Kut­zen­ber­ger Chef­arzt Dr. med. Nedal Al-Kha­tib zum Welt-Can­na­bis-Tag am 20.04.2021

Chefarzt Dr. med. Nedal Al-Khatib
Chefarzt Dr. med. Nedal Al-Khatib

Can­na­bis – Fluch oder Segen?

Rund vier Mil­lio­nen Deut­sche, so schätzt die Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung, kon­su­mie­ren gele­gent­lich Haschisch oder Mari­hua­na, sprich: sie „kif­fen“. Und fei­ern am 20. April den Welt-Can­na­bis-Tag. Man muss kein Hell­se­her sein, um zu wis­sen, dass aus die­sem Anlass erneut die Lega­li­sie­rung von Can­na­bis gefor­dert wer­den wird, schließ­lich wird die­se Debat­te bereits seit Jahr­zehn­ten geführt. Und in vie­len Län­dern ist die Lega­li­sie­rung bereits voll­zo­gen. Für uns ist der Tag eher ein Anlass, das „Phä­no­men Kif­fen“ ein wenig genau­er unter die Lupe zu neh­men: Was ist Can­na­bis über­haupt genau und wie wirkt es? Macht es süch­tig und dient es sogar als Ein­stiegs­dro­ge? Wel­che Gefah­ren dro­hen für die kör­per­li­che und see­li­sche Gesund­heit? Wie groß ist der medi­zi­ni­sche Nut­zen, und soll­te Can­na­bis auch bei uns lega­li­siert werden?

Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen gibt Dr. Nedal Al-Kha­tib, Chef­arzt der Kli­nik für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­so­ma­tik am Bezirks­kli­ni­kum Ober­main in Kut­zen­berg. Die Gesund­heits­ein­rich­tun­gen des Bezirks Ober­fran­ken (GeBO) sind unter ande­rem auf die Behand­lung von Men­schen spe­zia­li­siert, die an Sucht- und Abhän­gig­keits­er­kran­kun­gen lei­den. Dr. Nedal Al-Kha­tib ist nicht nur Fach­arzt für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Neu­ro­lo­gie, son­dern ver­fügt eben­so über die Zusatz­be­zeich­nung „Sucht­me­di­zi­ni­sche Grundversorgung“.

Was ist Cannabis?

Can­na­bis ist sowohl die Bezeich­nung für die männ­li­chen und weib­li­chen Hanf­pflan­zen als auch für die Inhalts­stof­fe mit psy­cho­ak­ti­ver Wir­kung. Die Fasern der Hanf­pflan­ze wer­den seit Jahr­hun­der­ten zur Her­stel­lung von Sei­len und Stof­fen ver­wen­det. Haschisch besteht größ­ten­teils aus dem Harz der weib­li­chen Blü­ten­stän­de. Für den Ver­kauf wird es zu Plat­ten oder Klum­pen gepresst. Um mehr Gewinn zu erzie­len, wird es häu­fig mit ande­ren Pflan­zen gestreckt oder mit Blei ver­setzt, um schwe­rer zu sein. Geraucht wird Haschisch gemischt mit Tabak in einer konisch geform­ten, selbst gedreh­ten Ziga­ret­te, Joint oder Tüte genannt.

Wie wirkt es?

Der Can­na­bis-Haupt­wirk­stoff ist Tetra­hy­dro­can­na­bi­nol (THC) und bin­det sich nach dem Kon­sum an spe­zi­el­le Rezep­to­ren im Gehirn. Can­na­bi­no­ide haben all­ge­mein eine ent­span­nen­de und stim­mungs­auf­hel­len­de Wir­kung. Bei man­chen ver­stär­ken sich Sin­nes­wahr­neh­mun­gen wie Sehen und Hören. Eini­ge reden nach dem Kon­sum ohne Punkt und Kom­ma oder bekom­men einen soge­nann­ten „Lach- oder Fress­flash“. Es gibt aber auch nega­ti­ve Effek­te wie nie­der­ge­drück­te Stim­mung, Ver­fol­gungs­wahn, Unru­he, Angst, Ver­wirrt­heit bis hin zu Panik­re­ak­tio­nen, Herz­ra­sen, Übel­keit und Kreis­lauf­kol­laps. Eine Fall-Kon­troll-Stu­die aus elf Regio­nen in Eng­land, Frank­reich, den Nie­der­lan­den, Ita­li­en, Spa­ni­en und Bra­si­li­en legt den Ver­dacht nahe, dass der inten­si­ve Kon­sum (hoher THC-Gehalt, täg­li­cher Kon­sum) vor allem bei jun­gen Men­schen unter 20 Jah­ren etwa zwei- bis drei­mal so häu­fig eine Psy­cho­se aus­löst wie ohne Cannabis-Konsum.

