Inter­view der Ober­frän­ki­schen Grü­nen mit MdL Tes­sa Gan­se­rer zum Frauenmonat

„Durch unse­re Viel­falt berei­chern wir uns alle“

MdL Tessa Ganserer

MdL Tes­sa Ganserer

Tes­sa Gan­se­rer [MdL, stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de im Aus­schuss für Fra­gen des öffent­li­chen Dien­stes und que­er­po­li­ti­sche Spre­che­rin] ver­rät, wel­che Frau­en­the­men sie am mei­sten bewegt und wie­so das Trans­se­xu­el­len Gesetz (TSG) abge­schafft wer­den muss.

Den März zum Frau­en­mo­nat machen und mit ver­schie­den­sten Aktio­nen die aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen und Facet­ten des Frau sein im Netz sowie auch in den ana­lo­gen Medi­en in den Mit­tel­punkt stel­len. Die­ses Ziel hat sich eine Grup­pe enga­gier­ter Grü­ner Frau­en mit Unter­stüt­zung des Bezirks­ver­bands der Grü­nen Ober­fran­ken gesetzt. Teil die­ser Akti­on ist auch eine vier­tei­li­ge Inter­view-Serie, in der jeden Frei­tag im März eine enga­gier­te Frau im Mit­tel­punkt steht. Die Inter­views neh­men dabei ver­schie­den­ste Fra­ge­stel­lun­gen zu The­ma Frau sein in den Blick. Die­se Woche haben wir Tes­sa Gan­se­rer Fra­gen zum Frau sein gestellt. Das kom­plet­te Inter­view ist auch auf Insta­gram-Sei­te der Grü­nen Jugend Ober­fran­ken (@gj_oberfranken) als Video zu sehen. Tes­sa nimmt eben­falls an der Akti­on #FRAU_​sein teil. Ihr Mot­to ist #Stark_​sein und war­um sie die­se Mot­to gewählt hat, erzähl­te sie als Power­frau ganz genau.

Wie defi­nierst Du Frausein?

„Mir ist es schwer gefal­len mit einem Schlag­wort zu erklä­ren, was für mich Frau sein bedeu­tet. An unse­rem Geschlecht macht sich so vie­les fest: wie wir in unse­rer Gesell­schaft behan­delt wer­den, was wir dür­fen, was wir soll­ten, was wir müs­sen, wie (gerecht) wir behan­delt wer­den, wel­che gesell­schaft­li­chen Rol­len – so vie­le Zwän­ge, sodass ich mei­ne, dass Frau­en heu­te immer noch wahn­sin­nig stark sein müs­sen, um dem Gan­zen zu wider­ste­hen. Und Frau­en müs­sen immer noch wahn­sin­nig stark sein, wenn sie für ihre Rech­te ein­ste­hen. […] Mir ist es aber eigent­lich gar nicht recht, das auf nur ein Schlag­wort zu redu­zie­ren, weil das ein­fach der Viel­falt nicht gerecht wird. Es gibt jun­ge Frau­en. Es gibt alte Frau­en. Es gibt klei­ne Frau­en und es gibt gro­ße Frau­en. Es gibt blon­de Frau­en: Es gibt dun­kel­haa­ri­ge Frau­en. Es gibt cis-Frau­en. Es gibt trans Frau­en. Es gibt lie­be, net­te Frau­en. Es gibt wider­bor­sti­ge Frau­en, wie mich. Wir sind alle Men­schen und wir sind alle ein­zig­ar­tig und es ist wun­der­bar so. Nur durch die­se Viel­falt berei­chern wir uns alle und des­we­gen fin­de ich es schwer „Frau sein“ auf ein Schlag­wort zu redu­zie­ren. […] Ich fin­de, es gibt in unse­rer Gesell­schaft so vie­le Geschlech­ter­kli­schees, wie Frau­en sein dür­fen, was sie machen müs­sen, was sie nicht dür­fen, wie sie sich zu ver­hal­ten haben. Sie müs­sen lieb und nett sein. Sie dür­fen ande­ren nicht ins Wort fal­len. Sie sol­len sich um ande­re küm­mern. Sie soll­ten ein­fühl­sam sein. Aber einen Scheiß­dreck müs­sen wir! Wir dür­fen sein, wie wir sind. Wir soll­ten uns nicht in sol­che Geschlech­ter­rol­len-Kli­schees pres­sen lassen.“

Wel­che Frau­en­the­men in der Poli­tik bewe­gen Dich besonders?

