Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 33

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Der Bock

Die bei­den Metz­ger­söh­ne erzäh­len schon wie­der schwei­ni­sche Wit­ze. Trotz schwar­zer Arm­bin­de. Der Jün­ge­re ritzt immer wie­der die all­seits bekann­te Rau­te an Häu­ser­wän­de. Das von den Jun­gen begrin­ste Fot­zen­zei­chen samt Mit­tel­strich, bei dem die Mäd­chen sich geniert abwen­den. Jakob sieht, dass es mit ihrer Trau­er nicht mehr weit her sein kann. An Sonn­ta­gen lau­fen die bei­den im Jackett auf der Stra­ße her­um, grei­fen sich immer wie­der mal in die lin­ke Brust­ta­sche, zei­gen bun­te Geld­schei­ne, las­sen sie am Dau­men vor­bei glei­ten, wie man ein Buch durch­blät­tert, spü­ren nicht, wie sie dabei Freun­de verlieren.

*

Da drau­ßen bei den Sie­ben Lin­den hat er vor ein paar Tagen mit Andi eine unglaub­li­che Ent­deckung gemacht. Als sie sich im Schat­ten der mäch­ti­gen Baum­grup­pe von Ast zu Ast han­geln woll­ten, war ein ange­pflock­ter, schmut­zig wei­ßer Zie­gen­bock auf sie zu gestürmt. Nur die knap­pe Seillän­ge konn­te damals ver­hin­dern, dass Jakob zu Boden gerammt wur­de. Bei der zwei­ten Attacke schätz­te er das Seil ab und konn­te ihn an den gerif­fel­ten Hör­nern in Emp­fang neh­men. Als der Bock sei­ne Kraft gegen den Klam­mer­griff aus­ge­drückt hat­te und los­ge­las­sen wur­de, da tat er etwas, was kei­ner von ihnen jemals zuvor gese­hen hat­te, ja über­haupt für mög­lich gehal­ten hät­te. Er dreh­te den Kopf nach hin­ten, hob ein Bein in Hun­de­ma­nier und spritz­te sich selbst einen gol­de­nen Strahl ins Maul. Auf dem Heim­weg plag­te die Bei­den der Gedan­ke, dass ihnen kei­ner so etwas Ver­rück­tes glau­ben wür­de. Am fol­gen­den Tag über­zeug­ten sie sich, dass die­ses Natur­wun­der wie­der­hol­bar war.

*

Einen Zie­gen­bock wüss­ten sie, der sich selbst ins Maul schifft.

Damit kön­nen sie unter den Lang­wei­lern und Stu­ben­hockern immer wie­der Ungläu­bi­ge, Sen­sa­ti­ons­lü­ster­ne und Neu­gie­ri­ge rekru­tie­ren, die für die­sen Anblick bereit sind, bares Geld zu opfern.

Die Söh­ne des Metz­gers sind sofort bereit, pro Per­son fünf Mark her­aus­zu­rücken, zah­len schon im Vor­aus, radeln mit, schüt­teln dann aber beim Anblick des Natur­wun­ders nur trä­ge ihre Köpfe.

Der Älte­re kann ja schon mit dem Bol­zen­schuss­ap­pa­rat umge­hen. Trägt ihn, wie ein Cow­boy sei­nen Colt am Gür­tel trägt. In einem Leder­etui. Sogar nach der Arbeits­zeit. Lässt sich ger­ne bit­ten, den Pfer­de­tö­ter auszupacken.

Sagt manch­mal: Spä­ter. Oder: Heu­te nicht.

Den Jun­gen, die schon fünf­zehn oder sech­zehn sind, hat er auch gezeigt, wie man die Patro­ne ein­legt, wo man ihn anset­zen muss, wie tief der Stahl­dorn ins Pfer­de­ge­hirn eindringt.

Trotz des ein­ge­nom­me­nen Gel­des macht sich Jakob ein Vorwurf.

Die­sen unwür­di­gen Zuhau­se­blei­bern hat er Ein­blick in sein wil­des Reich gewährt. Selbst hier drau­ßen in der frei­en Natur fum­meln die noch an ihren däm­li­chen Geld­bör­sen herum.

Schwar­zes, mat­tes Leder. Mit Fächern für Geld­stücke und Geld­schei­ne in ver­schie­de­nen Grö­ßen. Nie­mals wür­den die zu ihrer Cli­que gehö­ren. Wol­len den geröl­li­gen Weg zum Cal­len­berg nicht fah­ren. Wegen ihrer neu­en Rei­fen­pro­fi­le. Las­sen sich lie­ber bequem die Geleit­stra­ße hin­un­ter rollen.

*

Jakob und Andi kom­men nach Tagen wie­der an der Lin­den­grup­pe vor­bei. Sie wol­len das Natur­wun­der her­bei­ru­fen. Nur noch der beil­ge­plät­te­te Holz­pflock steckt zwi­schen den Wur­zeln wie ein Pilz. Andi zieht ihn her­aus und wirft ihn in ein Gebüsch.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839