Blick über den Zaun: Röthen­bach an der Peg­nitz – Glück­li­che Lan­dung im Impfzentrum

Rita Wilf­art ist Ste­war­dess bei der Luft­han­sa. Das Coro­na­vi­rus zwingt sie aller­dings, der­zeit am Boden zu blei­ben / Foto: Adri­an Grodel

Rita Wilf­art ist Ste­war­dess bei der Luft­han­sa. Das Coro­na­vi­rus zwingt sie aller­dings, der­zeit am Boden zu blei­ben. Die Zeit nutzt die lebens­lu­sti­ge Hers­brucke­rin, um bei den Mal­te­sern als Ehren­amt­li­che durchzustarten.

Röthen­bach an der Peg­nitz. Es herrscht reger Park­such­ver­kehr an die­sem Diens­tag­vor­mit­tag auf dem Gelän­de eines Kom­po­nen­ten­her­stel­ler in Röthen­bach an der Peg­nitz. Taxis fah­ren vor und eben­so schnell wie­der weg, aus den Klein­bus­sen von Fahr­dien­sten und aus Pri­vat­wa­gen stei­gen vor allem älte­re und hoch­be­tag­te Leu­te aus. Ihr Ziel: das Impf­zen­trum der Mal­te­ser, das in einer Indu­strie­hal­le auf einem abge­trenn­ten Teil des Unter­neh­mens­grund­stücks im Nürn­ber­ger Nord­osten unter­ge­bracht ist. Wenn die Impf­lin­ge die Hal­le betre­ten, erwar­tet sie der klas­sisch-sprö­de Charme eines sol­chen Baus: archi­tek­to­nisch nüch­tern, vie­le Hin­ter­grund­ge­räu­sche, aber eben abso­lut funk­tio­nal und zweck­mä­ßig – auch für den Kampf gegen das Coronavirus.

Zur son­sti­gen ste­ri­len Atmo­sphä­re, die herrscht, wenn hier Maschi­nen und Waren ste­hen, fällt aller­dings ein gro­ßer Unter­schied auf. Ein Team von 102 hoch­enga­gier­ten Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern der Mal­te­ser sorgt jetzt für woh­li­ge Wär­me – im rie­si­gen Raum von rund 1000 Qua­drat­me­tern, vor allem aber in den Her­zen der Men­schen, die hier­her­ge­kom­men sind. Rita Wilf­art ist eine von ihnen.

Wenn „die Rita“, wie die brü­net­te Hers­brucke­rin vom Sicher­heits­per­so­nal bis zur Apo­the­ke­rin genannt wird, immer diens­tags und don­ners­tags im Impf­zen­trum als eine von vier ehren­amt­li­chen Hel­fe­rin­nen und Hel­fern auf­schlägt, dann steigt die grund­sätz­lich gute Stim­mung im Team und im Impf­zen­trum noch ein­mal an. Rita Wilf­art ist so etwas wie ein Son­nen­schein, des­sen Strah­len die kör­per­ei­ge­nen Glücks­hor­mo­ne anre­gen. Die 51-Jäh­ri­ge geht auf die Men­schen zu, wech­selt ein paar Wor­te – und kei­ner kann ihrem gewin­nen­den Wesen wider­ste­hen. Gera­de die Alten, Gebrech­li­chen und Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, die der­zeit geimpft wer­den, brau­chen so einen see­lisch-mora­li­schen Beistand.

Rita Wilf­art ver­sucht, ihnen Äng­ste zu neh­men, zeigt ihnen, wo die Toi­let­ten sind und nimmt trotz ihrer zier­li­chen Gestalt den einen oder ande­ren schon mal unter den Arm, um ihn von A nach B in der gro­ßen Hal­le zu brin­gen. Wilf­art sieht Din­ge und sie küm­mert sich – Eigen­schaf­ten, die sie in den 26 Jah­ren bei der Luft­han­sa als Ste­war­dess gelernt hat und aus dem Eff­eff beherrscht.

