Bay­reu­ther Eth­no­lo­ge lei­tet Pro­jekt zum nach­hal­ti­gen Land­bau im Tschad

Dattel- und Dumpalmen vor einer Kulisse aus Sandsteinfelsen im Tal von Dobohor im Westtibesti. Wie in anderen Tälern des Tibesti auch, fand hier der heute weitgehend vergessene Gartenbau statt. Foto: Tilman Musch.
Dattel- und Dumpalmen vor einer Kulisse aus Sandsteinfelsen im Tal von Dobohor im Westtibesti. Wie in anderen Tälern des Tibesti auch, fand hier der heute weitgehend vergessene Gartenbau statt. Foto: Tilman Musch.

Neue Gär­ten für die Sahara

Ein unge­wöhn­li­ches Pro­jekt im Nor­den des Tschad ist im Janu­ar 2021 unter Lei­tung von Dr. Til­man Musch, Eth­no­lo­ge an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, gestar­tet: Im Tibe­sti-Gebir­ge soll eine alte Tra­di­ti­on des Gar­ten­baus wie­der­be­lebt und mit den heu­ti­gen Instru­men­ten einer nach­hal­ti­gen Land­wirt­schaft opti­miert wer­den. In Koope­ra­ti­on mit Gärtner*innen aus ande­ren Oasen­kul­tu­ren der Saha­ra wer­den 20 Muster­gär­ten im Stock­werks­bau ent­ste­hen, in denen qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Nah­rungs­mit­teln ange­baut wer­den: Auf drei Eta­gen wach­sen künf­tig Dat­tel­pal­men, Obst­bäu­me sowie Gemü­se und Kräu­ter. Die Ger­da Hen­kel Stif­tung för­dert das Vor­ha­ben für zwei Jahre.

Die neu­en Saha­ra­gär­ten haben jeweils eine Flä­che von rund 500 Qua­drat­me­tern. Von zen­tra­ler Bedeu­tung für ihre Bewirt­schaf­tung sind Dat­tel­pal­men, die nicht nur Früch­te, son­dern auch Holz und Fasern als Bau­ma­te­ria­li­en lie­fern. In ihrem Schat­ten sol­len schon bald Gra­nat­äp­fel und Zitrus­früch­te, Gemü­se­pflan­zen sowie Heil- und Gewürz­kräu­ter gedei­hen. Der stock­werk­ar­ti­ge Auf­bau der Gär­ten, der tra­di­tio­nell in Nord­afri­ka weit ver­brei­tet war und aktu­el­len Kon­zep­ten der Wald­wirt­schaft ähnelt, erweist sich dabei als vor­teil­haft: Die Ver­sor­gung der Nutz­pflan­zen, die einen sehr unter­schied­li­chen Bedarf an Nähr­stof­fen, Was­ser und Licht haben, kann so gut auf­ein­an­der abge­stimmt werden.

Moder­ne Nie­der­druck-Tröpf­chen­an­la­gen wer­den der Bewäs­se­rung die­nen. Das dafür nöti­ge Was­ser soll mit­hil­fe solar­ge­stütz­ter Pum­pen­sy­ste­me aus ober­flä­chen­na­hen offe­nen Brun­nen gewon­nen wer­den. „Wir wer­den bei der Pla­nung und Bewirt­schaf­tung der Gär­ten im Tibe­sti eng mit Men­schen aus ande­ren Gegen­den der Saha­ra koope­rie­ren, die unter ähn­li­chen Umwelt­be­din­gun­gen erfolg­reich gärt­ne­risch tätig sind. Sie haben auch lang­jäh­ri­ge Erfah­run­gen dar­in, der Ver­sal­zung und Ero­si­on der Böden vor­zu­beu­gen“, sagt Dr. Til­man Musch.

Der Markt von Bardai. Dieser Händler verkauft u.a. Zwiebeln, Matratzen, Kekse, Bonbons, Konserven, Guavensaft, Milchpulver, Matten, Tee, Zement, Zucker, Käse und Gebetsteppiche. Viele Güter werden über Libyen importiert. Foto: Tilman Musch.

Der Markt von Bar­dai. Die­ser Händ­ler ver­kauft u.a. Zwie­beln, Matrat­zen, Kek­se, Bon­bons, Kon­ser­ven, Gua­ven­saft, Milch­pul­ver, Mat­ten, Tee, Zement, Zucker, Käse und Gebets­tep­pi­che. Vie­le Güter wer­den über Liby­en impor­tiert. Foto: Til­man Musch.

In den Gebirgs­re­gio­nen des Tibe­sti sind die Tech­ni­ken des Gar­ten­baus, mit denen frü­her der täg­li­che Bedarf an Obst und Gemü­se gedeckt wer­den konn­te, weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Heu­te wer­den die mei­sten Nah­rungs­mit­tel aus Liby­en impor­tiert. Oft sind dies ver­gleichs­wei­se teu­re Dosen­pro­duk­te. „Unser neu­es Gar­ten­bau-Pro­jekt wird dazu bei­tra­gen, dass die loka­le Bevöl­ke­rung im Tibe­sti wie­der einen bes­se­ren Zugang zu fri­schen, qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen und preis­gün­sti­gen Lebens­mit­teln erhält“, erklärt der Bay­reu­ther Eth­no­lo­ge. Ergänzt wird das neue Vor­ha­ben durch ein wis­sen­schaft­li­ches Begleit­pro­jekt: In Zusam­men­ar­beit mit dem Cent­re Natio­nal de Recher­che pour le Déve­lo­p­pe­ment in N’Djamena, der Haupt­stadt des Tschad, wer­den zwei Ver­suchs­gär­ten ein­ge­rich­tet und zwei tscha­di­sche Master­ar­bei­ten zum The­ma betreut werden.

Bereits von 2017 bis 2020 hat Musch im Nor­den des Tschad ein sozi­al­wis­sen­schaft­li­ches Vor­gän­ger­pro­jekt gelei­tet, das eben­falls von der Ger­da Hen­kel Stif­tung geför­dert wur­de. Die For­schungs­ar­bei­ten befass­ten sich vor allem mit dem Rechts­sy­stem der loka­len Bevöl­ke­rung, der Teda, die zu den Tubu gehö­ren und sowohl im Tibe­sti als auch im Süden Lybi­ens und im Osten Nigers sie­deln. Trotz des Kolo­nia­lis­mus und der star­ken euro­päi­schen Ein­flüs­se auf vie­le afri­ka­ni­sche Rechts­sy­ste­me hat sich das tra­di­tio­nel­le Recht­sy­stem der Teda weit­ge­hend unver­än­dert erhal­ten. „Der jahr­hun­der­te­al­te Kodex trägt heu­te wesent­lich zur sozia­len und poli­ti­schen Sta­bi­li­tät und zum Frie­den in der Regi­on bei“, sagt Musch.

Die Caldera des „Natronlochs“ im Tibesti mit ihren Sekundärvulkanen. Während der jahrtausendelangen Austrocknung der Sahara stellte das Tibesti für Mensch, Tier und Pflanze einen Gunstraum und ein Rückzugsgebiet dar. Foto: Tilman Musch.

Die Cal­de­ra des „Natron­lochs“ im Tibe­sti mit ihren Sekun­där­vul­ka­nen. Wäh­rend der jahr­tau­sen­de­lan­gen Aus­trock­nung der Saha­ra stell­te das Tibe­sti für Mensch, Tier und Pflan­ze einen Gunstraum und ein Rück­zugs­ge­biet dar. Foto: Til­man Musch.

Der jetzt gestar­te­te Bau der Saha­ra­gär­ten geht auf Anre­gun­gen der loka­len Bevöl­ke­rung zurück. Als die Ger­da Hen­kel Stif­tung im Jahr 2020 die För­de­rung eines wei­te­ren For­schungs­vor­ha­bens in Aus­sicht stell­te, nahm der Bay­reu­ther Eth­no­lo­ge Kon­takt mit den Men­schen im Tschad auf, mit denen er bis dahin erfolg­reich zusam­men­ge­ar­bei­tet hat­te. Mehr­fach wur­de ihm der Wunsch nach einem Gar­ten­bau­pro­jekt über­mit­telt, das die nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft im Tschad för­dert. In Koope­ra­ti­on mit einem For­schungs­zen­trum des Tschad, dem Cent­re Natio­nal de Recher­che pour le Déve­lo­p­pe­ment (CNRD), und dem Abge­ord­ne­ten Djid­di Allahi Maha­mad, der den Wahl­kreis Tibe­sti-West (Zouar) in der Natio­nal­ver­samm­lung ver­tritt, ent­wickel­te er das Kon­zept der Muster­gär­ten, das alte regio­na­le Tra­di­tio­nen und moder­nen Land­bau verbindet.

Foto­re­por­ta­ge zu den For­schungs­ar­bei­ten von Dr. Til­man Musch:

https://​lisa​.ger​da​-hen​kel​-stif​tung​.de/​t​e​d​a​_​u​n​d​_​t​i​b​e​sti