Macht „Kif­fen“ dumm?

Wer „bekifft“ ist, zeigt weni­ger Auf­merk­sam­keit, außer­dem lei­den das Kurz­zeit­ge­dächt­nis und das Lern­ver­mö­gen. Auch das logi­sche Den­ken und die all­ge­mei­ne Lei­stungs­fä­hig­keit des Gehirns las­sen nach – zumin­dest für rund vier Stun­den nach dem Kon­sum. „Kif­fen“ in sehr jun­gen Jah­ren soll die Rei­fung des Gehirns stö­ren kön­nen. Unklar ist, ob Can­na­bis, wie es oft behaup­tet wird, Antriebs- und Moti­va­ti­ons­lo­sig­keit för­dert. Wer regel­mä­ßig kon­su­miert, wirkt oft pas­siv und teil­nahms­los, was aber ohne­hin häu­fig ein Ver­hal­ten von Puber­tie­ren­den ist. Anders als beim Alko­hol bleibt Can­na­bis sehr lan­ge im Kör­per nach­weis­bar. Im Blut kön­nen THC oder sei­ne Abbau­pro­duk­te bis zu drei Tage lang nach­ge­wie­sen wer­den, im Urin meh­re­re Wochen, in den Haa­ren sogar meh­re­re Mona­te. In Bay­ern wird eine kon­se­quen­te Straf­ver­fol­gung prak­ti­ziert – mit teil­wei­se gra­vie­ren­den Kon­se­quen­zen wie Füh­rer­schein­ent­zug oder hohen Geldstrafen.

Was sind die Anzei­chen für eine Cannabis-Sucht?

Bei Can­na­bis ver­hält es sich genau­so wie bei allen ande­ren Dro­gen. Wer süch­tig ist, braucht immer mehr von dem Stoff, um die glei­che Wir­kung zu erzie­len, und schafft es nicht, mit sich selbst oder ande­ren ver­ein­bar­te Kon­sum­pau­sen ein­zu­hal­ten. Es gibt eini­ge Risi­ko­fak­to­ren, die das Ent­ste­hen einer Sucht begün­sti­gen. Dazu gehö­ren Freun­de, die eben­falls Dro­gen kon­su­mie­ren, ein beson­ders frü­her Beginn des Kon­sums, psy­chi­sche Pro­ble­me, all­ge­mei­ne Per­spek­tiv­lo­sig­keit oder Einsamkeit.

Ist Can­na­bis eine Einstiegsdroge?

Frü­her war man die­ser Ansicht, heu­te jedoch sieht man die­se The­se etwas dif­fe­ren­zier­ter. Umstrit­ten ist inzwi­schen, ob der Kon­sum von Can­na­bis wirk­lich die Wahr­schein­lich­keit erhöht, dass der oder die Betref­fen­de spä­ter auch zu „har­ten“ Dro­gen greift. Tat­säch­lich hat fast jeder, der Hero­in (Han­dels­na­me für Dia­ce­tyl­mor­phin) oder Crack pro­biert, zunächst neben Alko­hol und Tabak auch Can­na­bis kon­su­miert. Doch dar­aus lässt sich nicht ablei­ten, dass der Kon­sum von Can­na­bis immer die Türen für den Gebrauch har­ter Dro­gen öff­net. Sta­ti­sti­ken zei­gen, dass dies nicht auf die Mehr­heit der Can­na­bis-Kon­su­men­ten zutrifft.

