Erlan­gen: „‚Tat­ort´ ist das intel­li­gen­te­re ‚Das Traum­schiff‘“ – Inter­view mit Dr. Sven Grampp – 50 Jah­re „Tat­ort“

Am Sonn­tag, 29.11. kommt der erste Teil der Jubi­lä­ums­fol­ge des ‚Tat­ort‘. Zu die­sem Anlass möch­te ich Sie ger­ne auf das Inter­view mit Medi­en­wis­sen­schaft­ler Dr. Sven Grampp von der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg zu „50 Jah­re Tat­ort“ auf­merk­sam machen.

Dr. Sven Grampp vom Lehr­stuhl für Medi­en­wis­sen­schaft an der FAU. (Bild: FAU/​Harald Sippel)

50 Jah­re Tat­ort – der Kult­kri­mi fei­ert Jubi­lä­um! Zu die­sem Anlass hat die ARD mit den Ermitt­ler-Teams aus Dort­mund und Mün­chen eine Dop­pel­fol­ge gedreht, deren erster Teil am 29. Novem­ber aus­ge­strahlt wird. Auch Medi­en­wis­sen­schaft­ler und lei­den­schaft­li­cher ‚Tatort’-Gucker Dr. Sven Grampp, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für Medi­en­wis­sen­schaft der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg (FAU), freut sich auf die Jubi­lä­ums­fol­ge und ver­kürzt die War­te­zeit mit einem Blick auf die Ent­wick­lung der TV-Rei­he. Im Inter­view erklärt er, war­um die Kri­mi-Serie auch nach einem hal­ben Jahr­hun­dert noch äußerst erfolg­reich ist und was sie mit ‚Das Traum­schiff‘ gemein­sam hat.

Die Kri­mi-Rei­he ‚Tat­ort‘ begeht Ende Novem­ber ihr 50-jäh­ri­ges Jubi­lä­um. Wer­fen wir einen Blick zurück zu ihrem Anfang 1970 – in wel­cher Fern­seh­land­schaft ist ‚Tat­ort‘ gestartet?

Tat­säch­lich ist der Anfang der ‚Tatort‘-Reihe inter­es­sant. Zwar gab es von Beginn an ein kla­res Kon­zept und der Fern­seh­pro­du­zent Gun­ter Wit­te setz­te drei Regeln auf die Agen­da: Der Kom­mis­sar soll­te erstens im Fokus ste­hen. Zwei­tens muss­ten Regio­na­le Spe­zi­fi­ka eine maß­geb­li­che Rol­le spie­len. Und drit­tens soll­ten die Kri­mi­nal­fäl­le zwar nicht nach wah­ren Fäl­len gestal­tet sein, aber doch mög­lichst ‚rea­li­täts­nah‘ wir­ken. Schaut man sich indes die ersten Fol­gen an, dann wur­den die­se Regeln zum einen nicht beson­ders kon­se­quent umge­setzt und zum ande­ren exi­stie­ren die ersten Epi­so­den bereits vor dem Konzept.

Dazu muss man wis­sen: Auf dem ZDF lief von 1968 bis 1973 die Sen­dung ‚Der Kom­mis­sar‘, die sehr erfolg­reich war. Als Kon­kur­renz dazu hat die ARD ‚unter Hoch­druck‘ den ‚Tat­ort‘ ein­ge­führt, um nicht den Anschluss beim TV-Publi­kum zu ver­lie­ren. Das wur­de eini­ger­ma­ßen hek­tisch und kurz­fri­stig umge­setzt. Die erste Fol­ge ‚Taxi nach Leip­zig‘ mit Kom­mis­sar Trim­mel war schon abge­dreht vor und unab­hän­gig von ‚Tat­ort‘, wur­de dann aber kur­zer­hand als Auf­takt genom­men. Ein Kri­mi­nal­film mit eben die­sem Kom­mis­sar Trim­mel lief bereits 1969 im Fern­se­hen und wur­de dann als wei­te­rer ‚Tat­ort‘ noch­mal aus­ge­strahlt. Und auch wenn Epi­so­den direkt für den ‚Tat­ort‘ pro­du­ziert wur­den, hat­ten die­se mit Rea­li­täts­nä­he und Lokal­ko­lo­rit häu­fig nicht all­zu viel zu tun. So gab es am Anfang rela­tiv vie­le Fol­gen mit Inspek­tor Kres­sin, ein regel­rech­ter James Bond-Ver­schnitt. Der über­aus coo­le Kres­sin kut­schier­te und ermit­tel­te ähn­lich rea­li­täts­fern wie Bond durch ganz Deutschland.

Es lohnt sich außer­dem auch der Blick in die ehe­ma­li­ge DDR, wo 1971 die Sen­dung ‚Poli­zei­ruf 110‘ gestar­tet ist. Es war also nicht nur eine Kon­kur­renz­si­tua­ti­on zwi­schen den bei­den gro­ßen west­deut­schen öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern, son­dern auch zwi­schen Ost und West. Die erste Fol­ge ‚Taxi nach Leip­zig‘ griff das Ost-West-The­ma auf. Auch in wei­te­ren Fol­gen ging es um das geteil­te Deutsch­land, Spio­na­ge und Aus­tausch von Ideo­lo­gien. Das nennt man dann wohl Zeit­geist, der hier abge­bil­det wird.

Wie hat sich „Tat­ort“ über 50 Jah­re hin­weg verändert?

Über die Jah­re hat sich der ‚Tat­ort‘ deut­lich ver­än­dert. Häu­fi­ger ging es schlicht­weg dar­um ‚Wer hat es getan?‘. Mit­te der 1970er Jah­re ent­wickel­te sich der Tat­ort jedoch schon in die Rich­tung, wie wir die Sen­dung heu­te ken­nen: Es geht um sozia­le Milieus und auch um die Fra­ge ‚war­um hat jemand die Tat began­gen?‘. Wir ler­nen oft den Täter als ‚armes Würst­chen‘ ken­nen, die Moti­ve sind mei­stens nicht Rach­sucht oder Bös­wil­lig­keit, son­dern sozia­le Pro­ble­me, Geld­not und Arbeits­lo­sig­keit. Ab den 1980er Jah­ren ste­hen dann die Kom­mis­sa­re mehr und mehr im Vor­der­grund, deren – auch per­sön­li­che – Wege wir ver­fol­gen sowie ihre Art und Wei­se, den Fall auf­zu­klä­ren. Ein­her geht damit auch eine meh­re­re Epi­so­den über­grei­fen­de Erzählungsstrang.

Das scheint mir eine ganz gän­gi­ge Ent­wick­lung: Eine Serie beginnt mit epi­so­dischem Erzäh­len und nach und nach tre­ten nicht nur wie­der­keh­ren­de Per­so­nen in Erschei­nung, son­dern die­se ent­wickeln sich all­mäh­lich. Zumeist im kon­tra­stie­ren­den Bezie­hungs­ab­gleich mit ande­ren Figu­ren des Teams. So haben wir immer einen abge­schlos­se­nen Fall und gleich­zei­tig ein Fort­set­zungs­ele­ment über län­ge­re Zeit hin­weg. Das nennt man wis­sen­schaft­lich ‚hyper­kon­nek­ti­ve Zuschau­er­bin­dung‘, was schlicht bedeu­tet: Unter­schied­li­ches Kli­en­tel soll ange­spro­chen werden.

Machen wir noch ein­mal einen Sprung in die 1990er oder auch zu den aktu­el­len Fol­gen. Heu­te ist der ‚Tat­ort‘ sehr aus­dif­fe­ren­ziert in dem Sin­ne, dass die Per­sön­lich­kei­ten der Ermitt­ler und loka­le Beson­der­hei­ten sehr viel stär­ker zu fin­den sind. Das beginnt bei den Dia­lek­ten und geht bis hin zur Tona­li­tät, die typisch für eini­ge Stand­or­te sind, so sind zum Bei­spiel die Wei­ma­rer Ermitt­ler eher komö­di­an­tisch, ande­re Kom­mis­sa­re sind buch­stäb­lich bier­ernst. Der ‚Tat­ort‘ in Wies­ba­den ist wie­der­um dafür bekannt, dass er sehr selbst­re­fle­xiv ist, da trifft zum Bei­spiel der Kom­mis­sar sich selbst als Schau­spie­ler. Sol­che Expe­ri­men­te sind inzwi­schen sehr gän­gig, war mir durch­aus gefällt. Soweit ich auf­grund der Twit­ter-Bei­trä­ge und Feuil­le­ton­bei­trä­ge beur­tei­len kann, die ich mir ange­schaut haben, sieht das indes nicht jeder so. Die­se Stil­va­ria­ti­on ist mei­ner Mei­nung nach, seit den 1990ern sehr stark zu sehen und genau die macht den ‚Tat­ort‘, neben den unter­schied­li­chen Natu­rel­len der Ermitt­ler und der Antho­lo­gie­struk­tur, eben so interessant.

Frü­her war der Sen­de­platz am Sonn­tag­abend um 20.15 Uhr Kult. Spielt der heu­te in einer Zeit der Strea­ming­dien­ste noch eine Rolle?

Ich glau­be, der feste Sen­de­platz spielt schon eine Rol­le. Als ich noch Stu­dent war, haben wir uns Sonn­tag­abend in der Knei­pe getrof­fen, um ‚Tat­ort‘ zu schau­en. Frei­lich vor allem, um uns über die falsch gewähl­ten Dia­lek­te oder ört­li­che Unmög­lich­kei­ten bei Ver­fol­gungs­jag­den durch Kon­stanz lustig zu machen.

Viel­leicht suchen ‚wir‘ Din­ge, die Bestand haben oder doch noch ein­mal zumin­dest die Ahnung eines ‚media­len Lagen­feu­ers‘? Die ‚Lin­den­stra­ße‘ und ‚Wet­ten, dass‘ wur­den abge­setzt, als TV-Urge­stei­ne sind der ‚Tat­ort‘ und viel­leicht noch das ‚Das Traum­schiff‘ übrig. ‚Das Traum­schiff‘ ist kom­plett anders als ‚Tat­ort‘, hat aber ver­gleich­bar gute Ein­schalt­quo­ten. Es kommt immer an Weih­nach­ten und Sil­ve­ster und erzählt auch immer die glei­chen Geschich­ten, aber ist trotz­dem erfolg­reich. Also viel­leicht schal­ten die Men­schen da ein, weil es eben zu den kal­ten Fei­er­ta­gen gehört ima­gi­när in die Süd­see zu schip­pern. Wie bei ‚Tat­ort‘ am Sonn­tag kann man sich dar­über mit Eltern und Freun­den unter­hal­ten, das bil­det zum einen Gesell­schaft ab und zum ande­ren gehört es zum All­tag. Durch die Antho­lo­gie­struk­tur, die ver­gleichs­wei­se hohe Fre­quenz der Varia­tio­nen, wäre der Tat­ort hier das ‚intel­li­gen­te­re‘, ‚daheim­ge­blie­be­ne‘ Traumschiff‘.

Dr. Sven Grampp

Lehr­stuhl für Medi­en­wis­sen­schaft (Prof. Dr. Kirchmann)