Bay­reuth: Die Far­be Blau in der Welt der Blü­ten – Inter­na­tio­na­le Stu­die ergrün­det ihre Seltenheit

Symbolbild Bildung

Blau ist die Lieb­lings­far­be der Men­schen welt­weit, die „Blaue Blu­me“ gilt als Sinn­bild roman­ti­scher Sehn­sucht. In der Natur aber gibt es nur weni­ge Pflan­zen­ar­ten, deren Blü­ten blaue Farb­pig­men­te ent­hal­ten. Ein inter­na­tio­na­les For­schungs­team um die Bay­reu­ther Öko­lo­gin Prof. Dr. Anke Jentsch hat die Grün­de dafür unter­sucht. Eine wich­ti­ge Rol­le spie­len der hohe che­mi­sche Auf­wand bei der Her­stel­lung blau­er Farb­stof­fe, aber auch unter­schied­li­che Farb­wahr­neh­mun­gen der Bestäu­ber. Für Bie­nen haben Blau­tö­ne einen auf­fäl­li­ge­ren Anteil an der Far­ben­pracht der Blü­ten als für das mensch­li­che Auge. In der Zeit­schrift „Fron­tiers in Plant Sci­ence“ stel­len die Wissenschaftler*innen ihre Stu­die vor.

Das inter­dis­zi­pli­nä­re For­schungs­team hat eine Viel­zahl von Erkennt­nis­sen zur Far­be Blau in der Welt der Blü­ten­pflan­zen zusam­men­ge­tra­gen und erst­mals syste­ma­tisch zuein­an­der in Bezie­hung gesetzt. Eine Aus­wer­tung von Daten aus der TRY Plant Trait Data­ba­se, einer der welt­weit größ­ten Daten­ban­ken pflanz­li­cher Eigen­schaf­ten, ergab: Nur sie­ben Pro­zent aller Blü­ten­pflan­zen welt­weit wer­den vom mensch­li­chen Auge als blau wahrgenommen.

Auf­schluss­reich ist dabei eine Unter­schei­dung der in Euro­pa hei­mi­schen Blü­ten­pflan­zen nach Bestäu­bungs­art: Unter den Pflan­zen­ar­ten, die haupt­säch­lich von Wind und Regen bestäubt wer­den, gibt es so gut wie kei­ne, die dem Men­schen blau erschei­nen. Hin­ge­gen prä­sen­tie­ren sich die Blü­ten von 7,5 Pro­zent aller Blü­ten­pflan­zen, die vor allem von Insek­ten oder Vögeln bestäubt wer­den, dem Betrach­ter als blau. „Die­ser Unter­schied legt die Ver­mu­tung nahe, dass die Farb­wahr­neh­mung der bestäu­ben­den Orga­nis­men im Ver­lauf der Evo­lu­ti­on die Her­aus­bil­dung von Blü­ten­far­ben wesent­lich beein­flusst hat. Des­halb lohnt es sich der Fra­ge nach­zu­ge­hen, wie die Blü­ten von ihren jewei­li­gen Bestäu­bern wahr­ge­nom­men wer­den und wel­che Inter­ak­tio­nen dadurch aus­ge­löst wer­den“, sagt Prof. Dr. Anke Jentsch, Pro­fes­so­rin für Stö­rungs­öko­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bayreuth.

Bie­nen flie­gen auf blaue Blüten

Schon lan­ge ist bekannt, dass die für die Fort­pflan­zung vie­ler Blu­men­ar­ten unent­behr­li­chen Insek­ten, Vögel und Fle­der­mäu­se für ande­re Farb­spek­tren emp­fäng­lich sind als die Men­schen. Das mensch­li­che Auge ent­hält drei Typen von Pho­to­re­zep­to­ren, die auf rotes, grü­nes und blau­es Licht reagie­ren. Bie­nen hin­ge­gen sind für rote Far­ben wenig emp­fäng­lich, kön­nen weni­ger gut zwi­schen gelb und weiß unter­schei­den, neh­men aber dafür Farb­mu­ster aus dem ultra­vio­let­ten Bereich wahr. Blau­tö­ne zäh­len zu den­je­ni­gen Berei­chen des ihnen zugäng­li­chen Spek­trums, die sie mit beson­de­rer Inten­si­tät wahrnehmen.

„Bie­nen sehen die Far­ben­pracht der Blü­ten­pflan­zen also ganz anders als ande­re Bestäu­ber­grup­pen oder als wir Men­schen. Sie wer­den von blau­en Blü­ten beson­ders stark ange­zo­gen“, sagt Jentsch. „Aus öko­lo­gi­scher Sicht müss­ten wir die Bestim­mungs­bü­cher eigent­lich umschrei­ben. Seit Charles Dar­win und Carl von Lin­né wird die mensch­li­che Wahr­neh­mung von Blü­ten­far­ben zur Unter­schei­dung von Pflan­zen­ar­ten her­an­ge­zo­gen, obwohl nicht die Farb­wahr­neh­mung der Men­schen, son­dern die Inter­ak­ti­on der Pflan­zen mit den Bestäu­bern für die Evo­lu­ti­on rele­vant ist.“

Ein Wett­be­werbs­vor­teil für Blütenpflanzen

Die Anzie­hungs­kraft der Far­be Blau für die Bie­nen wirft aller­dings die Fra­ge auf, wes­halb nur ver­gleichs­wei­se weni­ge der von Insek­ten und Vögeln bestäub­ten Pflan­zen­ar­ten blaue Blü­ten ent­wickelt haben. Auch hier schla­gen die Forscher*innen eine kom­ple­xe Ant­wort vor: Die Pro­duk­ti­on eines blau­en Blü­ten­farb­stoffs ist für Pflan­zen sehr aufwändig.

