Forchheim: Diagnose Lipödem – und was nun? – Erfahrungsbericht einer Betroffenen – wer geht in den Erfahrungsaustausch?

Vorher - Nachher: Kerstin Jungwirth passt nichts mehr von der alten Kleidung / Foto: LunaLargo
Vorher - Nachher: Kerstin Jungwirth passt nichts mehr von der alten Kleidung / Foto: LunaLargo

Gespräch mit unserer Leserin Kerstin Jungwirth aus Forchheim:

Laut einer Statistik sind in Deutschland rund 3,8 Millionen Frauen an der Krankheit Lipödem erkrankt. Ich selbst denke, dass diese Zahl nicht mal die Hälfe von den betroffenen Frauen widerspiegelt. Viele Frauen oder Mädchen wissen oder denken nicht mal an das Wort Lipödem.

Sondern an „Ich bin einfach dick“ oder „Ich war schon immer so!“

Kurz zu den Fakten:

  • Bei einem Lipödem ist das Unterhautfettgewebe vermehrt. Meist betreffen die symmetrischen Fettanlagerungen die Beine, seltener auch die Arme.
  • Die chronische Fettverteilungsstörung tritt praktisch ausschließlich bei Frauen auf, oft nach hormonellen Umstellungen wie der Pubertät oder einer Schwangerschaft.
  • Zu den sichtbaren Fettvermehrungen kommen regelmäßig auftretende spürbare Beschwerden wie Schmerzen und eine erhöhte Druckempfindlichkeit der Haut.
  • Akute Symptome der chronischen Erkrankung sind schwere geschwollene Beine, eine erhöhte Druckempfindlichkeit der Haut, Schmerzen und eine Neigung zu blauen Flecken.

Aber was heißt das nun in unserer Sprache?

Das möchte ich euch an meiner Geschichte erzählen. Mein Name lautet Kerstin Jungwirth. Als ich die Diagnose Lip/Lymphödem Stadium 2 bekommen habe war ich 26 Jahre alt. Diese Diagnose habe ich auch nur dem Zufall zu verdanken! Weil mir kein Arzt oder Phlebologe (Facharzt für Venenkrankheiten) die Diagnose gestellt hat, sondern eine Sanitätsfachangestellte. Komisch, oder? Nein leider nicht wirklich!

Ich war mein ganzes Leben schon – naja nennen wir es – beleibt oder dick. Denkt euch was aus! Und jeder Arzt meinte nur „Essen Sie weniger“, „Treiben Sie mehr Sport“ oder „Achten Sie auf Ihre Gesundheit“. Sprich ich war Adipös oder stark übergewichtig. Daher ist kein Arzt tiefer auf meinen Körper eingegangen. Obwohl die Anzeigen für ein Lipödem deutlich zu sehen war. Ich habe immer Hosengrößen benötigt die zwei Nummern größer waren als meine Oberteile. Meine Oberschenkel hatten die sogenannte Orangenhaut – in der Fachsprache heißt es knotenförmig oder Unebenheiten der Hautoberfläche. Und bei mir sind auch die Arme von der Krankheit betroffen. Meine Oberarme hatten „Fettabteilungen“. Kennt ihr die Beine von Elefanten? Unten haben sie so Ringe. So sahen meine Arme auch aus. Es waren also Anzeichen da nur keiner der Ärzte konnte sie deuten. Also lebte ich mit meinem Übergewicht und habe mich damit angefreundet und arrangiert. Auch war ich sehr schmerzempfindlich an den Beinen und Armen. Blaue Flecke waren bei mir an der Tagesordnung und wer mir einen „kleinen Klaps“ auf den Oberschenkel gegeben hat wusste nicht was er mir damit antut.

Bis zu diesem einen Tag in einem Sanitätsgeschäft in Forchheim! Nach dem hat sich meine Leben verändert und das zum besseren! Ich habe durch einen Phlebologen die vermutete Diagnose bestätigen lassen und so begann mein Weg mit der Krankheit Lipödem. Was kann man dagegen genau machen? Konsequent Kompressionsversorgung tragen und zwei bis (bei akuten Wassereinlagerungen) dreimal zur Lymphdrainage gehen wenn ein Lymphödem auch diagnostiziert wird. Mehr Behandlungsmöglichkeiten gibt es zurzeit nicht außer die Liposuktion (Fettabsaugung). Das liegt auch leider daran das die Krankheit nicht erforscht ist und uns keiner sagen kann woher oder was die Symptome genau beeinflussen.

