Insek­ten­ster­ben auf tro­pi­schen Inseln: Bay­reu­ther For­scher unter­su­chen Fol­gen von Urba­ni­sie­rung und Tourismus

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Tou­ri­sti­sche Nut­zung und eine Aus­deh­nung städ­ti­scher Sied­lungs­for­men ste­hen in direk­tem Zusam­men­hang mit einem mas­si­ven Schwund von Insek­ten­ar­ten auf ozea­ni­schen Inseln. Dies haben Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Bay­reuth jetzt durch For­schungs­ar­bei­ten auf Male­di­ven-Inseln her­aus­ge­fun­den. Auf Inseln mit fort­schrei­ten­der Urba­ni­sie­rung doku­men­tier­ten sie im Schnitt 48 Pro­zent weni­ger Insek­ten­ar­ten als auf unbe­wohn­ten Inseln, auf Tou­ri­sten­in­seln sogar 66 Pro­zent weni­ger Insek­ten­ar­ten. In der Zeit­schrift „Roy­al Socie­ty Open Sci­ence“ berich­tet das von Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth gelei­te­te For­schungs­team über sei­ne Ergebnisse.

Ozea­ni­sche Inseln machen nur etwas mehr als zwei Pro­zent der Land­mas­se der Erde aus. Zugleich beher­ber­gen sie aber rund 20 Pro­zent aller bekann­ten Tier- und Pflan­zen­ar­ten und rund 50 Pro­zent aller welt­weit bedroh­ten Arten. „Das vom Men­schen ver­ur­sach­te welt­wei­te Arten­ster­ben ist auf ozea­ni­schen Inseln in den Tro­pen beson­ders dra­stisch. Lan­ge Zeit gal­ten vom Men­schen ein­ge­schlepp­te Tier- und Pflan­zen­ar­ten als Haupt­fak­tor für den Rück­gang der Arten­viel­falt auf Inseln. Doch das Bevöl­ke­rungs­wachs­tum auf besie­del­ten Inseln, die dadurch beding­te fort­schrei­ten­de Urba­ni­sie­rung, aber auch die zuneh­men­de tou­ri­sti­sche Erschlie­ßung von Inseln füh­ren zu neu­en poten­zi­el­len Bedro­hun­gen für Insel-Öko­sy­ste­me. Des­halb woll­ten wir genau­er unter­su­chen, wie sich Urba­ni­sie­rung und Tou­ris­mus auf die Bio­di­ver­si­tät von Tro­pen­in­seln aus­wir­ken,“ sagt Seba­sti­an Steibl M.Sc., Erst­au­tor der neu­en Studie.

Verschiedene Ökosysteme auf den Malediven: Unbewohnte Insel (links), dauerhaft besiedelte Insel (Mitte), touristisch genutzte Insel (rechts). Fotos und Montage: Sebastian Steibl.

Ver­schie­de­ne Öko­sy­ste­me auf den Male­di­ven: Unbe­wohn­te Insel (links), dau­er­haft besie­del­te Insel (Mit­te), tou­ri­stisch genutz­te Insel (rechts). Fotos und Mon­ta­ge: Seba­sti­an Steibl.

Der Male­di­ven-Archi­pel ist für der­ar­ti­ge For­schungs­ar­bei­ten beson­ders gut geeig­net. Hier las­sen sich drei Arten von Inseln, die nur weni­ge Kilo­me­ter von­ein­an­der ent­fernt sind, klar von­ein­an­der unter­schei­den: unbe­wohn­te Inseln, von der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung bewohn­te Inseln ohne Tou­ris­mus und tou­ri­stisch genutz­te Inseln ohne städ­ti­sche Sied­lungs­for­men. Dadurch las­sen sich die Aus­wir­kun­gen der Urba­ni­sie­rung und des Tou­ris­mus getrennt unter­su­chen. Dies wäre bei­spiels­wei­se auf vie­len Mit­tel­meer­in­seln nicht mög­lich, weil hier bei­de For­men der Land­nut­zung eng ver­knüpft sind. In ihrer jetzt ver­öf­fent­li­chen Stu­die wei­sen die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler am Bei­spiel der Male­di­ven nach, dass einer­seits die tou­ri­sti­sche Land­nut­zung und ande­rer­seits die dau­er­haf­te urba­ne Besied­lung dra­sti­sche Aus­wir­kun­gen auf die Arten­viel­falt tro­pi­scher Inseln hat: In der Regel ver­schwin­det min­de­stens die Hälf­te der Arten von Insek­ten, Krebs­tie­ren und ande­ren Gliederfüßern.

