Die Nos­fe­ra­tu-Spin­ne – eine medi­ter­ra­ne Art – ist in Ker­s­bach hei­misch geworden

Die an den berühmten Vampir erinnernde Körperzeichnung der Spinne. Foto: A. Riechelmann
Die an den berühmten Vampir erinnernde Körperzeichnung der Spinne. Foto: A. Riechelmann

Im Janu­ar 2008 mel­de­te die Bild-Zei­tung: „Sie beißt blitz­schnell zu – Gift­spin­ne erobert Deutsch­land“. Danach herrsch­te gro­ße Auf­re­gung im deut­schen Medi­en­wald. Vie­le Zei­tun­gen nah­men die Mel­dung auf. Wäh­rend bei der Bild-Zei­tung noch die Sen­sa­ti­ons­mel­dung im Vor­der­grund stand, waren die übri­gen Mel­dun­gen recht objek­tiv, da die Jour­na­li­sten vor der Ver­öf­fent­li­chung ihrer Mel­dun­gen Spin­nen­ex­per­ten kon­tak­tiert hatten.

Nosferatu-Spinne. Foto: Adolf Riechelmann

Nos­fe­ra­tu-Spin­ne. Foto: Adolf Riechelmann

Die Eck­da­ten rund um das Tier las­sen Spin­nen-Has­sern das Blut in den Adern gefrie­ren. Kör­per­durch­mes­ser zwei Zen­ti­me­ter, Bein­span­ne bis zu sechs Zen­ti­me­ter, haa­rig wie eine Taran­tel. Sie trägt den Bei­na­men „Nos­fe­ra­tu-Spin­ne“. Ein blei­cher, kah­ler Kopf mit selt­sam abste­hen­den Ohren und zwei gro­ße dunk­le Augen­höh­len. So kennt man Nos­fe­ra­tu, den Vam­pir, aus dem 1922 erst­mals in den Kinos gelau­fe­nen Hor­ror­film. Und genau­so kann man auch die­se Spin­nen­art gut von ande­ren Spin­nen unter­schei­den. Das Kopf-Brust­stück trägt eine Zeich­nung, die ein Bild­nis der Hor­ror­fi­gur sein könn­te – des­halb ihr deut­scher Name „Nos­fe­ra­tu-Spin­ne“ (sie­he wei­ßes Recht­eck in neben­ste­hen­dem Foto).

Die­se Spe­zi­es gehört zur gro­ßen Grup­pe der Kräu­sel­spin­nen, wel­che für den Fang von Beu­te Fäden pro­du­zie­ren, auf denen ein Gespinst von aller­fein­ster Spinn­wol­le, ähn­lich wie Wat­te, auf­ge­tra­gen ist. In die­ser Kräu­sel­wat­te ver­hed­dern sich die Beu­te­tie­re. Dabei ist kaum von akti­ver Ver­fol­gungs­jagd zu spre­chen, viel­mehr war­tet die Spin­ne ruhig, bis irgend­wel­che Beu­te­tie­re in ihre unmit­tel­ba­re Nähe kom­men. Erst dann wird mit einer raschen Annä­he­rung der Fang mit einem Gift­biss getötet.

Nosferatu-Spinne. Foto: Adolf Riechelmann

Nos­fe­ra­tu-Spin­ne. Foto: Adolf Riechelmann

Kräu­sel­jagd­spin­ne klingt nicht nach einer beson­ders ange­neh­men Haus­ge­nos­sin. Der unge­wohn­te Mit­be­woh­ner ist nicht wirk­lich aggres­siv, man muss die Spin­ne schon rei­zen, damit sie zubeißt. Bei Bedro­hung reagiert die Spin­ne vor­erst mit einer Droh­ge­bär­de: der Vor­der­kör­per wird gegen den Angrei­fer auf­ge­rich­tet und die Gift­klau­en (Che­li­ce­ren) vor­ne am Kopf wer­den weit auf­ge­spreizt. Nur klei­ne­re Objek­te greift die Spin­ne an, bei grö­ße­ren, wie einem Fin­ger, ergreift sie eher die Flucht. Etwas weni­ger beru­hi­gend fal­len die Ein­schät­zun­gen zur Wir­kung des Spin­nen-Bis­ses aus. Spa­ßig ist die Bekannt­schaft mit der Kräu­sel­jagd­spin­ne nicht. Schlim­mer als ein mil­der Bie­nen- oder Wes­pen­stich ist sie aber in kei­nem Fall. Eine Haut­rö­tung oder Schwel­lung um die Biss­stel­le her­um dau­ert höch­stens zwei Tage an. Nicht aus­zu­schlie­ßen ist jedoch, dass an sehr emp­find­li­chen Stel­len, wie etwa am Augen­lid, sich stär­ke­re Biss­fol­gen zei­gen oder dass es bei All­er­gi­kern zu grö­ße­ren Pro­ble­men kom­men könnte.

Es wird ver­mu­tet, dass „Nos­fe­ra­tu“ als blin­der Pas­sa­gier sowohl im Urlau­ber-Kof­fer, im Motor­raum von Autos als auch durch Pflan­zen­im­por­te und Güter­trans­por­te ein­ge­schleppt wur­de. Seit 2005 gibt es die recht gro­ße und auf­fäl­li­ge Kräu­sel­jagd­spin­ne auch in Deutsch­land. Zor­op­sis spi­ni­ma­na, so der wis­sen­schaft­li­che Name, ist ursprüng­lich als wär­me­lie­ben­de Spin­nen­art in den Wäl­dern des Mit­tel­meer­raums behei­ma­tet. Erst seit ein paar Jah­ren wer­den immer wie­der auch Exem­pla­re nörd­lich der Alpen gesich­tet. Die expan­si­ve Art hat inzwi­schen das gesam­te Ober­rhein­tal besie­delt und ist seit neue­stem auch in Mün­chen zu Hau­se. Im Gegen­satz zu ihren Ver­wand­ten in Süd­eu­ro­pa lebt die Art in Deutsch­land vor­wie­gend in Gebäuden.

Im Mai 2015 wur­de erst­mals eine Nos­fe­ra­tu-Spin­ne in Ker­s­bach gesich­tet. Im Janu­ar die­ses Jah­res fand eine Frau ein Exem­plar in ihrem Schlaf­zim­mer und letz­te Woche traf Adolf Rie­chelm­ann auf ein gro­ßes Weib­chen die­ser in Deutsch­land sel­te­nen Art am Dach­bo­den. Das Vor­kom­men über einen so lan­gen Zeit­raum beweist, dass sich im Dorf eine vita­le Popu­la­ti­on auf­ge­baut haben muss, denn die Lebens­dau­er der ein­zel­nen Tie­re beträgt höch­stens 18 Monate.

Wegen der stei­gen­den Tem­pe­ra­tu­ren wür­den immer mehr „wär­me­lie­ben­de Spin­nen­ar­ten“ den Weg Rich­tung Nor­den antre­ten, berich­ten die For­scher der Zoo­lo­gi­schen Staats­samm­lung Mün­chen. Da es der Spin­ne hier­zu­lan­de drau­ßen zu kalt ist, kommt sie mit Beginn der küh­le­ren Jah­res­zeit in die Häu­ser und Woh­nun­gen. Sie ist ein sehr guter Klet­te­rer und kann durch ihre Haf­thaa­re an den Füßen auch in obe­re Stock­wer­ke gelangen.

Gebäu­de­be­woh­nen­de Spin­nen­ar­ten sind die Stief­kin­der der Arach­no­lo­gie. Fun­dier­te Stu­di­en schei­tern an der Unzu­gäng­lich­keit des Lebens­raums. Aber zufäl­li­ge Ein­zel­be­ob­ach­tun­gen gewäh­ren wenig­stens einen klei­nen Ein­blick und offen­ba­ren, wel­chen Arten sich in den letz­ten Jah­ren in Bay­ern ver­brei­tet haben.

Adolf Rie­chelm­ann