Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 11

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Über das Geländer

Sie haben schon ein­mal Bana­nen gese­hen. Auf einer zer­fled­der­ten Illu­strier­ten­sei­te im War­te­zim­mer vom Dok­tor Pawellek.

Die waren gelb, krumm, und die Kin­der­au­gen auf dem Bild strahl­ten. Jetzt soll es auch schon wel­che in man­chen Gemü­se­ge­schäf­ten der Stadt geben.

Bis zum Stei­ner­wei­chen bebet­teln Jakob und Andi ihre Mut­ter, ehe sie sich her­um­krie­gen lässt. Die Zeit der Lebens­mit­tel­kar­ten ist zwar vor­bei, aber trotz­dem muss sie die drei­hun­dert Krö­ten zusam­men­hal­ten, die ihr Herr­mann monat­lich aus der Spar­kas­se nach Hau­se bringt. Schul­geld ist auf dem Erne­sti­num auch fällig.

Sie zweigt es heim­lich von ihrem Haus­halts­geld ab. Aber sie muss Wort hal­ten und steht am näch­sten Mor­gen vor dem Kolleck.

Der Koll­eck hat­te anfangs nur einen Markt­stand mit Obst und Gemü­se gehabt. Er ist ein Schle­si­er – man riecht es am Namen – und da kauft sie auch immer ein.

Man muss ja zusam­men­hal­ten, wenn man schon die Hei­mat ver­lo­ren hat.

Jetzt ist der Koll­eck in sei­nem win­zi­gen Kel­ler­ge­schäft im Stein­weg zu fin­den. Dort gehen sie ger­ne hin­ein. An einem Eisen­ge­län­der tastet man sich über aus­ge­tre­te­ne Sand­stein­stu­fen in den Laden hin­un­ter. Ein Schwall aller Düf­te, Gerü­che und Aro­men der Obst­sor­ten und Gemü­se­ar­ten ver­schmilzt hier unten zum Koll­eck­ge­ruch. Der lässt alle lächeln, sich leicht und schwe­bend fühlen.

Hed­wig ist in die­ses duf­ten­de, fried­fer­ti­ge Kel­ler­reich hin­ab gestiegen.

Die Blicke der Jun­gen tasten die Holz­re­ga­le ver­geb­lich nach der gel­ben Frucht ab. Ent­täuscht tra­gen sie der Mut­ter Netz und Ein­kaufs­ta­sche zurück in die Stra­ßen­welt, wo der blaue Rauch der Zwei­tak­ter sich mit dem stren­gen Geruch der Asphalt­ko­cher mischt. Hed­wig fal­tet eine Tüte auf. Mit gerun­zel­ter Stirn neh­men sie ihr Geschenk ent­ge­gen. Die­se Bana­nen haben mit den gel­ben Träu­men in der Illu­strier­ten vom War­te­zim­mer nichts mehr zu tun. Dun­kel­brau­ne, dün­ne Hörn­chen, gera­de mal hand­span­nen­lang. Ermu­ti­gend nickt sie ihren Jun­gen zu, zeigt dem Jüng­sten, wie man sie schält. Zag­haft beißt er hin­ein. Die schon etwas gla­sig gewor­de­ne, über­rei­fe Frucht brei­tet ihren frem­den, zar­ten Geschmack bis in den klein­sten Win­kel des Mun­des aus. Nur Scheib­chen nagen sie ab. Ver­glei­chen mit heim­li­chem Sei­ten­blick, wie weit der Ande­re ist.

Ein­träch­tig las­sen sie die led­ri­gen Scha­len über das Gelän­der in den Fluss glei­ten, als sie über die Bahn­hofs­brücke gehen.

Hed­wig sagt, jetzt wüss­ten sie ja, wie Bana­nen schmecken. Sie nicken.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839