Uni­ver­si­tät Bay­reuth erforscht nach­hal­ti­ge Stick­stoff­um­wand­lung: Neu­es DFG-Schwerpunktprogramm

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Die Uni­ver­si­tät Bay­reuth koor­di­niert ein von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) neu ein­ge­rich­te­tes Schwer­punkt­pro­gramm. Im Mit­tel­punkt der For­schungs­ar­bei­ten steht die nach­hal­ti­ge Gewin­nung von indu­stri­ell ver­wert­ba­rem Stick­stoff. Hier­für sol­len von ver­schie­de­nen Arbeits­grup­pen in Deutsch­land inno­va­ti­ve, nach­hal­ti­ge Ver­fah­ren ent­wickelt wer­den, die deut­lich weni­ger Ener­gie ver­brau­chen und weni­ger CO₂ frei­set­zen als das seit hun­dert Jah­ren übli­che Haber-Bosch-Ver­fah­ren. Das in Euro­pa ein­zig­ar­ti­ge For­schungs­pro­gramm ist für sechs Jah­re ange­legt und wird von der DFG mit rund 6,5 Mil­lio­nen Euro geför­dert. Koor­di­na­tor ist der Bay­reu­ther Phy­si­ko­che­mi­ker Prof. Dr. Roland Marschall.

Prof. Dr. Roland Marschall an der Apparatur für Gasphasen-Photokatalyse in seinem Bayreuther Labor für Physikalische Chemie. Foto: C. Wißler.

Prof. Dr. Roland Mar­schall an der Appa­ra­tur für Gas­pha­sen-Pho­to­ka­ta­ly­se in sei­nem Bay­reu­ther Labor für Phy­si­ka­li­sche Che­mie. Foto: C. Wißler.

Stick­stoff ist der Haupt­be­stand­teil von Dün­ge­mit­teln und auch in zahl­rei­chen wei­te­ren Indu­strie­er­zeug­nis­sen unent­behr­lich. Fast jedes dar­in ent­hal­te­ne Stick­stoff­atom stammt aus Ammo­ni­ak. Das zur Her­stel­lung von Ammo­ni­ak welt­weit ein­ge­setz­te Ver­fah­ren wur­de zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts von den Che­mi­kern Fritz Haber und Carl Bosch ent­deckt. Sei­ne gro­ße wirt­schaft­li­che Bedeu­tung ergibt sich aus einer che­mi­schen Beson­der­heit: Stick­stoff exi­stiert haupt­säch­lich in Form von Distick­stoff-Mole­kü­len (N₂), die fast 80 Pro­zent unse­rer Luft aus­ma­chen. In die­sen Mole­kü­len sind zwei Stick­stoff­ato­me durch eine äußerst star­ke Drei­fach­bin­dung anein­an­der gebun­den. Das Haber-Bosch-Ver­fah­ren ist bis­lang das ein­zi­ge indu­stri­el­le Ver­fah­ren, das imstan­de ist, die­se Bin­dung auf­zu­bre­chen. Dabei wer­den Distick­stoff und Was­ser­stoff (H₂) in Ammo­ni­ak umge­wan­delt. Ammo­ni­ak-Mole­kü­le ent­hal­ten jeweils nur ein ein­zel­nes Stick­stoff-Atom und bil­den so einen Roh­stoff für eine Viel­zahl stick­stoff­hal­ti­ger Produkte.

