Aus der Gau­stadter Leser­post – Ursa­chen­for­schung betreiben

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Bam­berg-Gau­stadt, 20 Sep­tem­ber 2020

Sehr geehr­te Damen und Herren!

Unfäl­le ver­mei­den, die Zahl der getö­te­ten und ver­letz­ten Men­schen ver­rin­gern, muß dau­er­haf­tes Ziel der Ver­kehrs­po­li­tik, ‑gestal­tung und ‑len­kung sein. Aber auch die gesund­heit­li­chen und öko­lo­gi­schen Fol­gen der ver­kehrs­be­ding­ten Schad­stof­fe sowie der Beein­träch­ti­gung und Zer­stö­rung mensch­li­cher Lebens- und Auf­ent­halts­be­rei­che, offe­ner Land­schafts- und wei­te­rer Natur­räu­me sind zu berücksichtigen.

Unfall­ri­si­ken resul­tie­ren aus meh­re­ren Fak­to­ren: Ver­kehrs­auf­kom­men (Zahl der zurück­ge­leg­ten Wege) und ‑lei­stung (Gesamt­län­ge der Trans­port­we­ge für Per­so­nen und Güter), Geschwin­dig­keit, Mas­se, Ver­kehrs­mit­tel, Qua­li­tät der Infra­struk­tur, Ver­hal­ten der Ver­kehrs­teil­neh­mer (ange­mes­se­ne Geschwin­dig­keit, erfor­der­li­che Sorg­falt, not­wen­di­ge Rück­sicht­nah­me, Regel­kennt­nis und ‑beach­tung).

Ver­kehrs­mit­tel­wahl

Ideo­lo­gie­frei betrach­tet, ergibt sich aus vor­ste­hen­den Dar­le­gun­gen völ­lig zwang­los, daß die Ver­rin­ge­rung moto­ri­sier­ten Ver­kehrs sowohl die Sicher­heit erhöht als auch die gesund­heit­li­chen und öko­lo­gi­schen Schä­den redu­ziert. Büro­kra­tisch ver­ord­ne­te Restrik­tio­nen kön­nen jedoch nur letz­tes Mit­tel sein. Denn sie tref­fen oft die­je­ni­gen beson­ders hart, denen kei­ne Alter­na­ti­ve bleibt. Kör­per­li­che Beein­träch­ti­gung, der erfor­der­li­che Trans­port gewich­ti­ger bzw. sper­ri­ger Güter, schwie­ri­ge Erreich­bar­keit der Zie­le oder man­geln­de Erschlie­ßung durch ande­re Ver­kehrs­mit­tel machen die Nut­zung eines Kraft­fahr­zeugs viel­fach unab­wend­bar. Hier­bei darf nicht nur ein Wegen­de betrach­tet wer­den. Der beste Bahn- oder Bus­an­schluß am Wohn­ort bringt wenig, wenn der Arbeits­platz in einem abge­schie­de­nen, nur mit dem Auto erreich­ba­ren Gewer­be­ge­biet liegt bzw. der Bus zu Schicht­be­ginn oder ‑ende nicht mehr fährt.

Not­wen­dig ist dem­nach ein abge­stimm­tes Vor­ge­hen – und die Erkennt­nis ist kei­nes­wegs neu. Schon vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert haben renom­mier­te Wis­sen­schaft­ler publi­ziert, daß eine breit ange­leg­te Ände­rung der Ver­kehrs­mit­tel­wahl nur per „push and pull“ erreicht wer­den kann: Die in der Ver­gan­gen­heit ein­sei­tig geför­der­te Attrak­ti­vi­tät des moto­ri­sier­ten Indi­vi­du­al­ver­kehrs ist schritt­wei­se zu redu­zie­ren, die bis­lang ver­nach­läs­sig­te des Bahn‑, Bus‑, Fuß- und Fahr­rad­ver­kehrs und deren intel­li­gen­te Ver­net­zung in min­de­stens glei­chem Maße zu stei­gern. Der Maß­nah­men­ka­ta­log umfaßt Infra­struk­tur, Ver­kehrs­len­kung, fis­ka­li­sche Anrei­ze, Ver­kehrs­kli­ma und Öffent­lich­keits­ar­beit. Nicht zu unter­schät­zen sind Inhal­te und Aus­rich­tung der Ver­kehrs- resp. Mobi­li­täts­er­zie­hung sowie der Fahrausbildung.