„Es gibt noch so vie­le Bau­stel­len, an denen wir arbei­ten müs­sen, von dem her möch­te ich mich hier auf zwei wesent­li­che Berei­che beschrän­ken. Das sind zum einen die unter­schied­li­chen Geschlech­ter­rol­len. Auf Grund den Rol­len und den Erwar­tun­gen, die in die­ser Gesell­schaft an Frau­en gestellt wer­den, lei­sten Frau­en heu­te immer noch einen Groß­teil der unbe­zahl­ten Pfle­ge­ar­beit, der Care­ar­beit. Was dazu führt, dass Frau­en heu­te immer noch einen gerin­ge­ren Anteil in der Erwerbs­ar­beit bei­tra­gen, dass sie des­we­gen weni­ger ver­die­nen, dass sie spä­ter dann auch weni­ger Ren­te bekom­men, dass sie dadurch aber auch öko­no­misch abhän­gig von ihren Part­nern sind. […] Ich glau­be, dass die Geschlech­ter­rol­len­ver­tei­lung auch die wenig­sten Män­ner rich­tig glück­lich macht. Das ist mir ein wich­ti­ges Anlie­gen, dass Femi­nis­mus eben nicht nur ein Frau­en­the­ma sein soll und es end­lich an der Zeit ist, dass sich auch Män­ner für femi­ni­sti­sche The­men ein­set­zen, weil die Gleich­be­rech­ti­gung aller Geschlech­ter kei­ne rei­ne Frau­en­sa­che ist, son­dern uns alle angeht. Und wir wer­den die­ses patri­ar­cha­le System nur über­win­den, wenn auch Män­ner die­se Pro­ble­me erken­nen und gemein­sam mit anpacken. Da gehört es dazu, dass wir die poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen, die uns alle in die­se Geschlech­ter­rol­len mehr oder weni­ger zwin­gen, abbau­en. […] Wir brau­chen ent­spre­chen­de Betreu­ungs­mög­lich­kei­ten. Wir brau­chen aber auch ein ande­res Besteue­rungs­sy­stem, das die­se Geschlech­ter­rol­len eben nicht för­dert, son­dern zu einer gleich­be­rech­tig­ten Tei­lung der Erwerbs- und kosten­lo­sen Care­ar­beit beitragen.
Der ande­re Punkt, der mir wahn­sin­nig wich­tig ist, ist das The­ma Sexis­mus. Auch hier ist es so, dass wir poli­ti­sche Maß­nah­men brau­chen. Noch immer wer­den täg­lich Frau­en Opfer von sexua­li­sier­ter Gewalt. Und es ist nicht nur sexua­li­sier­te Gewalt, wenn es mit mas­si­ven Kör­per­ver­let­zun­gen zu tun hat, son­dern geht es schon los mit den tag­täg­li­chen tau­sen­den klei­nen Sti­che­lei­en. […] Auch wenn es „nur“ Klei­nig­kei­ten sind. Wenn es „nur“ ein hin­ter­her pfei­fen ist. Wenn es „nur“ ver­ba­le sexu­el­le Belä­sti­gung ist. Das dient dazu, Frau­en in ihrem ver­meint­li­chen gesell­schaft­li­chen Platz zu ver­wei­sen. Und dage­gen müs­sen wir uns gesell­schaft­lich weh­ren. Das ist eine Auf­ga­be, die uns alle betrifft. Dass wir uns sol­che Klei­nig­kei­ten nicht gefal­len las­sen, dass wir das reflek­tie­ren und auch reflek­tie­ren, was für gesell­schaft­li­che Zwän­ge und Syste­me dahin­ter­ste­hen. Und da kom­men wie­der die Män­ner ins Spiel. Auch die Män­ner müs­sen sich mit toxi­scher Männ­lich­keit aus­ein­an­der­set­zen. Sie müs­sen auch mal ihren Mund auf Machen und sich dage­gen weh­ren. Das ist eine ganz wich­ti­ge Sache. Aber es braucht dann eben auch poli­ti­sche Maß­nah­men, um Frau­en vor sexua­li­sier­ter Gewalt zu schüt­zen. Es braucht hier ein gan­zes Bün­del – es geht schon los mit „Hate Speech“ in den sozia­len Medi­en, von dem über­wie­gend Frau­en betrof­fen sind, die ihren Mund auf­ma­chen, die geschützt wer­den müs­sen. Aber wir brau­chen natür­lich auch für die Frau­en, denen sexu­el­le Gewalt wider­fah­ren ist, einen gewis­sen Schutz und Unter­stüt­zung. Und da ist es immer noch so, dass unse­re Frau­en­häu­ser voll­kom­men unter­fi­nan­ziert sind.“

Was hat es mit dem TSG (Trans­se­xu­el­len­ge­setz) auf sich?

