Frän­ki­sche Schweiz: Die Braun­ro­te Stän­del­wurz ist Orchi­dee des Jah­res 2022

Die Braunrote Ständelwurz. Foto: A. Riechelmann
Die Braunrote Ständelwurz. Foto: A. Riechelmann

Mit der Wahl der Braun­ro­ten Stän­del­wurz (Epi­pac­tis atroru­bens) zur Orchi­dee des Jah­res 2022 machen die Arbeits­krei­se Hei­mi­sche Orchi­deen in Deutsch­land (AHO) auf eine Spe­zi­es auf­merk­sam, deren Ver­brei­tung inner­halb Deutsch­lands deut­lich zwei­ge­teilt ist. Wäh­rend sie in den Kalk­ge­bie­ten Süd­deutsch­lands (Bay­ern, Baden-Würt­tem­berg) und den angren­zen­den Mit­tel­ge­bir­gen (Hes­sen, Thü­rin­gen) noch recht ver­brei­tet ist, ver­zeich­net sie im Flach- und Hügel­land der Nord­deut­schen Tief­ebe­ne nur noch spo­ra­di­sche Vor­kom­men. Eine Aus­nah­me stel­len ledig­lich die Wuchs­or­te in den Dünen der meck­len­bur­gi­schen Ost­see­kü­ste dar. In der Frän­ki­schen Schweiz gibt es statt­li­che Vor­kom­men mit meh­re­ren Hun­dert Pflan­zen in den auf­ge­las­se­nen Stein­brü­chen von Ret­tern und Urspring sowie in den Wäl­dern im Ailsbachtal.

Der latei­ni­sche Art­na­me atroru­bens bezieht sich auf die Far­be der Blü­ten und bedeu­tet in der Über­set­zung „braun­rot“ oder „dun­kel­rot“. Die älte­ren Namen Vanil­len-Orchis und Strand­va­nil­le brin­gen den ange­neh­men Duft der Pflan­ze zum Ausdruck.

In der Braun­ro­ten Stän­del­wurz begeg­net uns die am frü­he­sten blü­hen­de Stän­del­wurz-Art. Der Blüh­be­ginn liegt Anfang Juni, gele­gent­lich las­sen sich aber auch Mit­te Juli noch blü­hen­de Exem­pla­re fin­den. Die­se Spe­zi­es ist ziem­lich wär­me- und licht­be­dürf­tig. Sie besitzt einen dicken Wur­zel­stock, der waag­recht im Boden mit zahl­rei­chen, eher flei­schi­gen Wur­zeln ver­bun­den ist. Im Herbst bil­det die Pflan­ze am Ende des Rhi­zoms eine neue End­knos­pe. Nach der Win­ter­käl­te und dem letz­ten Frost treibt die End­knos­pe aus und bil­det ab Ende April einen neu­en Spross. Mit dem fort­schrei­ten­den Wachs­tum zeigt sich bald der Ansatz der Knos­pen. Zunächst hängt der Blü­ten­stand über, streckt sich aber bis zum Blüh­be­ginn senk­recht nach oben. Der rote Farb­stoff ist auch in den übri­gen Pflan­zen­tei­len ent­hal­ten. Vor allem der Stän­gel zeigt sich zumin­dest im obe­ren Teil röt­lich über­lau­fen, eben­so der Blü­ten­stiel und der Frucht­kno­ten. Cha­rak­te­ri­stisch ist fer­ner die meist star­ke Behaa­rung von Stän­gel und Frucht­kno­ten samt Stiel, die auch im fruch­ten­den Zustand zunächst erhal­ten bleibt, bis zur Samen­rei­fe aber all­mäh­lich verschwindet.

Die Blü­ten sind ähn­lich wie bei den ande­ren Arten der Gat­tung Stän­del­wurz geformt, aller­dings mit röt­li­chen Blü­ten­blät­tern und hel­lem Inne­ren. Der herz­för­mi­ge, mit gekräu­sel­ten Höckern besetz­te vor­de­re Teil der Lip­pe gilt als Erken­nungs­merk­mal die­ser Art. Die Blü­ten kön­nen bis­wei­len in ihrer Far­be vari­ie­ren. Da die Braun­ro­te Stän­del­wurz zu den Orchi­deen-Nek­tar­blu­men gehört, wird sie von vie­len nah­rungs­su­chen­den Insek­ten besucht und so meist fremd­be­stäubt. Die Blüh­freu­dig­keit der Art hängt von den Nie­der­schlä­gen im Herbst und im Früh­jahr ab. Trocken­pe­ri­oden im Früh­ling dezi­mie­ren die Blü­ten­bil­dung erheb­lich, auch führt Trocken­heit wäh­rend der Blü­te­zeit zum vor­zei­ti­gen Abwelken.

Die licht­lie­ben­de Art wächst am lieb­sten auf Kalk, braucht jedoch zumin­dest kalkhaltigen Grund mit nicht­sau­rer Reak­ti­on des Bodens. Die Braun­ro­te Stän­del­wurz gilt als Pio­nier­art, sie besie­delt vor­zugs­wei­se Mager­ra­sen auf trocke­nen Roh­bö­den sowie nähr­stoff­ar­me Lehm­bö­den. Man kann die Spe­zi­es sowohl in wär­me­lie­ben­den Säu­men und Gebü­schen als auch in lich­ten Kie­fern- und Laub­wäl­dern antref­fen. Im Gegen­satz zu ihren Ansprü­chen an die che­mi­sche Reak­ti­on ist die Braun­ro­te Stän­del­wurz hin­sicht­lich ihrer Anfor­de­rung an die mecha­ni­sche Beschaf­fen­heit des Bodens bemer­kens­wert anpas­sungs­fä­hig. Das Spek­trum reicht von diluvia­len San­den bis hin zu trocke­nen stei­ni­gen Böden oder gar öden Geröll­hal­den. Beson­ders häu­fig besie­delt die Orchi­dee des Jah­res 2022 soge­nann­te Sekun­där­stand­or­te wie Stein­brü­che und Sand­gru­ben sowie Weg- und Straßenränder.

Ein spe­zi­el­ler Schutz die­ser Art erscheint in der Frän­ki­schen Schweiz zur­zeit nicht not­wen­dig. Nicht uner­heb­lich sind jedoch Schä­den durch Rehe und Wild­schwei­ne. Dem Ver­lust von Lebens­räu­men infol­ge von Suk­zes­si­on oder Brach­fal­len ste­hen Neu­be­sie­de­lun­gen geeig­ne­ter Stand­or­te gegen­über, bei­spiels­wei­se in auf­ge­las­se­nen Stein­brü­chen, an Weg­rän­dern, auf Rekul­ti­vie­rungs­flä­chen oder an Bahn­däm­men. Auf län­ge­re Sicht soll­te jedoch auf ein ver­än­der­tes und auf­merk­sa­me­res Beob­ach­ten an den Fund­or­ten hin­ge­ar­bei­tet wer­den, denn Eutro­phie­rung und Suk­zes­si­on könn­ten sich als gefähr­lich für die­se Spe­zi­es erweisen.

Adolf Rie­chelm­ann