Fort­set­zungs­ro­man: “Rast­stra­ße” von Joa­chim Kort­ner, Teil 5

Joachim Kortner: Raststraße. Roman in Episoden.

Roma­n­epi­so­den von Joa­chim Kortner

Der Reichs­graf

Der Sobie­gal­la will mit ihm am Frei­tag­nach­mit­tag zum Reichs­graf hin­ge­hen und ihm Brau­ne zei­gen. Hat er gesagt.

Dass ein Reichs­graf so etwas wie ein Her­zog oder ein Prinz ist, das ist Jakob schon klar. Auf jeden Fall kann er es sich nicht ent­ge­hen las­sen, so einen hohen Ade­li­gen in Wirk­lich­keit zu sehen.

Meh­re­re davon hat er ja schon ken­nen gelernt. Die ste­hen als Sta­tu­en in der Stadt, aus so einem grün­li­chen Metall. Einen rich­ti­gen Für­sten aus Fleisch und Blut hat er noch nicht ein­mal aus der Fer­ne gese­hen. Und was Brau­ne sind, das will er den Sobie­gal­la nicht fra­gen, will vor ihm nicht all­zu doof dastehen.

*

Die Bla­ma­ge mit der Schneck­bar steckt ihm noch in den Knochen.

Sein acht­zehn­jäh­ri­ger Bru­der hat sich gebo­gen vor Lachen, als er ihm die Schneck­bar­sa­che erzähl­te. Der lern­te auf dem Erne­sti­num schon Eng­lisch und wuss­te, dass snack Imbiss heißt.

Jakob läu­tet beim Sobie­gal­la. Des­sen Mut­ter, eine rie­sen­haf­te Frau, strahlt ihn mit vie­len Mohn­körn­chen zwi­schen den Zäh­nen an, will ihn sogar her­ein­bit­ten. Aber der Klo­ge­ruch aus dem Flur lässt ihn doch lie­ber im Frei­en warten.

Der Reichs­graf sei über­haupt nicht weit. Eigent­lich bloß um die Ecke. Sie gehen neben­ein­an­der her, sagen nichts. Nach ein paar Minu­ten ste­hen sie vor einem schö­nen Haus gegen­über dem Bahn­hof. Der Sobie­gal­la deu­tet mit dem Kinn in die Höhe. Hotel Reichs­graf steht in ver­zier­ten Buch­sta­ben an der Außen­wand des schlan­ken, hohen Hau­ses. Jakob tut, als habe er nichts Ande­res, als ein Gebäu­de erwartet.

Ein schwar­zer Mer­ce­des parkt davor. Der Fah­rer hat eine Schirm­müt­ze auf und liest in einer Zei­tung, die er sich über das Steu­er­rad aus­ge­brei­tet hat­te. Der Sobie­gal­la sagt, dass es hof­fent­lich nicht mehr so lan­ge dau­ert, wie beim letz­ten Mal. Damals habe er fast eine Stun­de war­ten müs­sen, bis ein Brau­ner aus dem Reichs­graf gekom­men sei.

All­mäh­lich stellt sich Jakob vor, wie es aus­sieht, wenn ein brau­nes Pferd aus dem Hotel­ein­gang her­aus trabt. Für ihn ist das nichts Außer­ge­wöhn­li­ches, hat­te er doch selbst gese­hen, wie ein rus­si­scher Sol­dat über die Vor­trep­pe in ein Pfarr­haus hin­ein gerit­ten war. Damals, als die Frau­en und Mäd­chen so schrill geschrien hatten.

*

Außer den bei­den Jun­gen war­tet nur ein jun­ger Mann vor dem Reichs­graf. Der trägt einen Hut und hat einen zer­knit­ter­ten Man­tel an. Das Ende des lap­pi­gen Gür­tels steckt in der Manteltasche.

Der Kra­gen hoch­ge­klappt. Eine Kame­ra mit gro­ßem Blitz­licht­schein­wer­fer hängt ihm vor dem Bauch. Stän­dig geht er auf und ab. Zwi­schen­durch sieht er hin­über zur Bahnhofsuhr.

Der Chauf­feur steigt aus dem Mer­ce­des, legt die Schirm­müt­ze auf das Wagen­dach, ver­tritt sich die Bei­ne, taucht bald wie­der in sei­nen Wagen ein.

Der Sobie­gal­la hat als Erster etwas gemerkt, geht mit raschen Schrit­ten auf den Hotel­ein­gang zu und winkt Jakob heran.

Her­aus kommt ein älte­rer Herr. Schwar­zer Anzug, wei­ße Weste mit lan­ger Gold­ket­te für die Taschen­uhr, den grau­en Man­tel über dem Arm. Der Knit­ter­man­tel­mann läuft auf ihn zu und hebt die Kamera.

Das is ein Brau­ner! Den kenn ich vom Rat­haus! Der Sobie­gal­la ruft das ganz laut und ungeniert.

Der Gold­ket­ten­mann deckt sein Gesicht mit dem Man­tel und bückt sich, so schnell er kann, in den Mer­ce­des. Noch ein­mal ver­sucht der Kame­ra­mann zum Schuss zu kom­men, den Brau­nen durch die Sei­ten­schei­be zu erwi­schen. Der Mer­ce­des­mo­tor heult auf. Es riecht nach ver­brann­tem Gummi.

Wie­sel­flink rennt der Sobie­gal­la auf die Chauf­feurs­müt­ze zu, die vom Dach gefal­len ist, klopft sie am Ober­schen­kel ab, sieht sie mit siche­rem Beu­te­blick an.

Der Kame­ra­mann lacht kurz auf und sagt Arisierungsschwein.

Der Sobie­gal­la drückt Jakob die erbeu­te­te Schirm­müt­ze zum Betrach­ten in die Hand. Sie stinkt tra­nig. Der Sobie­gal­la nimmt die Müt­ze wie­der an sich. Wie einer, dem sie schon immer gehört hat.

Sie gehen nach Hause.

War­um der Brau­ne einen schwar­zen Anzug an hat­te, wagt Jakob nicht zu fra­gen. Die Cobur­ger wis­sen ein­fach mehr. Er ist froh, dass der Sobie­gal­la über­haupt mit ihm geht. Mit ihm, dem Flüchtling.


Raststraße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße: Roman in Episoden

Rast­stra­ße

Roman in Epi­so­den Joa­chim Kortner

  • Paper­back
  • 244 Sei­ten
  • ISBN-13: 9783833489839
  • Ver­lag: Books on Demand
  • Erschei­nungs­da­tum: 28.04.2008
  • Spra­che: Deutsch
  • Far­be: Nein

Bestel­lung (Paper­back & E‑Book): https://​www​.bod​.de/​b​u​c​h​s​h​o​p​/​r​a​s​t​s​t​r​a​s​s​e​-​j​o​a​c​h​i​m​-​k​o​r​t​n​e​r​-​9​7​8​3​8​3​3​4​8​9​839