Was sol­len Eltern tun, wenn sie mer­ken, dass ihr Kind „kifft“?

Es ist eine schwie­ri­ge Zeit für Eltern, wenn sich der Ver­dacht erhär­tet, dass das eige­ne Kind Dro­gen nimmt. Miss­trau­en kommt auf und auch Schuld­ge­füh­le („Was haben wir falsch gemacht?“). Das Wich­tig­ste zu die­sem Zeit­punkt ist, den Ver­dacht mit dem Kind zu the­ma­ti­sie­ren, gleich­zei­tig aber auch Ver­trau­ens-Brücken auf­zu­bau­en („Wir leben nicht auf dem Mond. Wir wis­sen sehr wohl, wel­che Fas­zi­na­ti­on ille­ga­le Dro­gen auf jun­ge Men­schen aus­üben. Wir wer­den dich nicht bestra­fen, wenn du die Wahr­heit sagst.“). Ver­zich­ten Sie in die­sem Gespräch und auch danach auf Vor­wür­fe. Wer auf Kon­fron­ta­ti­on mit sei­nem Nach­wuchs geht, sorgt nur dafür, dass er oder sie sich immer wei­ter zurück­zieht. Stel­len Sie statt­des­sen die Sor­ge um das Kind in den Vor­der­grund und füh­ren Sie ihm die straf­recht­li­chen und gesund­heit­li­chen Kon­se­quen­zen klar vor Augen, wie zum Bei­spiel eine Vor­stra­fe und einen Ein­trag ins Füh­rungs­zeug­nis oder den Füh­rer­schein­ent­zug. Statt den Kon­sum zu ver­bie­ten, was nach mei­ner Erfah­rung nichts nützt, stel­len Sie lie­ber ganz kon­kre­te Regeln auf: Zuhau­se wer­den weder Dro­gen depo­niert noch kon­su­miert. Ver­wei­sen Sie dar­auf, dass Sie bei einer poli­zei­li­chen Durch­su­chung auf kei­nen Fall invol­viert wer­den wol­len. Stel­len Sie zum Bei­spiel klar, dass das elter­li­che Auto nur wei­ter genutzt wer­den darf, wenn das Kind vor oder wäh­rend der Fahrt ver­läss­lich kei­ne Dro­gen konsumiert.

Wann wird Can­na­bis als Medi­zin eingesetzt?

Unbe­strit­ten ist, dass Can­na­bis auch einen umfang­rei­chen medi­zi­ni­schen Nut­zen hat, vor allem bei chro­ni­schen Schmerz­pa­ti­en­ten oder in der Pal­lia­tiv­me­di­zin. Seit dem März 2017 regelt das Gesetz „Can­na­bis als Medi­zin“, wann die Kran­ken­kas­se die Kosten für Can­na­bis-hal­ti­ge Arz­nei­mit­tel über­nimmt. Das Spek­trum der Krank­hei­ten, die als Indi­ka­ti­on für eine Ver­schrei­bung die­nen kön­nen, ist weit gefä­chert: Mul­ti­ple Skle­ro­se, Depres­si­on, Spa­sti­ken, Läh­mungs­er­schei­nun­gen, Erkran­kun­gen des Ner­ven­sy­stems, Migrä­ne, Epi­lep­sie, HIV und Aids oder Übel­keit und Erbre­chen bei Che­mo­the­ra­pien gegen Krebs. Als hilf­reich gilt Can­na­bis auch bei ADHS oder Tourette-Syndrom.

Soll­te Can­na­bis Ihrer Mei­nung nach lega­li­siert werden?

Das ist eine zu Recht kon­tro­vers dis­ku­tier­te Fra­ge, die vor dem Hin­ter­grund der medi­zi­ni­schen Lega­li­sie­rung eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Wand­lung erfah­ren hat. In mei­nem Arbeits­all­tag begeg­ne ich lei­der immer wie­der jun­gen Men­schen, die durch den Can­na­bis-Kon­sum psy­cho­tisch gewor­den sind, auch weil der THC-Gehalt in den letz­ten Jah­ren immer höher gewor­den ist. Des­we­gen wür­de ich die­se Fra­ge eher verneinen.