Bamberg: Die Coronakrise hat ihre Spuren in der Gesellschaft hinterlassen

Behind_the_mask / Bild: „Behind the mask“ - Tiziana Barbaranelli

Behind_the_mask / Bild: „Behind the mask“ – Tiziana Barbaranelli

Die Coronakrise hat in weiten Teilen der Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen. Spaltungen unterschiedlichster Natur sind entstanden, unabhängig von gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen hat insbesondere die sozialpsychologische Kollateralproblematik zu horrenden Schäden geführt. Mit der Beendigung der einen oder anderen Maßnahme sind negative emotionale Turbulenzen nicht passé. Verletzungswunden verheilen, doch Narben in Form von Traumata bleiben nachhaltig bestehen.

Während einige Menschen nach Vollendung der erforderlichen Wartefrist der vollzogenen Zweitimpfung glücklich ob der neuerworbenen Risikominimierung, welche bei sich halbwegs gesund ernährenden, bewegungsfreudigen Zeitgenossen im schlimmsten Fall die Symptomatik eines leichten grippalen Infekts mit sich bringen könnte, ihre Freunde wieder in die Arme schließen und zu ihrer gewohnten Normalität zurückfinden, betreiben andere wiederum eine übertrieben verkrampfte Distanzgymnastik, welche jenseits jeglicher bislang gewohnter Umgangsformen unseres westlichen Kulturkreises anzusiedeln ist. Das Nähebedürfnis einer von sozialer Isolation aufgrund steriler Sozialkontakte, von Ablehnungsgefühlen gepeinigten Person, prallt mit voller Wucht und Härte auf das Distanzbedürfnis des Gegenübers. Neuartige, höchst befremdliche Begegnungs- und Begrüßungsrituale, wie Körperverrenkungen mit Ellenbogenkicks und flüchtige Faustboxstöße mit den Fingergelenken spiegeln in geradezu perfekter Manier die soziale Kälte einer Ellenbogengesellschaft wider, in welcher so mancher Mensch sich fragen muss, ob und welches Risiko er seinem jeweiligen wertgeschätzten, geliebten Mitmenschen wohl wert zu sein vermag?

Da es erfreulicherweise die Möglichkeit eines mobil mitführbaren Handdesinfektionsmittelchens gibt, welches unterwegs vor der Einnahme von Mahlzeiten Verwendung finden darf, sollten diese hoffentlich temporären Gepflogenheiten, welche zum unweigerlichen Abkühlen zwischenmenschlicher Beziehungen jeglicher Art führen, nun schnell wieder rücktransformiert werden. Besonders spürbar wird die fehlende Nähe und künstlich durchbrochene soziale Interaktion, wenn zusätzlich zum nicht vollzogenen Händereichen auch noch das freundlich-einladende Lächeln unterbleiben muss, da die Mimik unter einer Maske verborgen ist.

Waren im Status des Ungeimpftseins, wildfremden Menschenmassen schutzlos ausgeliefert, Masken zweifelsohne sinnvoll, mutieren sie nunmehr zu lästigen Begegnungsbarrieren, welche die Kommunikation erschweren, gegenseitiges Kennenlernen in Geschäften und bei Veranstaltungen nahezu völlig verhindern, von der ästhetischen Komponente und der physischen Zusatzbelastung mal ganz zu schweigen.

Jüngst wurde in einigen Bundesländern den Kindern der Schulalltag durch die Maskenbefreiung am Platz wieder erleichtert, was in kirchlichen Einrichtungen auch ohne Testnachweise, bzw. 3-G-Reglement, seit ein paar Wochen bereits Usus war.

Dennoch leiden Kinder immer noch unter den Nachwehen der Kontaktbeschränkung auf eine einzige Person. Mit der Aufhebung einer Maßnahme ist sie längst nicht im Innern beendet. Das Zwangsdurchbrechen von Kleeblattkonstellationen hat sensible Seelen in einem Alter, in welchem man üblicherweise nicht den freundschaftlichen Beziehungsstatus in Form eines Rankings offiziell deklarieren muss, häufig überfordert.

Liberale Geister mit entsprechender Wertepriorisierung verspüren spätestens seit Beendigung ihrer Durchimpfung wieder das dringliche Bedürfnis nach normalem Umgang miteinander, möchten sich wieder als Mensch angenommen fühlen, nicht wie Aussätzige behandelt werden und gehen dem auch nach; empathische Persönlichkeiten aller Erfahrung nach ebenso, da ihnen die psychosomatischen Tränen mehr Schmerz bereitet, als die Kopf- und Gliederschmerzen einer potentiellen Viruserkrankung. Gegenseitige Missverständnisse aufgrund falsch verstandener Rücksichtnahme in die eine oder andere Richtung sind somit keine Seltenheit. Inzwischen ist die Erkenntnis, dass aufgrund der circa eintägigen Infektionsgefahr, die von ausgestoßenen Aerosolen ausgeht, die Nutzung einer aktuell unbemannten, unbefensterten Sanitäranlage, eines Aufzugs oder kleinen Geldautomatenraums, ein sehr viel höheres Infektionsrisiko in sich bergen, als ein zwischenmenschlicher analoger Kontakt im Freien oder in einem großen Raum.

Auf Dauer kann man von Abwehrsignalen umgeben nicht leben. Viele leiden massiv unter der zwischenmenschlichen Entfremdung und Veroberflächlichung ihrer extrafamiliären sozialen Kontakte.

In jedem Fall ist es der Lebensfreude und damit der ganzheitlichen Gesunderhaltung nicht dienlich, dauerhaft auf physischer Distanz zu leben. Der Mensch profitiert von positiven Berührungen, sie setzen das Hormon Oxytocin frei und stärken erwiesenermaßen das Immunsystem. Demzufolge sollten die Menschen wieder in die Spur zurückfinden und sowohl eigene Berührungsängste, als auch die Angst vor den Berührungsängsten anderer durch Mut zur ursprünglich menschenwürdigen Begegnung ersetzen, damit der vermeintliche Nutzen nicht größer ist, als der Schaden, der durch die Berührungsabstinenz angerichtet wird. Fazit: Berührungen sind wichtig und unverzichtbar. Lassen wir sie zu! „Feel welcome and celebrated not only tolerated“.

Sandra Dorn, Bamberg am 01.10.2021