Wenig hilf­reich ist, sich auf die För­de­rung nur eines Ver­kehrs­mit­tels zu kon­zen­trie­ren. Die Koope­ra­ti­ons­ge­mein­schaft unter Füh­rung der Grü­nen und der SPD, die sich nach den jüng­sten Kom­mu­nal­wah­len im Bam­ber­ger Stadt­rat bil­de­te, hat die­sen Feh­ler began­gen (sie­he Anla­ge, auch: www​.wie​sent​bo​te​.de/​2​0​2​0​/​0​5​/​1​7​/​a​u​s​-​d​e​r​-​g​a​u​s​t​a​d​t​e​r​-​l​e​s​e​r​p​o​s​t​-​v​e​r​a​e​n​d​e​r​t​e​-​m​e​h​r​h​e​i​t​s​v​e​r​h​a​e​l​t​n​i​s​s​e​-​i​m​-​b​a​m​b​e​r​g​e​-​r​a​t​h​a​u​s​-​e​r​o​e​f​f​n​e​n​-​d​i​e​-​m​o​e​g​l​i​c​h​k​e​i​t​-​d​i​e​-​k​o​m​m​u​n​a​l​e​-​p​o​l​i​t​i​k​-​z​u​k​u​n​f​t​s​f​a​e​h​i​g​-​z​u​-​m​a​c​h​en/!). Dem Fahr­rad wird brei­ter Raum gewid­met, die gra­vie­ren­den Schwach­punk­te des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs sind aus­ge­blen­det, fuß­läu­fi­ger Ver­kehr kommt fast gar nicht vor.

Infra­struk­tur

Ein­grif­fe in die Infra­struk­tur erfor­dern nicht nur Fin­ger­spit­zen­ge­fühl. In der Stadt sind Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, Gewich­tun­gen vor­zu­neh­men. Denn auf Grund histo­risch gewach­se­ner Struk­tu­ren steht der Raum, sämt­li­chen kon­kur­rie­ren­den Wün­schen nach­zu­kom­men, nicht zur Ver­fü­gung. Ein sol­ches Vor­ge­hen wäre auch kon­tra­pro­duk­tiv. Alle Ver­kehrs­mit­tel glei­cher­ma­ßen zu för­dern, führt erfah­rungs­ge­mäß dazu, daß Inve­sti­tio­nen in den Umwelt­ver­bund weit­ge­hend wir­kungs­los ver­puf­fen. Neben der Umwelt­qua­li­tät lei­det die Ver­kehrs­si­cher­heit. Groß­zü­gig aus­ge­bau­te Fahr­bah­nen, auf denen zudem nicht mit „Kon­kur­renz“ gerech­net wird, ver­lei­ten zu schnel­le­rer Fahr­wei­se bei gerin­ge­rer Auf­merk­sam­keit. Spä­te­stens an den Schnitt­punk­ten der Ver­kehrs­strö­me, an Kreu­zun­gen, Ein­mün­dun­gen und Zufahr­ten, trifft das stei­gen­de Unfall­ri­si­ko auch die auf eige­ne Son­der­we­ge ver­bann­ten Verkehrsteilnehmer.

Fahr­rad

Lei­der wird in Bam­berg weder Qua­li­tät noch Sinn­haf­tig­keit fahr­bahn­be­glei­ten­der Son­der­we­ge und ‑spu­ren für das Fahr­rad hin­ter­fragt. Auf Grund der hohen Unfall­träch­tig­keit bau­li­cher Rad­we­ge war vor mehr als zwei Jahr­zehn­ten, nach lang­an­hal­ten­dem Enga­ge­ment der Fahr­rad- und Umwelt­ver­bän­de, die gene­rel­le Rad­weg­be­nut­zungs­pflicht abge­schafft wor­den. Radeln auf der Fahr­bahn hat­te sich als deut­lich siche­rer erwie­sen. Abge­teil­te Son­der­we­ge soll­ten, von eng defi­nier­ten Aus­nah­men abge­se­hen, nur noch Ange­bot sein – des­sen Nut­zung beson­de­re Vor­sicht erfor­dert. Im Strecken­ver­lauf dro­hen Kol­li­sio­nen mit acht­lo­sen Fuß­gän­gern und rück­sichts­los geöff­ne­ten Auto­tü­ren. An Kno­ten­punk­ten miß­ach­ten vie­le Kraft­fah­rer etwa­igen Vor­rang des Radverkehrs.

Rad­fahr­strei­fen und soge­nann­te „Schutz­strei­fen“, auf der Fahr­bahn mar­kier­te Flä­chen für das Fahr­rad, konn­ten die in sie gesetz­ten Hoff­nun­gen nicht erfül­len. Zum gegen­sei­ti­gen Über­ho­len ohne­hin zu schmal, ver­lei­ten sie Kraft­fah­rer zu haut­engem Vor­bei­fah­ren. Auch hier gefähr­den Auto­tü­ren. Denn aus­rei­chen­de seit­li­che Sicher­heits­räu­me feh­len weit­ge­hend. Unfäl­le an Kno­ten­punk­ten sind zwar sel­te­ner als bei bau­li­chen Rad­we­gen. Doch das Risi­ko liegt höher als auf unmar­kier­ter Fahrbahn.

