Predigt von Regionalbischöfin Dr. Greiner zum 100-jährigen Bestehen des Kirchenkreises Bayreuth

r. Dorothea Greiner auf der Kanzel der Stadtkirche in Bayreuth. Foto: Heike Rost
r. Dorothea Greiner auf der Kanzel der Stadtkirche in Bayreuth. Foto: Heike Rost

Redemanuskript zur Predigt von Frau Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner. Es gilt das gesprochene Wort.

100 Jahre Kirchenkreis

„Jesus Christus herrscht als König, alles wird im untertänig“. Dieses Lied begleitet uns durch den Gottesdienst. Heikel (!) könnte man meinen – wenn man dieses Lied in Sinne eines Machtanspruches der Kirche über den Staat verstehen würde.

Das ist es aber gerade nicht. Denn dieser König sagt von sich: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ – und damit ist jeder Machtanspruch der Kirche über weltliche Organisationen hinfällig, sofern wir in der Kirche unserem Herrn gemäß leben. Und das wollen und sollen wir.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Diese Aussage Jesu vor Pilatus ist darum einer der großen befreienden Sätze der Bibel. Es befreit ein christusgemäßes Christentum von falschen – weltlichen – Machtansprüchen.

Pilatus ist freilich scharfsinnig, weil er zugleich den anderen Machtanspruch hört und fragt: „So bist Du dennoch ein König?“ Denn wenn Jesus sagt: „Mein Reich“ – hat er also doch ein Reich. Und Jesus antwortet: „Du sagst es: Ich bin ein König.“

Nur was für einer! Alle, die gerne die Hosenträger schnalzen lassen und den starken Mann geben wollen – oder die herrische Frau – sei es in privaten Wohnungen oder in öffentlichen Demos – die müssten sich eigentlich mit Grausen von diesem Christus-König abkehren. Denn der kommt statt auf einem stolzen Ross auf einem Esel geritten und wäscht kniend – wie ein Diener – die Füße seiner Jünger und sagt ihnen: „Wer von euch der Erste sein will, sei euer aller Diener“. Viele, die meinen, sie seien christlich, haben nicht verstanden, was es heißt, diesem König zu dienen und zu beten: „Dein Reich komme“.

So wenig ein weltlicher Machtanspruch mit dem Christsein einhergehen kann, so sehr ist doch ein Gestaltungswille für diese Welt mit ihm verbunden. Denn Gott sandte seinen Sohn in die Welt hinein, damit die Welt gerettet wird. Christi Reich ist nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt, durchwirkt sie wie ein Sauerteig, damit Liebe und Wahrheit, Freiheit und Versöhnung sich in dieser Welt verbreiten. Gott sucht Menschen, sucht uns, dass wir Bürger seines Reiches sind. – Freilich gegenteilig zu Menschen, die sich in unseren Tagen Reichsbürger nennen und sich exterritorial gebärden. Wer Bürger in Gottes Reich ist, begibt sich in diesen Staat, in die vorfindliche Situation hinein und gestaltet sie im Dienst für Gott und die Menschen.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.“ Und: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ – in der Liebe. So Luther in seiner Freiheitsschrift. Solche freie Christenmenschen finden wir im Kirchendienst und im Staatsdienst, im Haushalt und im Handwerk.

Als freie Christenmenschen haben die Regierungspräsidentin und ich bewusst gemeinsam zu diesem Gottesdienst eingeladen. Direkt unter diesem Chorraum findet sich die Markgrafengruft. Wer noch nicht dort war, sollte hinabsteigen. Er sieht dort die Sarkophage der Markgrafen, die für unsere lutherische Kirche im damaligen Markgraftum die Verwaltungs- und Organisationsseite des Bischofsamtes innehatten. Dies war als Notordnung eingeführt worden, weil kein einziger Bischof der mittelalterlichen Kirche evangelisch geworden war. Diese Notverbindung von Staat und Kirche trug immerhin vier Jahrhunderte.
In gewisser Weise ist die Regierungspräsidentin Nachfolgerin unserer Bayreuther Markgrafen.
Freilich hat mittlerweile die Weimarer Verfassung die Beziehung von Staat und Kirche grundlegend geändert und auf heute noch durch das Grundgesetz gültige tragende Füße gestellt.

Blicken wir kurz zurück: Bis November 1918 bestanden in Bayern zwei Königlich-protestantische Konsistorien in Ansbach und Bayreuth am Sitz der Markgrafen und das Königlich-protestantische Oberkonsistorium in München; denn der römisch-katholische König war bis dahin oberster Bischof – summus episcopus – der so genannten „Protestantischen Gesamt-Gemeinde in dem Königreiche“.
Ab dem 15. November 1918 gingen die Rechte des Summepiskopats zunächst auf das Kultusministerium über – bis die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 endgültig die Trennung von Staat und Kirche vollzog. Die Kirchen erhielten das Recht – innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts – ihre Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten als Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Damit durfte und musste unsere Kirche sich eine eigene Verfassung geben:
Im September 1920 wurde die künftige Kirchenverfassung von der Generalsynode beschlossen, die zum 1.1.1921 in Kraft trat. In Art. 54 hieß es: „Das Gebiet der Landeskirche wird in Kreise eingeteilt. In ihnen üben die Kreisdekane oberhirtliche Tätigkeit aus. Sie sind Oberkirchenräte und haben Sitz und Stimme im Landeskirchenrat.“

So ist es bis es bis heute, nur sind wir Kreisdekane heute doppelt so viele, sechs an der Zahl und unsere Amtsbezeichnung ist Regionalbischof – nicht nur weil es eine bischöfliche Aufgabe ist, sondern auch, weil der Titel Kreisdekan missverständlich war und viele meinten der Bayreuther Dekan sei zuständig für die Stadt Bayreuth und der Kreisdekan für den Landkreis Bayreuth. Diese Zuschreibung konnte beiden nicht recht sein.

Zurück aus der Geschichte in die Gegenwart:
Welch ein Schatz ist es für unseren Staat und unsere Kirche, dass da Vertreter von Staat und Kirche gemeinsam beten können. Dass die Regierungspräsidentin und ich uns zusammen-setzen und überlegen, wofür wir Gott dankbar sind, das ist ein Geschenk gemeinsamen Lebens in Gottes Reich – ebenso die Fürbitten, die noch folgen.
Wir haben in Staat und Kirche unterschiedliche Aufgaben, die uns auch manchmal in Reibung zu einander bringen. So wärmt uns manchmal die Reibung in der Flüchtlingsthematik. Wir haben aufeinander gehört und geachtet und Wege beschritten, die wir wechselseitig verantworten konnten in großem Respekt für einander. Und manches Erstaunliche ist so gelungen.

Die Achtsamkeit für einander ist für beide Seiten ein solch hohes Gut, das wir umso mehr schätzen als Staat und Kirche in unserem Land im Dritten Reich eine grauenvolle Schreckenszeit durchlebt haben:
Der Staat hatte das christliche Wertegefüge verlassen, sodass die Kirchen zu Gegnern wurden, wenn sie sich nicht vereinnahmen ließen.

Die Kirchen wiederum versagten in weiten Teilen furchtbar durch ihre fehlende Zeugenschaft für den einen Herrn und König Jesus Christus und die fehlende Liebe zu allen Menschen, seien sie Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle.

Aufgrund unserer Geschichte sensibilisiert ist es doch so, dass wir gegenwärtig gemeinsam in Sorge sind, wie bei Querdenkern, Coronaleugnern und Rechtspopulisten Kräfte in unserer Gesellschaft spaltend wirksam sind, die erneut grundlegende christliche Werte verlassen.
Dieses Leugnen der Gefahren der Pandemie wurzelt in einem zutiefst unchristlichen Freiheitsverständnis, das nur die eigene Freiheit meint, die auf Kosten anderer gelebt wird. Dieses Pochen auf eigene Freiheitsrechte hat die Liebe verlassen, weil es die Augen vor den Opfern verschließt und dem, was die Menschen im Gesundheitswesen seit über einem Jahr leisten. Es zeigt sich ein diabolisches Spielen mit Wahrheit – diabolisch im eigentlichen Sinne des Worte: „durcheinanderwerfen“. 80.000 Tote durch die Pandemie werden schlicht geleugnet.

Unser Bibelwort endet mit der Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Und eigentlich müsste er sehen, dass die Wahrheit vor ihm steht in Person. Christus und das Leben mit ihm bringt wahre Freiheit, wahre Liebe.
„Dein Reich komme!“ Das werden wir nachher im Vaterunser alle erbitten – auch für unser Leben in unseren Familien, für unsere Gesellschaft. Wir gehen auf Gottes Reich zu und glauben, dass er uns im Tod in sein Reich holt. Doch wir erleben Gottes Reich auch hier schon – gerade in schwierigsten Situationen wie jetzt in der Pandemie. Viele Menschen in den verschiedensten Berufen sind für andere da – unter noch größerer Kraftanstrengung wie früher.

Als Christen tun wir unseren Dienst gestärkt, sei es in Kirche oder Staat, Wirtschaft oder Familie oder wo auch immer. Wir sind zugleich Bürger und Bürgerinnen in Gottes Reich und sind gewiss, dass unser König uns dient und hilft zu leben und anderen aus freier Überzeugung zu dienen.

Seit unserem Theologiestudium kennen mein Mann und ich einen Satz. Wir sagen ihn manchmal dankbar, manchmal in schwieriger Situation hoffnungsvoll. Er besteht nur aus drei Worten: „Es wird regiert“.
Dieses „es wird regiert“ ist nämlich Teil eines Zitates. Es stammt von Karl Barth, der im Dritten Reich einer der großen Theologen war und den Widerstand stützte – einer, der nur Christus gelten ließ als Wahrheit, die uns leitet. Mit seinen Worten tröstet er seinen besten Freund:
„Ja, die Welt ist dunkel. … Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regiment! Darum fürchte ich mich nicht! … Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns …! – Es wird regiert!“

Diese Worte sagte Barth am Tag vor seinem Tod. Da hat er vielleicht schon etwas mehr gespürt von der Welt Gottes und von dem, was er dann mit neuen Augen sehen wird. Und gewiss war auch die Lebenserfahrung dabei, die vielleicht auch Sie immer wieder machen, – dass sich Wege öffnen zum Frieden, dass echter Dienst für die Menschen da ist, Liebe und Wahrhaftigkeit. Und das wird nie aufhören, weil er regiert.

Darum: „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie!“

Amen.