Also habe ich die Behandlung begonnen. Mich mit meiner Kompression angefreundet und gelernt diese richtig anzuziehen und bin zur Lymphdrainage gegangen. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass sich meine Beine in einer Art besser anfühlen und ich mich „fitter“ fühle. Das Gefühl der schweren Beine war nicht mehr so stark im Vordergrund und deswegen habe ich mit Sport angefangen.

Es gibt vier Säulen einer guten Behandlung für ein Lipödem. Da es keine Behandlung in der konventionellen Therapie gibt muss man sich leider selbst helfen.

Der Sport ist eine wichtige Säule für das Wohlbefinden bei Lip/Lymphödemen. Bewegung im Wasser ist das beste was man machen kann. Nicht nur weil man sich im Wasser einfach leichter fühlt und sich auch leichter bewegen kann mit Übergewicht. Auch ist das Arbeiten gegen den Wasserwiederstand eine manuelle Lymphdrainage. Und es macht einfach Spaß! Bei mir kamen dann noch Fahrradfahren (was auch die Gelenke schont) und ein paar andere Sportarten dazu. Aber bitte nichts über das Knie brechen! Langsam und konsequent ist der Schlüssel zum Erfolg.

Das nächste was angegangen werden muss ist das Essen. Ich schreibe mein Essen auf damit ich einen Überblick über den Kalorienbedarf am Tag habe. Ich mache auch keine Diät oder sonstiges. Ich ernähre mich Gesund und probiere alles aus was mir gefällt. Diäten sind kurzweilig und bringen kein Umdenken in der Ernährung. Man muss sich mit den Lebensmitteln auseinandersetzten und merken welches gut für einen ist und welches nicht. Was mir schmeckt und was mir gar nichts bringt!

Kompression ist die nächste Säule. Eine tägliche Kompression der Haut ist wichtig für den Krankheitsverlauf. Durch die Kompression wird der Haut „Einhalt geboten“. Das heißt, dass sich die Haut nicht weiter ausweiten kann durch Wasser-/ oder Fetteinlagerungen. Auch hat sich (bei mir) mein Körpergefühl verbessert. Ich habe mit der Kompression meinen Körper kennengelernt.

Die nächste und letzte Maßnahme ist die Lymphdrainage. Diese manuelle Behandlung hilft dem Körper bzw. den Lymphen wieder in Gang zu kommen und das überflüssige Wasser abzugeben.

Ich habe gemerkt, wenn diese vier Punkte ineinander greifen kann man dem Lipödem wirklich gut entgegentreten und ein besseres Leben führen.

Ich kann nur hoffen, dass sich in der nächsten Zeit das Denken in der Politik, Gesundheit und Öffentlichkeit ändert. Dicke Menschen sind nicht immer „NUR“ Dick sondern dahinter steckt meistens eine Geschichte. Auch wenn man nicht von Lipödemen betroffen ist. Es gibt immer einen Auslöser für eine Krankheit. Das muss die Öffentlichkeit endlich begreifen und respektieren. Auch muss die Politik und das Gesundheitssystem die Krankheit Lipödem als Krankheit anerkennen. Es wäre sehr positiv zu wissen was der Auslöser – oder besser – was das Lymphsystem im Körper so beeinflusst das es nicht mehr richtig bei vielen Frauen funktioniert oder arbeitet. Dafür muss geforscht werden.

Auch muss bei der Versorgung mit Kompression über die Krankenkassen umgedacht werden. Im Normalfall bekommt man zwei Kompressionen im Jahr. Weil eine Kompression 6 Monate hält. Wer aber aktiv am Leben teilnimmt durch Sport oder Arbeit muss seine Kompression jeden Tag waschen, um zum einen den Effekt einer Kompression aufrecht zu erhalten und zum anderen sauber in den nächsten Tag zu starten. Das wird mit nur einer Kompression im halben Jahr sehr schwierig!

Es gibt leider noch sehr viele Missstände in diesem Bereich und das führt dazu, dass andere Frauen nicht diagnostiziert werden als Lipödem-Patient. Oder sie selbst nicht genau wissen was im Körper gerade schiefläuft und es einfach so laufen lassen. Allen Frauen oder Mädchen (bei mir ist die Krankheit in der Pubertät ausgebrochen) die sich in diesem Erfahrungsbericht wiederfinden und noch keine Diagnose haben sei gesagt: geht bitte zu einem Phlebologen und lasst es prüfen!

Ich stehe für den Austausch und Hilfe gerne bereit. Schreibt mir einfach eine Mail: kerstin-jungwirth@gmx.net