de Sai­son von vor drei Jah­ren, als der Klas­sen­er­halt bis zum letz­ten Spiel­tag am sei­de­nen Faden hing. Was war nur los mit uns? Durch einen unnö­ti­gen Elf­me­ter ver­lo­ren wir gegen die­se aus zehn Total­aus­fäl­len bestehen­de Mann­schaft mit 0–1.

Karl Adler schäum­te vor Wut. Der gute alte Spiel­lei­ter Wil­li, noch immer Herz und See­le unse­res ruhm­rei­chen Ver­eins, beschimpf­te uns Spie­ler mit zor­nes­ro­tem Kopf in einer Art und Wei­se, die er sich sonst für die geg­ne­ri­schen Fans vor­be­hielt: „Ihr daaben, unfä­hi­gen, fau­len Säcke! Seid ihr eser­ten Voll­pfo­sten noch bei Trost? Gegen Drei­en­tor aus dem Pokal aus­zu­schei­den! Euch soll­te man an euren Schnür­sen­keln auf­knüp­fen!“ Ich ver­mu­te, das waren noch die net­te­sten Wor­te, die Wil­li an jenem Tage für uns übrig hat­te. Der Rest war mir noch zu frän­kisch. Die uner­schöpf­li­che Viel­falt der Flü­che aus Wil­lis Mund brach­ten mich noch immer zum Verzweifeln.

Zurück in der Umklei­de­ka­bi­ne herrsch­te Gra­bes­stil­le, ehe der neue Trai­ner das Wort an Mar­tin „Lupo“ Kru­se rich­te­te. „Was ist nur los mit dir? Du kannst doch den Stür­mer nicht umhol­zen, wenn der Ball schon zehn Meter weg ist!“

„Ich hab gedacht, ich erwisch den Ball noch“, woll­te sich die­ser recht­fer­ti­gen. Und ern­te­te nur ungläu­bi­ge Blicke von unse­rem neu­en Coach.

„Aber der Ball war schon seit Sekun­den meh­re­re Meter weg … Wie woll­test du den noch erwischen?“

Niklas, Harald und ich blick­ten uns an. Es koste­te uns gro­ße Mühe, ein unan­ge­brach­tes Grin­sen zu ver­mei­den. Jeder Aus­druck von Freu­de war an die­sem Tag abso­lut unpas­send. Karl Adler wür­de sicher noch viel Spaß mit dem unge­len­ken Ver­tei­di­ger Mar­tin haben. Wir blin­zel­ten uns stumm zu und mach­ten eine gei­sti­ge Notiz, Karl beim näch­sten Trai­ning über Mar­tins frag­wür­di­ges Reak­ti­ons­ver­mö­gen aufzuklären.

„Dann sind wir also aus dem Pokal aus­ge­schie­den“, stell­te Karl trocken fest. „Mor­gen Trai­ning!“, knurr­te er. „Ohne Ball!“

Und damit ver­ließ er die Kabi­ne. Es war alles gesagt.

Auch die Zuschau­er grum­mel­ten und mach­ten kei­nen Hehl aus ihrer Unzu­frie­den­heit. Allen vor­an der Regis­seur: „Ich hab’s doch gleich gesagt. Ein guter Spie­ler ist nicht auto­ma­tisch auch ein guter Trai­ner!“, pol­ter­te er. „Selbst ein genia­ler Fuß­bal­ler wie Alfre­do Di Sté­fa­no hat sich als Trai­ner hart­ge­tan. Fin­det ihr es nicht auch anma­ßend von Karl, dass er glaubt, nur weil er aus der Lan­des­li­ga kommt, kann er die­se Mann­schaft trainieren?“

Ganz so pes­si­mi­stisch sahen es die ande­ren Zuschau­er nicht. Bis­lang waren die Ergeb­nis­se doch gar nicht so schlecht gewe­sen. Doch der Regis­seur war nicht zu brem­sen: „Merkt euch mei­ne Wor­te: Der kann froh sein, wenn er den ersten Spiel­tag noch erlebt. Vom Hof gejagt hät­te man sol­che Leu­te frü­her, wenn man gegen so einen Geg­ner aus dem Pokal fliegt. Da muss der Trai­ner ein­fach die Ver­ant­wor­tung über­neh­men! Und da hilft es uns gar nichts, dass er ein guter Fuß­bal­ler ist. Ein Trai­ner ist das nicht. Da muss man die Mann­schaft schon wei­ter­ent­wickeln, und moti­vie­ren, und ein gutes Trai­ning zusam­men­stel­len. Das wird heu­er wie­der nichts. Wir kön­nen froh sein, wenn wir nicht absteigen!“

Der auf die bit­te­re Nie­der­la­ge fol­gen­de Tag war hart. Sehr hart sogar. Der ent­täusch­te Karl scheuch­te uns zwei Stun­den lang erbar­mungs­los über den Platz.

Doch am Sams­tag war der Zorn bereits ver­raucht. Im näch­sten Test­spiel hat­ten wir unse­ren chan­cen­lo­sen Geg­ner mit 7–1 deklas­siert. Und am Abend folg­te der tra­di­tio­nel­le Ein­stand der Neu­zu­gän­ge, die gemein­sam ein Span­fer­kel und fünf Kästen Bier für ihre Mann­schafts­kol­le­gen spendierten.

Wir stopf­ten das zar­te Fleisch mit den frän­ki­schen Klö­ßen in unse­re hung­ri­gen Mägen. Dann floss das Bier in Strö­men. Es war ein typi­scher Abend im Wei­her­fel­de­ner Sport­heim: Feucht­fröh­lich, aus­schwei­fend und ganz schön ein­falls­reich, wenn es dar­um ging, die Bier­quel­le nie ver­sie­gen zu lassen.

„Ver­dammt, wir haben kein Frei­bier mehr.“ Es über­rasch­te nie­man­den, dass Max Hölzelein der­je­ni­ge war, dem der Man­gel als Erster auffiel.

„Dann ist es an der Zeit, die Spiel­füh­rer zu bestimmen.“

Skep­tisch blick­ten wir unse­ren Trai­ner an. Was hat­te das damit zu tun? Und war jetzt wirk­lich der rich­ti­ge Zeit­punkt, mit einem Durch­schnitts­wert von zwei Pro­mil­le den Kapi­tän zu wählen?

„Ich habe mir schon mei­ne Gedan­ken gemacht nach den ersten Wochen“, kün­dig­te Karl an.

Unse­re Blicke durch­bohr­ten den Coach. Nor­ma­ler­wei­se wur­den die Spiel­füh­rer in Wei­her­fel­den von den Spie­lern gewählt. Offen­bar war Demo­kra­tie in den höhe­ren Ligen nicht üblich.

„Ich weiß, ein guter Trai­ner hät­te das vor­her mit euch abge­stimmt. Aber ich bin kein guter Trai­ner.“ Was woll­te er uns mit die­ser Rede nur sagen? War er schon so voll, dass er sich vor ver­sam­mel­ter Mann­schaft um Kopf und Kra­gen redete?

„Ich bin ein sehr guter Trai­ner!“, ergänz­te Karl lachend. Aha. Na dann ist ja alles gut.

„Kapi­tän bleibt Harald. Zwei­ter Kapi­tän: Georg Wei­ler. Drit­ter Kapi­tän: Mar­co Tanner.“

Drit­ter Kapi­tän? In mei­nem jun­gen Alter? Was für eine Ehre!

„Irgend­wel­che Einwände?“

Die Mann­schaft war still.

„Dann ist es beschlos­sen. Erster Kapi­tän: drei Kästen Bier Ein­stand. Zwei­ter Kapi­tän: zwei Kästen. Drit­ter Kapi­tän: ein Kasten. Zahl­bar sofort und ohne Abzug!“

Wir hat­ten also wie­der Bier. Ver­dammt, und mein Geld­beu­tel war doch so schon klamm genug!
Aber wir waren kei­ne gewöhn­li­che Mann­schaft. Wir waren der TSV Wei­her­fel­den! Und sechs Kästen Bier reich­ten uns nicht lan­ge. Nicht an jenem Abend. Als die näch­ste Bier­not aus­ge­bro­chen war und Max schon am Ran­de des Zusam­men­bruchs wegen fort­ge­schrit­te­ner Unter­hop­fung war, hat­te Wil­li die zün­den­de Idee.

„Ach­tung bit­te. Ich habe etwas zu ver­kün­den. Auf­grund sei­ner her­vor­ra­gen­den Ver­dien­ste im Sport­heim des TSV, schla­ge ich den Regis­seur für das Amt des Ehren­spiel­füh­rers vor!“

Ent­gei­stert starr­ten wir Wil­li an. War unser Spiel­lei­ter denn von allen guten Gei­stern ver­las­sen? Ehren­spiel­füh­rer? Der Regis­seur? Sei­ne ein­zi­gen bekann­ten Ver­dien­ste waren, dass er sein gan­zes ver­dien­tes Geld voll­um­fäng­lich in die Kas­se des TSV-Wirt­schafts­be­triebs wei­ter­gab. Wil­li war doch nicht ganz dicht!

Wie vom Don­ner gerührt erhob der Regis­seur den Blick von sei­nem Bier­glas. Er hat­te Trä­nen in den Augen. Ehren­spiel­füh­rer! Er wür­de der Uwe See­ler, Franz Becken­bau­er und Lothar Mat­thä­us des TSV Wei­her­fel­den in einem sein! Gerührt erhob er sich von sei­nem Platz und sag­te mit beben­der Stim­me: „Ich neh­me die­se ehren­vol­le Wahl an!“

Fei­er­lich schritt Wil­li zu ihm, schüt­tel­te ihm die Hand und ver­kün­de­te mit einem dia­bo­li­schen Grin­sen: „Ehren­spiel­füh­rer Regis­seur: Vier Kästen Bier Einstand!“

Da wuss­ten wir, dass unser Spiel­lei­ter ein Genie war.


Sonn­tags­schüs­se II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonntagsschüsse II – Das Bierdeckel-Dilemma

Sonn­tags­schüs­se II – Das Bierdeckel-Dilemma

Nun beginnt also die zwei­te Rei­se des jun­gen Fuß­bal­lers Mar­co Tan­ner über die zuwei­len holp­ri­gen Fuß­ball­plät­ze der Frän­ki­schen Schweiz. Die Leser erwar­ten uri­ge Hand­wer­ker, ein wahn­wit­zi­ger Hei­rats­an­trag, ein ver­häng­nis­vol­ler Bier­deckel, ein fol­gen­schwe­rer Anruf, legen­dä­re Neu­zu­gän­ge und vie­les mehr. Wird dem TSV Wei­her­fel­den der ersehn­te Auf­stieg gelin­gen? Die 332 wit­zi­gen Sei­ten wer­den es beant­wor­ten. Alle Sonn­tags­schüs­se

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Über den Autor

Jonas Phil­ipps lebt mit sei­ner Frau und sei­nen bei­den Söh­nen im Land­kreis Bam­berg. Er schreibt unter­halt­sa­me Roma­ne über Sport und Musik. Aus vie­len Ideen und zahl­rei­chen Gedan­ken zu sei­ner Ver­gan­gen­heit als Ama­teur­kicker und Band­mit­glied ent­ste­hen wit­zi­ge Roma­ne, die Lese­spaß garan­tie­ren. Home­page: www​.jonas​-phil​ipps​.de