An dem dafür erfor­der­li­chen che­mi­schen Pro­zess sind sechs ver­schie­de­ne farb­ge­ben­de Sub­stan­zen, soge­nann­te Antho­cya­ne, und sechs kor­re­spon­die­ren­de Mole­kü­le betei­ligt, die zusam­men mit Metal­lio­nen spe­zi­el­le Ring­struk­tu­ren bil­den. Die­sen hohen Auf­wand betrei­ben nur sol­che Arten, die sich in einem har­ten Wett­be­werb um Bestäu­ber durch­set­zen müssen.

Das ist ins­be­son­de­re in eini­gen Hoch­la­gen von Gebir­gen der Fall, bei­spiels­wei­se in den euro­päi­schen Alpen oder im Hima­la­ya. Hier sind die kli­ma­ti­schen Lebens­be­din­gun­gen für Insek­ten und ande­re Bestäu­ber beson­ders unfreund­lich. Für Blü­ten­pflan­zen wie­der­um, die in sehr arten­rei­chen Wie­sen und Wei­den hei­misch sind und oft­mals auf nähr­stoff­ar­men Böden über­le­ben müs­sen, stel­len blaue Blü­ten ein wich­ti­ges Allein­stel­lungs­merk­mal dar: In der Kon­kur­renz mit ande­ren Arten in ihrer unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft sind sie beson­ders auf­fäl­lig, so dass Bestäu­ber auch aus grö­ße­rer Ent­fer­nung ange­lockt werden.

Blaue Blu­men in Gefahr

Die Wissenschaftler*innen war­nen davor, dass der Flä­chen­schwund in Wild­nis- und Kul­tur­land­schaf­ten sowie die Inten­si­vie­rung der Land­wirt­schaft in vie­len Fäl­len nicht nur zum Insek­ten­ster­ben bei­trägt, son­dern auch den ohne­hin nied­ri­gen Anteil blau­er Blü­ten­pflan­zen wei­ter ver­rin­gert. „Es gibt zahl­rei­che Indi­zi­en dafür, dass die Aus­wei­tung land­wirt­schaft­li­cher Flä­chen, der Ein­satz von Kunst­dün­ger, häu­fi­ges Mähen und eine inten­si­ve Wei­de­wirt­schaft zu Lasten arten­rei­cher Vege­ta­tio­nen geht. So besteht die Gefahr, dass blaue Blu­men fast gänz­lich aus dem Land­schafts­bild ver­schwin­den“, sagt Dr. Jus­ty­na Gie­jsz­towt aus Neu­see­land, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Pro­fes­sur für Stö­rungs­öko­lo­gie in Bayreuth.

Kunst als Inspi­ra­ti­on für die Forschung

Ursprüng­lich inspi­riert wur­de die Stu­die durch das 1920 ent­stan­de­ne Gedicht „Frag­men­ta­ry Blue“ des US-ame­ri­ka­ni­schen Natur­ly­ri­kers Robert Frost. Dar­in geht es um die Bezie­hung zwi­schen dem wei­ten blau­en Him­mel und den nur in klei­nen Frag­men­ten vor­kom­men­den Blau­tö­nen in der Natur. Gesprä­che über die­se lyri­schen Refle­xio­nen und der Gedan­ken­aus­tausch über eige­ne Natur­be­ob­ach­tun­gen auf ver­schie­de­nen Kon­ti­nen­ten gaben den Anstoß für syste­ma­ti­sche Recher­chen. Die Autor*innen begin­nen ihre Ver­öf­fent­li­chung mit einer Tour d‘ Hori­zon durch die Kul­tur­ge­schich­te, in der sie auf die welt­wei­te Prä­senz der Far­be Blau in der Male­rei, Lite­ra­tur und Reli­gi­on hin­wei­sen – ange­fan­gen vom anti­ken Ägyp­ten über die christ­li­che Kunst des Mit­tel­al­ters bis hin zum Impres­sio­nis­mus des 20. Jahrhunderts.

Inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­on und Forschungsförderung

Die jetzt in „Fron­tiers in Plan Sci­ence“ ver­öf­fent­lich­te Stu­die ist her­vor­ge­gan­gen aus einer engen inter­kon­ti­nen­ta­len Zusam­men­ar­beit von Prof. Dr. Anke Jentsch aus Deutsch­land (Bay­reuth) mit Forscher*innen in Austra­li­en (Mel­bourne), Bra­si­li­en (São Pau­lo), Nepal (Kath­man­du), Nor­we­gen (Lil­le­ham­mer) und den USA (Cha­pel Hill). Die For­schungs­ar­bei­ten in Bay­reuth wur­den vom Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung im Rah­men des Pro­jekts SUS­ALPS gefördert.