Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 28

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Prin­ce Albert

Ami-Nut­ten ist ein gutes Wort. Dass ist, als ob man auf jemand spucken darf. Sie haben es von den Älte­ren auf­ge­schnappt. Die Ver­ach­tung bloß nicht zei­gen. Wer weiß, was pas­siert, wenn die ihre Amis zu Hil­fe rufen wür­den. Auch wer­den sie beneidet.

Pork, Beef, Pineapp­le, Nes­ca­fe, Pea­nut-But­ter, Camels. Hät­te man auch ger­ne. Die kön­nen auch Ame­ri­ka­nisch. Ihre schrei­end roten Mün­der lachen auch schon irgend­wie amerikanisch.

Ihre Pet­ti­coats stei­gen in end­lo­se rosa Cadil­lacs mit ver­chrom­ten Tast­füh­lern, flat­tern ein­ge­klemmt an der Wagen­tür der Stra­ßen­kreu­zer. Die Väter und älte­ren Brü­der hal­ten die Schnau­ze, geknickt von aus­ge­träum­ten Sie­ges­träu­men und von der Kriegsgefangenschaft.

*

Jakob und Andi trei­ben sich vor dem berüch­tig­ten Resi­denz Café her­um, hef­ten sich an ihre Fer­sen. Nicht die Zier­näh­te der Nylons, nicht die bon­bon­far­be­nen Kla­mot­ten, nicht das anrü­chi­ge Gewer­be zie­hen die Brü­der an. Es sind die Ziga­ret­ten­kip­pen, extra lang, hell­ro­te oder him­beer­far­be­ne Lip­pen­stift­spu­ren. Teils ver­schmiert, teils mit den Abdrücken fein­ster Lip­pen­fält­chen auf den Kork­fil­tern. Immer schön war­ten. Nicht spöt­tisch, bes­ser gleich­gül­tig schau­en, wenn so eine Par­füm­wol­ke vor­bei­stöckelt. Der begehr­te Tabak darf sich nicht unge­nutzt auf dem Asphalt selbst auf­rau­chen. Die­se Wei­ber haben das Zeug stan­gen­wei­se. Die Mama hat gesagt, die­se Weibs­bil­der hät­ten Angst vor Krebs, rauch­ten von jeder nur ein paar Züge. Irgend­ei­ne Prin­zes­sin soll sogar vor den Amis auf dem blan­ken Tisch getanzt haben. Nackig und besoffen.

*

Immer eine klei­ne Sche­re in der Leder­ho­se. Zuerst die schwar­ze Stel­le abschnei­den. Dann der ekli­ge Teil – das lip­pen­stif­ti­ge Mund­stück abbre­chen und rot ver­schmier­tes Papier mit den Fin­ger­nä­geln auf­rei­ßen. Die Mut­ter wür­de sie schimp­fen, wenn sie ihre Jun­gen so sehen könn­te. Der Vater sich schä­men, aber wegschauen.

Die brau­ne Aus­beu­te wan­dert in die rot lackier­te Blech­do­se. Ein steif daste­hen­der Mann im kur­zen Man­tel ist dar­auf zu sehen, Nel­ke im Kra­gen­knopf­loch. Spa­zier­stock in der Hand. Glat­ze und Bart. PRIN­CE ALBERT steht über dem Bild. Und noch vie­le ande­re Wör­ter in Ame­ri­ka­nisch. Lie­ber nicht den älte­sten Bru­der fra­gen, was da alles steht. Der raucht ihnen dann womög­lich den gan­zen Vor­rat weg. Vie­len Ami-Nut­ten müs­sen sie hin­ter­her schlei­chen, bis die Dose voll ist. Drei Mona­te bis zum Geburts­tag des Vaters.

Noch heu­te wer­den sie eine Hand­voll Trocken­pflau­men in die Dose tun. Der Tabak, unrein gewor­den durch die Lip­pen­schmie­re, muss sich rei­ni­gen, den Wohl­ge­ruch der Früch­te in sich hin­ein­zie­hen. Nur sie ken­nen das Dosen­ver­steck. In der alten Lin­ole­um­rol­le auf dem Dach­bo­den. Der Vater wird sich freuen.

Aber nicht danach fra­gen, wie oft sie sich hat­ten bücken müssen.

Auch er hat­te es schon drei Mal getan. Nie wür­de er das zuge­ben. Nie.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839