Das Haber-Bosch-Ver­fah­ren hat jedoch einen wesent­li­chen Nach­teil: Es ver­braucht sehr viel Ener­gie und ist mit hohen Emis­sio­nen des Treib­haus­ga­ses CO₂ ver­bun­den. Das neue Schwer­punkt­pro­gramm (SPP 2370) soll des­halb umwelt­freund­li­che und kosten­gün­sti­ge Alter­na­ti­ven erfor­schen, um aus Distick­stoff indu­stri­ell ver­wert­ba­ren Stick­stoff zu machen. Dies kann, aber muss nicht not­wen­di­ger­wei­se durch die Erzeu­gung von Ammo­ni­ak gesche­hen. Aller­dings ist Ammo­ni­ak inso­fern vor­teil­haft, als es nicht nur ein Stick­stoff­atom, son­dern auch drei Was­ser­stoff-Ato­me ent­hält. Des­halb gilt es in der For­schung als ein attrak­ti­ves Medi­um für die Spei­che­rung von Was­ser­stoff. Im Unter­schied zum Haber-Bosch-Ver­fah­ren, das glo­bal nur noch in knapp hun­dert indu­stri­el­len Anla­gen ange­wen­det wird, soll das jetzt ange­streb­te nach­hal­ti­ge Ver­fah­ren eine dezen­tra­le, durch Solar- und Wind­ener­gie ange­trie­be­ne Stick­stoff­um­wand­lung an vie­len Stand­or­ten der Welt ermög­li­chen. So wer­den kei­ne lan­gen und ener­gie­auf­wän­di­gen Trans­por­te von Ammo­ni­ak mehr erfor­der­lich sein.

Im Rah­men des SPP 2370 sol­len drei kata­ly­ti­sche Metho­den ange­wen­det wer­den, die für die Ent­wick­lung eines nach­hal­ti­gen Ver­fah­rens zur Stick­stoff­um­wand­lung rele­vant sein kön­nen: die Elek­tro­ka­ta­ly­se, die Pho­to­ka­ta­ly­se und die Pho­to­elek­tro­che­mie. Es han­delt sich um das erste For­schungs­pro­gramm in Euro­pa, das die­se drei Metho­den in die Suche nach einer nach­hal­ti­gen Alter­na­ti­ve zum Haber-Bosch-Ver­fah­ren gleich­ge­wich­tig ein­be­zieht. Die betei­lig­ten Arbeits­grup­pen sol­len empi­ri­sche und theo­re­ti­sche For­schungs­an­sät­ze sowie neue Erkennt­nis­se der Reak­ti­ons­tech­nik kombinieren.

„Wir sind zuver­sicht­lich, dass es uns durch die kon­se­quen­te Inte­gra­ti­on unter­schied­li­cher Sicht­wei­sen und Metho­den gelin­gen wird, neue Alter­na­ti­ven der Distick­stoff-Umwand­lung zu ent­wickeln. Wir wol­len das bereits opti­mier­te Haber-Bosch-Ver­fah­ren nicht noch wei­ter ver­bes­sern. Statt­des­sen ist es unser Ziel, dezen­tral ein­setz­ba­re, kli­ma­freund­li­che, nach­hal­ti­ge Alter­na­ti­ven zu erfor­schen“, sagt Koor­di­na­tor Prof. Dr. Roland Mar­schall, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Phy­si­ka­li­sche Che­mie III innehat.

Die For­schungs­ar­bei­ten des SPP 2370 wer­den sich auf ver­schie­de­ne Uni­ver­si­tä­ten und Insti­tu­te in Deutsch­land ver­tei­len. Prof. Dr. Roland Mar­schall hat das Pro­gramm zusam­men mit Prof. Dr. Ulf-Peter Apfel (Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum), Prof. Dr. Anna Fischer (Albert-Lud­wigs-Uni­ver­si­tät Frei­burg), Prof. Dr. Mar­tin Oschatz (Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­si­tät Jena) und Prof. Dr. Dirk Zie­gen­balg (Uni­ver­si­tät Ulm) erarbeitet.

Wei­te­re Informationen:

Zu den Schwer­punkt­pro­gram­men der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG):

https://​www​.dfg​.de/​f​o​e​r​d​e​r​u​n​g​/​p​r​o​g​r​a​m​m​e​/​k​o​o​r​d​i​n​i​e​r​t​e​_​p​r​o​g​r​a​m​m​e​/​s​c​h​w​e​r​p​u​n​k​t​p​r​o​g​r​a​m​me/