„Es ist so, dass Trans­ge­schlecht­lich­keit – die­ses Phä­no­men, dass Men­schen sich nicht dem Geschlecht zuge­hö­rig füh­len, dem sie bei der Geburt anhand kör­per­li­cher Äußer­lich­kei­ten zuge­ord­net wur­den – wahr­schein­lich so alt wie die Mensch­heit ist. Es gab es und gibt es in allen Kul­tur­krei­sen. Und ich weiß nicht, wann und wie­so und war­um aus­ge­rech­net in unse­rer west­eu­ro­päi­schen Kul­tur, die­ses Phä­no­men ver­pönt, ver­drängt, Tod geschwie­gen wur­de. Schon in der Wei­ma­rer Repu­blik gab es eine kur­ze Zeit, in der mit dem The­ma Trans­ge­schlecht­lich­keit erstaun­lich libe­ral umge­gan­gen wur­de. Schon nach weni­gen Jah­ren hat das Nazi­re­gime mit dem Nie­der­schla­gen des Magnus-Hirsch­feld-Insti­tu­tes die­se Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung trans­ge­schlecht­li­cher Men­schen wie­der zunich­te gemacht. Trans­ge­schlecht­li­che Men­schen wur­den wie homo­se­xu­el­le Men­schen ver­folgt und in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern ermor­det. […] Mit Ende des 2. Welt­krie­ges, war es dann nicht vor­bei. Die gesell­schaft­li­che Stig­ma­ti­sie­rung von trans­ge­schlecht­li­chen Men­schen ging in Nach­kriegs­deutsch­land wei­ter, bis es dann in den 80er Jah­ren erst­mals die Mög­lich­keit gab, dass trans­ge­schlecht­li­che Men­schen ihre amt­li­chen Doku­men­te kor­ri­gie­ren konn­ten. Da hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt erst­mals auch die wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se zur Kennt­nis genom­men, dass das Geschlecht viel mehr ist und dass sich das Geschlecht eines Men­schen nicht allein anhand kör­per­li­cher Merk­ma­le, die schon bei der Geburt vor­han­den sind, fest­ma­chen lässt, son­dern dass unser Geschlecht sich viel mehr durch unser Bewusst­sein, durch unser Wis­sen um unser Geschlecht bestim­men lässt. […] Die­se staat­li­che Aner­ken­nung wur­de dann aber teu­er erkauft. Sie wur­de erkauft mit einer Psy­cho­pa­tho­lo­gi­sie­rung. Trans­se­xua­li­tät, wur­de als psy­chi­sche Stö­rung ein­ge­stuft und trans­ge­schlecht­li­che Men­schen muss­ten und müs­sen auch heu­te noch – damit der Staat uns so akzep­tiert, wie wir sind – zwei psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten über uns erge­hen las­sen. Wir müs­sen uns vor einen Rich­ter stel­len. Müs­sen uns ent­wür­di­gen­de Fra­gen stel­len und gefal­len las­sen, nur damit der Staat unse­re amt­li­chen Doku­men­te ändert. Und die­se psy­cho­lo­gi­schen Gut­ach­ten müs­sen wir dann auch sogar noch selbst zah­len, nur damit unser rich­ti­ger Name, unser rich­ti­ges Geschlecht auf den Doku­men­ten steht. Die­ses Ver­fah­ren ist ein­fach ent­wür­di­gend, es ist men­schen­rechts­ver­let­zend, das sieht auch der Euro­pa­rat so. Der Euro­pa­rat hat 2015 schon die Mit­glieds­län­der auf­ge­for­dert, dass sie ein­fa­che und dis­kri­mi­nie­rungs­freie Ver­fah­ren, die auf dem Selbst­be­stim­mungs­recht von trans­ge­schlecht­li­chen Men­schen beru­hen, ein­füh­ren, um amt­li­che Per­so­nen­stän­de zu ändern. In vie­len euro­päi­schen Län­dern ist dies bereits gesche­hen. Die Schweiz zum Bei­spiel zieht jetzt nach oder aber auch in Bel­gi­en, in Däne­mark […] und es wäre längst über­fäl­lig, dass auch in Deutsch­land die Men­schen­rech­te von trans­ge­schlecht­li­chen Men­schen geschützt wer­den. Und des­we­gen muss die­ses ent­wür­di­gen­de Trans­se­xu­el­len­ge­setz abge­schafft und durch ein Selbst­be­stim­mungs­ge­setz ersetzt werden.“

Wei­te­re Infos zum Akti­ons­mo­nat und ver­schie­den­ste Online­bei­trä­ge rund um das Frau­sein gibt es auf den Social-Media-Kanä­len der Grü­nen Ober­fran­ken sowie aller teil­neh­men­den ober­frän­ki­schen Kreis­ver­bän­de der Grünen.