„Auch wenn mir das Flie­gen der­zeit natür­lich fehlt, ist das ein fei­ner Job hier im Impf­zen­trum“, sagt die Flug­be­glei­te­rin. Inner­halb von drei Mona­ten sei ein Team aus Men­schen mit ganz unter­schied­li­chen Kar­rie­ren und Lebens­läu­fen zusam­men­ge­wach­sen: Zum Per­so­nal gehören
Vollzeit‑, Teilzeit‑, 450-Euro-Kräf­te und Ehren­amt­li­che. Und vor allem genießt sie, dass sie bei ihrer Tätig­keit genü­gend vom wich­tig­sten Gut inve­stie­ren kann, das ein Mensch besitzt: Zeit.

„Das ist das Schö­ne am Ehren­amt. Ich kann mir hier die Zeit für Gesprä­che neh­men, die ein haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter nicht hat“, betont Wilf­art. „Wenn mich jemand bit­tet, ihn nicht allein zu las­sen, dann blei­be ich ein­fach.“ Erlebt hat das Ener­gie­bün­del in den weni­gen Wochen schon viel: Sie hat eine alte Frau betreut, die nicht abge­holt wur­de. Sie bekam einen Hand­kuss von einem behin­der­ten Jun­gen. Sie hat ihren ehe­ma­li­gen Haus­arzt aus Hers­bruck getrof­fen, der immer don­ners­tags eben­falls ehren­amt­lich im Impf­zen­trum arbei­tet. „Und auch Geschich­ten aus dem Zwei­ten Welt­krieg bekom­me ich immer wie­der mal zu hören“, sagt Wilf­art schmunzelnd.

Obwohl sie mit gro­ßer Freu­de und lei­den­schaft­li­chem Enga­ge­ment für die Mal­te­ser arbei­tet, muss sie doch immer wie­der mal dar­an den­ken, wie es wäre, „an einem Mitt­woch­mor­gen über die Brook­lin Bridge in New York zu jog­gen oder sich auf einem Markt in Chi­na etwas Lecke­res zu essen zu holen.“ „Das Flie­gen fehlt mir schon sehr. Ste­war­dess ist ein­fach mein Traum­job“, gibt sie zu.

Wegen der rück­läu­fi­gen Umsät­ze in der Coro­na­kri­se schick­te die Luft­han­sa vie­le Mit­ar­bei­ter in Kurz­ar­beit – auch Rita Wilf­art. Ihr Arbeit­ge­ber ist letzt­lich aber auch dafür ver­ant­wort­lich, dass die Frän­kin bei den Mal­te­sern gelan­det ist. „Im Intra­net hat die Luft­han­sa dafür gewor­ben, sich ehren­amt­lich zu enga­gie­ren – auch in Impf­zen­tren.“ Gele­sen – getan. Wobei die ver­hei­ra­te­te Mut­ter eines 22-jäh­ri­gen Soh­nes ein­räumt: „Irgend­et­was Ehren­amt­li­ches hät­te ich ohne­hin gemacht, weil ich das schon immer getan habe.“ Im Nürn­ber­ger Nord­kli­ni­kum arbei­te­te sie schon mal für die „Grü­nen Damen“, einen Besuchs­dienst für Pati­en­ten inner­halb des Kran­ken­hau­ses. Auch bei der Blin­den­schu­le in Röthen­bach war sie bereits aktiv.

Ihre Kraft schöpft Rita Wilf­art unter ande­rem auch aus einer Betä­ti­gung, die sie in ihrer Frei­zeit mit gro­ßer Pas­si­on aus­übt: Yoga-Leh­re­rin. Wovon wie­der­um alle im Impf­zen­trum pro­fi­tie­ren: Ihre Ent­spannt­heit und Aus­ge­gli­chen­heit gibt sie an ihre Kol­le­gen und Gesprächs­part­ner wei­ter. Sozu­sa­gen als Ruhe­pol im täg­li­chen Stress. Neben dem Wunsch, bald wie­der „in die Luft gehen zu kön­nen“, treibt sie des­halb auch ein gro­ßer Traum um: „Sobald es wie­der erlaubt ist, ver­an­stal­te ich hier eine kosten­freie Yoga-Stun­de für das gan­ze Team.“

Text und Fotos: Adri­an Grodel