Umfang­rei­ches, von Satel­li­ten pro­du­zier­tes Bild­ma­te­ri­al zeigt, wie eine fort­schrei­ten­de Urba­ni­sie­rung das Öko­sy­stem einer Insel frag­men­tiert. „Fern­erkun­dungs­da­ten füh­ren uns deut­lich vor Augen, wie die Aus­brei­tung städ­ti­scher Sied­lungs­for­men und die tou­ri­sti­sche Land­nut­zung auf die­sen Inseln die natür­li­che Vege­ta­ti­on beein­flusst und damit auch zahl­rei­che Lebens­räu­me von Glie­der­fü­ßern ver­klei­nert“, sagt Dr. Jonas Fran­ke von der Remo­te Sens­ing Solu­ti­ons GmbH, der die Satel­li­ten­da­ten ana­ly­siert hat. Der Rück­gang der Vege­ta­ti­on infol­ge eines zuneh­men­den Flä­chen­ver­brauchs ist nach Ein­schät­zung der Wis­sen­schaft­ler aus­schlag­ge­bend für den star­ken Ver­lust von Insek­ten­ar­ten, der auf den von der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung besie­del­ten Male­di­ven-Inseln zu beob­ach­ten ist. Hin­ge­gen hat die tou­ri­sti­sche Erschlie­ßung von Inseln einen schwä­che­ren Ein­fluss auf die Vege­ta­ti­on. „Auf tou­ri­stisch genutz­ten Inseln ist es ver­mut­lich der Ein­satz von Pesti­zi­den, der den dra­sti­schen Rück­gang der Insek­ten­di­ver­si­tät haupt­säch­lich ver­ur­sacht. Zwar wer­den Pesti­zi­de vor­ran­gig gegen Mos­qui­tos ein­ge­setzt, doch sind ande­re Arten davon mit­be­trof­fen“, erklärt Steibl.

Wel­che lang­fri­sti­gen Fol­gen das jetzt erst­mals doku­men­tier­te Insek­ten­ster­ben auf tro­pi­schen Atoll-Inseln hat, ist noch unge­wiss. Auch hier, ähn­lich wie auf dem Fest­land, über­neh­men Insek­ten, Krab­ben und ande­re Glie­der­fü­ßer wich­ti­ge öko­lo­gi­sche Funk­tio­nen. Hier­zu zäh­len bei­spiels­wei­se die Bestäu­bung von Pflan­zen oder das Kom­po­stie­ren und Recy­celn von Pflan­zen­ma­te­ri­al, nicht zuletzt dem ange­spül­ten See­gras. „Unse­re neu­en Befun­de lie­fern ein­deu­ti­ge Hin­wei­se für die weit­rei­chen­den öko­lo­gi­schen Fol­gen der zuneh­men­den mensch­li­chen Land­nut­zung auf tro­pi­schen Inseln. Wel­che Kon­se­quen­zen und Aus­wir­kun­gen der doku­men­tier­te Rück­gang der Insek­ten­di­ver­si­tät auf Insel-Öko­sy­ste­me hat, müs­sen wei­te­re Stu­di­en in den näch­sten Jah­ren noch genau­er unter­su­chen“, sagt Prof. Dr. Chri­sti­an Laforsch.

Ver­öf­fent­li­chung:

S. Steibl, J. Fran­ke, C. Laforsch: Tou­rism and urban deve­lo­p­ment as dri­vers for inver­te­bra­te diver­si­ty loss on tro­pi­cal islands. Roy­al Socie­ty Open Sci­ence (2021),
DOI: https://​roy​al​so​cie​ty​pu​bli​shing​.org/​d​o​i​/​1​0​.​1​0​9​8​/​r​s​o​s​.​2​1​0​411