GEW Bay­ern zum Schul­jah­res­be­ginn: Neu­es Schul­jahr, alte Vorzeichen?

Die Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) Bay­ern geht mit gemisch­ten Gefüh­len ins neue Schul­jahr. Eine knap­pe Woche vor Schul­be­ginn schei­nen die alten Vor­zei­chen auch wei­ter­hin zu gel­ten. Sowohl hin­sicht­lich des Lehr­kräf­te­man­gels als auch in Bezug auf den Gesund­heits­schutz kri­ti­siert die Bil­dungs­ge­werk­schaft das Aus­blei­ben von wir­kungs­vol­len Maßnahmen.

Dass das neue Schul­jahr ange­sichts stei­gen­der Inzi­den­zen und einer pro­gno­sti­zier­ten vier­ten Wel­le erneut stark durch die Coro­na-Pan­de­mie geprägt sein wird, ist wohl unstrit­tig. Auf­grund der ernüch­tern­den Erfah­run­gen aus dem Distanz­un­ter­richt und den nega­ti­ven Fol­gen für vie­le Kin­der und Jugend­li­che setzt das Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um nun auf „vol­len Prä­senz­un­ter­richt“. Inzi­denz­ab­hän­gi­ge Stu­fen­plä­ne für Wech­sel- oder Distanz­un­ter­richt gibt es jetzt kei­ne mehr. Ein Blick nach Nord­rhein-West­fa­len zeigt jedoch schon kur­ze Zeit nach Beginn des Schul­jah­res, dass die Inzi­den­zen unter den Kin­dern und Jugend­li­chen ein Viel­fa­ches der Inzi­denz der erwach­se­nen Bevöl­ke­rung betra­gen. Auch wenn schwe­re Ver­läu­fe bei Kin­dern und Jugend­li­chen sel­ten sind, muss alles getan wer­den, um sie best­mög­lich zu schüt­zen. So ver­sprach Kul­tus­mi­ni­ster Pia­zo­lo: „Daher tun wir beim Infek­ti­ons­schutz an den Schu­len alles, was mach­bar ist“ (Ende Juli in einem Brief an die Eltern).

Eine Woche vor Schul­jah­res­be­ginn scheint aller­dings alles Mach­ba­re nicht viel Neu­es zu sein. Es bleibt zu Schul­be­ginn bei Mas­ken­pflicht, auch am Platz. Drei­mal in der Woche wird mit Anti­gen-Schnell­tests gete­stet. In Grund- und För­der­schu­len mit ent­spre­chen­den För­der­schwer­punk­ten sol­len bis Ende Sep­tem­ber zuver­läs­si­ge­re und kind­ge­rech­te PCR-Pool­tests die Schnell­tests erset­zen. Wer geimpft ist, muss sich nicht mehr testen las­sen. Und, obwohl seit über einem Jahr dis­ku­tiert, vehe­ment gefor­dert und vor den Som­mer­fe­ri­en von Mini­ster­prä­si­dent Söder ver­spro­chen, exi­stie­ren in der Brei­te kei­ne tech­ni­schen Lüf­tungs- oder Luft­fil­ter­an­la­gen. Wich­tig­ste Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­me wird auch wei­ter­hin das Lüf­ten bleiben.

Die Lan­des­vor­sit­zen­de der GEW, Mar­ti­na Bor­gend­a­le, kann das nicht nach­voll­zie­hen: „Kin­der unter zwölf sind die letz­te Bevöl­ke­rungs­grup­pe, die nicht geimpft wer­den kann. Es liegt in unse­rer Ver­ant­wor­tung, sie mit allen zur Ver­fü­gung ste­hen­den Maß­nah­men zu schüt­zen. Wir wis­sen immer noch zu wenig über die Lang­zeit­fol­gen von Covid-19. Der Mini­ster­prä­si­dent hat­te mobi­le Luft­fil­ter in jedem Klas­sen­zim­mer ver­spro­chen, die Kom­mu­nen aber mit unzu­rei­chen­der För­de­rung und vie­len unge­klär­ten Fra­gen über Fol­ge­ko­sten, Rechts­si­cher­heit und Art der Gerä­te allein gelas­sen. Ich hät­te es nicht für mög­lich gehal­ten, dass wir wie­der vor einer ähn­li­chen Situa­ti­on ste­hen wie im letz­ten Schul­jahr. Es wird im Win­ter erneut kalt wer­den in den Klassenzimmern.“

Distanz­un­ter­richt steht zwar nicht zur Dis­kus­si­on, dürf­te aber ange­sichts des Stan­des der Digi­ta­li­sie­rung auch wei­ter­hin kaum qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig umsetz­bar sein. Immer noch war­tet im Bil­dungs­be­reich ein Groß­teil der Beschäf­tig­ten auf Dienst­ge­rä­te, die daten­schutz­kon­for­mes und mobi­les Arbei­ten ermög­li­chen. Das Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um rühmt sich mit dem in Koope­ra­ti­on mit dem Bund bereit­ge­stell­ten „Son­der­bud­get Leh­rer­dienst­ge­rä­te“ in Höhe von 92,8 Mil­lio­nen Euro und auch aus dem Digi­tal­Pakt Schu­le soll Geld flie­ßen. Doch mit Geld allein ist es nicht getan.

„In erster Linie müs­sen in Abspra­che mit den Beschäf­tig­ten ange­mes­se­ne Gerä­te ange­schafft wer­den, die den Anfor­de­run­gen genü­gen. Dann ist es wich­tig, alle Beschäf­tig­ten ent­spre­chend zu schu­len und die bereits erstell­ten Medi­en­kon­zep­te an die Rea­li­tät anzu­pas­sen. Die Gerä­te müs­sen außer­dem genau wie die Schüler*innengeräte admi­ni­striert, gewar­tet und in die Netz­wer­ke ein­ge­bun­den wer­den. Das kön­nen kei­ne Lehr­kräf­te über­neh­men, da braucht es neben den Systembetreuer*innen aus den Kol­le­gi­en pro­fes­sio­nel­le tech­ni­sche Admi­ni­stra­ti­on. System­be­treu­en­de Lehr­kräf­te benö­ti­gen die Kapa­zi­tä­ten, um sich um päd­ago­gi­sche und medi­en­di­dak­ti­sche Fra­gen zu küm­mern. Und mit einer ein­ma­li­gen Inve­sti­ti­on ist es hier auch nicht getan. Nach drei bis vier Jah­ren ist ein neu­es Dienst­ge­rät nötig“, so Flo­ri­an Kohl, stell­ver­tre­ten­der GEW-Vorsitzender.

Die Leh­rer­be­darfs­pro­gno­se vor den Som­mer­fe­ri­en ließ lan­ge auf sich war­ten. Und wenig über­ra­schend – es herrscht wei­ter­hin ein ekla­tan­ter Lehr­kräf­te­man­gel an Grund‑, Mit­tel- und För­der­schu­len in Bay­ern. Nach­dem man im letz­ten Schul­jahr die dienst­recht­li­chen Maß­nah­men aus­reiz­te und die Arbeits­be­din­gun­gen der Lehr­kräf­te ins­ge­samt durch Stun­den­er­hö­hung, Ein­schrän­kung von Teil­zeit, Abschaf­fung sämt­li­cher Sab­bat­mo­del­le und des vor­zei­ti­gen Ruhe­stan­des ver­schlech­ter­te, ver­sucht man in die­sem Schul­jahr vor allem mit Quereinsteiger*innen die Lücken zu schlie­ßen. Die­se sol­len im Ganz­tag, in Rand­fä­chern wie Kunst, Musik oder Sport oder auch im vor­schu­li­schen Bereich Lehr­kräf­te­stun­den erset­zen. Ver­ant­wort­lich für die Stel­len­be­set­zun­gen sind die eh schon am Ran­de ihrer Belast­bar­keit ste­hen­den Schulleitungen.

Dazu Mar­ti­na Bor­gend­a­le: „Man kann kei­ne Lehr­kräf­te her­zau­bern, das ist klar. Aber es ist unsäg­lich, dass das Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um die Maß­nah­men nicht als das bezeich­net, was sie sind: Kri­sen­ma­nage­ment in einem maro­den Bil­dungs­sy­stem, das den Anfor­de­run­gen der heu­ti­gen Zeit nicht mehr gerecht wird. Der Lehr­kräf­te­man­gel ist gemacht und das Kul­tus­mi­ni­ste­ri­um hät­te vor Jah­ren schon gegen­steu­ern müs­sen. Leid­tra­gen­de sind jetzt die Lehr­kräf­te und Schul­lei­tun­gen, deren Arbeits­be­la­stung Jahr für Jahr wei­ter steigt, und letz­ten Endes vor allem Kin­der und Jugend­li­che, die mit einem Ver­lust an Bil­dungs­qua­li­tät rech­nen müssen.“

Ihr Stell­ver­tre­ter Flo­ri­an Kohl ergänzt: „Wir brau­chen eine öffent­li­che Dis­kus­si­on über alle Struk­tu­ren, die unse­re Kin­der betref­fen: Eine fle­xi­ble und ver­än­der­te Lehr­kräf­te­aus­bil­dung, mul­ti­pro­fes­sio­nel­le Teams, ver­mehrt auch im Ganz­tag, und vor allem Kraft und Zeit auf Sei­ten der Kol­le­gi­en, um Schul­ent­wick­lung vor­an­trei­ben zu kön­nen. Es darf kein „wei­ter so wie vor der Pan­de­mie“ geben, denn die schu­li­sche Rea­li­tät war auch da schon nicht gut genug für alle Kin­der. Wir müs­sen wei­ter­hin an ein Bil­dungs­ide­al glau­ben, das allen Kin­dern gerecht wird und Arbeits­be­din­gun­gen schafft, in denen alle Beschäf­tig­ten gute, ent­spre­chend ent­lohn­te und siche­re Arbeit lei­sten können.“