Aus der Gau­städ­ter Leser­post: ÖPNV muss wei­ter aus­ge­baut und geför­dert werden

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Bam­berg-Gau­stadt, 7. Novem­ber 2020

Sehr geehr­te Damen und Herren!

Die sich der­zeit zuspit­zen­de Pan­de­mie­la­ge hat die Stadt Bam­berg eben­so wie ande­re kom­mu­na­le Kör­per­schaf­ten ver­an­laßt, erheb­li­che Ein­spa­run­gen auch zu Lasten „system­re­le­van­ter“ Struk­tu­ren – Jugend, Kul­tur, Bil­dung, Ver­kehrs­wen­de u.a. – zu beschlie­ßen oder zumin­dest zu erwä­gen. Wenn­gleich die finan­zi­el­le Zwangs­la­ge nicht igno­riert wer­den darf, ist abzu­se­hen: Die resul­tie­ren­den Rech­nun­gen – nicht allein fis­ka­li­scher Natur – wer­den der­einst zu beglei­chen sein.

Seit Jahr­zehn­ten schon steht der kom­mu­na­le öffent­li­che Per­so­nen­nah­ver­kehr unter finan­zi­el­lem Druck, wäh­rend kaum jemand die (in der Sum­me um vie­les höhe­ren) offe­nen und ver­steck­ten Sub­ven­tio­nen, die den moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehr för­dern, in Fra­ge stellt. Mit­tel, die für Bahn, Bus oder Fahr­rad aus­ge­wie­sen sind, flie­ßen zudem viel­fach in Maß­nah­men, deren eigent­li­cher Zweck die Frei­hal­tung der Stra­ßen für das Auto ist (Ver­drän­gung der Stra­ßen­bahn in den U‑Bahn-Tun­nel, der Rad­fah­rer auf – häu­fig zu eng dimen­sio­nier­te und / oder auf Kosten der Geh­stei­ge ange­leg­te – Son­der­we­ge im Seitenraum).

Statt die Zei­chen der Zeit end­lich wahr­zu­neh­men, setzt Bun­des­ver­kehrs­mi­ni­ster Scheu­er vor allem auf Stüt­zung des Flug- und des Auto­ver­kehrs ( www​.vcd​.org/​s​e​r​v​i​c​e​/​p​r​e​s​s​e​/​p​r​e​s​s​e​m​i​t​t​e​i​l​u​n​g​e​n​/​o​e​p​n​v​-​g​i​p​f​e​l​-​s​t​a​t​t​-​l​u​f​t​f​a​h​r​t​g​i​p​f​e​l​-​k​e​i​n​e​-​s​t​e​u​e​r​g​e​l​d​e​r​-​f​u​e​r​-​m​a​r​o​d​e​-​f​l​u​g​h​a​e​f​e​n​-​s​o​n​d​e​r​n​-​f​u​e​r​-​n​a​c​h​h​a​l​tig). Die Pan­de­mie nut­zend, strebt er sogar den Erhalt seit Jah­ren unwirt­schaft­li­cher Regio­nal­flug­hä­fen an. Die neue Auto­bahn­ge­sell­schaft erwar­tet zusätz­li­che Gel­der, obgleich die Fern­stra­ßen­pla­nun­gen des Bun­des schon lan­ge das finan­zi­ell mach- und öko­lo­gisch ver­tret­ba­re aus den Augen ver­lo­ren haben.