All das ist bekannt und bei­spiels­wei­se von den Unfall­ver­si­che­rern doku­men­tiert. Die Erkennt­nis­se spie­len aber in der Bam­ber­ger Ver­kehrs­pla­nung und ‑len­kung kei­ne Rol­le. Unge­ach­tet der seit März ver­än­der­ten Mehr­hei­ten im Stadt­rat, gilt: Rad­ler wer­den mit dem unzu­tref­fen­den Vor­wand der Sicher­heit an den Rand gedrängt, so daß die Auto­spur für unge­hin­dert schnel­les Fah­ren frei bleibt.

Fuß­gän­ger

Nach jah­re­lan­ger Igno­ranz wird seit neue­stem über Belan­ge des fuß­läu­fi­gen Ver­kehrs berich­tet. Selt­sa­mer­wei­se beschränkt sich die ver­öf­fent­lich­te Dis­kus­si­on allein auf man­gel­haf­te Wege und deren Qua­li­tät sowie auf Kon­flikt­be­rei­che zum Fahr­rad. Letz­te­re wer­den aber dann sogar geschaf­fen, wenn auf Kosten des Geh­steigs unzu­läs­si­ger­wei­se Rad­we­ge mar­kiert bzw. ange­legt sind, um die Fahr­bahn frei­zu­räu­men. Von Rechts wegen muß unge­hin­der­ter Begeg­nungs­ver­kehr auch mit Roll­stuhl oder Kin­der­wa­gen mög­lich sein. Der Rad­weg darf dabei nicht in Anspruch genom­men werden.

Das weit­ver­brei­te­te Geh­weg­par­ken, ob unter Miß­ach­tung gel­ten­der Regel­wer­ke ange­ord­net oder groß­zü­gig gedul­det, wel­ches vie­le Geh­stei­ge unzu­mut­bar ein­engt, ist eben­so wenig ange­spro­chen wie lan­ge, stark und schnell befah­re­ne Stra­ßen­ab­schnit­te ohne gesi­cher­te Querungsmöglichkeit.

Fazit

Die für den Ver­kehr ver­ant­wort­li­chen Behör­den haben ihre Ver­kehrs­si­che­rungs­pflicht bis­lang eben­so sträf­lich ver­nach­läs­sigt wie drin­gend erfor­der­li­che Schrit­te zur Verkehrswende.

Die neue Koope­ra­ti­on im Rat­haus macht bis­her eher durch Schlag­zei­len (Fahr­rad­stadt, auto­frei) und Fort­füh­rung wenig hilf­rei­cher Maß­nah­men der frü­he­ren poli­ti­schen Mehr­heit (Regens­bur­ger Ring, Mar­kus­platz, Fried­rich­stra­ße) von sich reden als durch Ideen und Schrit­te zu einer neu­en, effek­ti­ven Poli­tik. Daß die SPD, sowohl – gemein­sam mit CSU und ande­ren – für die alt­her­ge­brach­te Ver­kehrs­po­li­tik ver­ant­wort­lich als auch Teil der jet­zi­gen Zusam­men­ar­beit, hier­bei eine wesent­li­che Rol­le spielt, darf wohl mit Fug und Recht ange­nom­men werden.

Die CSU hin­ge­gen kann trotz des Ver­suchs rhe­to­ri­scher Ver­wir­rung nicht ver­ber­gen, daß sie wei­ter­hin dem Auto­vor­rang anhängt (Frän­ki­scher Tag vom 19. Sep­tem­ber). Ver­kehrs­be­ru­hig­te Berei­che (an Stel­le der das Schritt­tem­po miß­ach­ten­den Fah­rer) als Quel­le von Unfall­ri­si­ken zu dif­fa­mie­ren, die von Fahr­rad­ge­schwin­dig­keit aus­ge­hen­den Gefah­ren mit denen von Kraft­fah­rern auf eine Stu­fe zu stel­len, zeugt von gehö­ri­gem Rea­li­täts­ver­lust. Man erin­ne­re sich, wie Poli­zei­be­am­te im Bereich der Ket­ten­brücke Rad­fah­rer rei­hen­wei­se gebüh­ren­pflich­tig ver­warn­ten, weil die­se, geschätzt nach Augen­schein (gegen­über Kraft­fah­rern sind geeich­te Meß­ge­rä­te und erheb­li­che Tole­ranz­ab­zü­ge vor­ge­schrie­ben), die Schritt­ge­schwin­dig­keit nicht ein­ge­hal­ten haben sol­len. Die zeit­gleich deut­lich schnel­ler durch­pre­schen­den Kraft­fah­rer lie­ßen sie hin­ge­gen unbehelligt.

Weder Ver­kehrs­si­cher­heit noch Umwelt- und Kli­ma­schutz weden spür­bar vor­an­kom­men, solan­ge die Ursa­chen nicht ehr­lich erkannt, benannt und ange­gan­gen werden.

Mit freund­li­chen Grüßen
Wolf­gang Bönig