Öko­lo­gi­sche Fol­gen, dar­un­ter als eine der gra­vie­rend­sten der Kli­ma­wan­del, haben wäh­rend der Pan­de­mie kei­ne Pau­se ein­ge­legt. Zudem hat­te sich in der Ver­gan­gen­heit (die Anschlä­ge auf die Twin Towers in New York, der Vul­kan­aus­bruch auf Island) wie­der­holt gezeigt: Der Luft­ver­kehr hat mit­nich­ten die exi­sten­ti­el­le Bedeu­tung, die inter­es­sier­te Lob­by­krei­se sug­ge­rie­ren wol­len. Das Aus­maß des moto­ri­sier­ten Stra­ßen­ver­kehrs ist Fol­ge poli­tisch gewoll­ter Struk­tu­ren, die umkehr­bar sind. Und trotz jahr­zehn­te­lan­ger Bevor­zu­gung bewe­gen sich die weit­aus mei­sten Men­schen im Auto auf kur­zen Strecken: Rund die Hälf­te der Fahr­ten ist kür­zer als 5 km, nur jede zehn­te Fahrt über­schrei­tet die 10-km-Gren­ze. Alter­na­ti­ven sind leicht denkbar.

Es ist drin­gend an der Zeit, daß die Kom­mu­nen selbst und über ihre Spit­zen­ver­bän­de auf die Ver­kehrs­mi­ni­ster des Bun­des und der Län­der zuge­hen und vehe­ment eine deut­lich ver­bes­ser­te, lang­fri­stig ver­läß­li­che Finan­zie­rung des Öffent­li­chen Per­so­nen­ver­kehrs ein­for­dern. Sowohl die Stadt Bam­berg als auch der Land­kreis und sei­ne Gemein­den sind ange­sichts ihres ohne­hin beschei­de­nen ÖPNV gefor­dert. Neben kun­den­ge­rech­ter, ein­la­den­der Ange­bots­qua­li­tät (Fahr­zeu­ge, Fahr­plan­takt, zeit­li­che und räum­li­che Erschlie­ßungs­dich­te, Umstei­ge­be­zie­hun­gen, Fahr­gast­in­for­ma­ti­on, Fahr­schein­er­werb, …) darf die Ver­net­zung im Umwelt­ver­bund (Zuwe­gun­gen zu Fuß und per Fahr­rad, Hal­te­punkt­aus­stat­tung, Fahr­rad­stell­plät­ze, Rad­mit­nah­me) nicht ver­nach­läs­sigt werden.

Auch das Ver­kehrs­recht ist – hier müs­sen sich die Kom­mu­nen gleich­falls ver­nehm­bar zu Wort mel­den – als­bald auf die Füße zu stel­len. Bis­lang ist der moto­ri­sier­te Stra­ßen­ver­kehr das Maß aller Din­ge, vor allem Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger wer­den an die Sei­te gedrückt – nicht sel­ten in unfall­träch­ti­ge Kon­flikt­zo­nen. Ver­kehrs­er­zie­hung und Fahr­aus­bil­dung ver­mit­teln, dies wäre der natur­ge­ge­be­ne Nor­mal­zu­stand. Ange­fan­gen von der For­de­rung, die Gestal­tung des Stra­ßen­raums von außen nach innen zu den­ken (die Arbeits­ge­mein­schaft fahr­rad- und fuß­gän­ger­freund­li­cher Städ­te, Krei­se und Gemein­den in Nord­rhein-West­fa­len hat sich die­se – zumin­dest dekla­ma­to­risch – zu eigen gemacht), über ver­än­der­te Vor­ga­ben, wel­che Sicher­heit und Auf­ent­halts­qua­li­tät über schnel­les Fah­ren stel­len, bis zu ent­spre­chend refor­mier­ten (Aus)Bildungsinhalten bie­tet sich dem Ver­kehrs­mi­ni­ster ein umfang­rei­ches Betätigungsfeld.

Demo­kra­tie wächst von unten. Daß Mini­ster Scheu­er – oder sein/​e Nachfolger/​in – von allein von der Auto- und Flug­zeug­ver­liebt­heit abläßt, ist nicht zu erwar­ten. Doch auch manche/​r (Ober)Bürgermeister/in muß erst über­zeugt wer­den, daß kom­mu­na­les Glück nicht von mög­lichst vie­len asphal­tier­ten Quadrat(kilo)metern und metal­le­nen Karos­sen abhängt.

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig