Erlan­gen: „Bücher hören für die Wis­sen­schaft“ – For­schen­de der FAU machen mit einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Pro­jekt die Sprach­for­schung realistischer

Symbolbild Bildung

Spre­chen und Spra­che zu ver­ste­hen gehört zu den kom­ple­xe­sten Lei­stun­gen des mensch­li­chen Gehirns. Seit Lan­gem ver­su­chen For­sche­rin­nen und For­scher die­se bes­ser zu ver­ste­hen, indem sie beob­ach­ten, was sich im Gehirn ver­än­dert, wenn Men­schen spre­chen, lesen oder Spra­che hören. Doch die Ver­suchs­auf­bau­ten waren die läng­ste Zeit sehr künst­lich, Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den beka­men nur ein­zel­ne Wör­ter oder Sät­ze zu lesen oder hören. Einem inter­dis­zi­pli­nä­ren Team unter der Lei­tung von Dr. Achim Schil­ling und Dr. Patrick Krauss von der Cogni­ti­ve Com­pu­ta­tio­nal Neu­ro­sci­ence Group der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg (FAU) ist jetzt ein wich­ti­ger Schritt gelun­gen, um die­se For­schung rea­li­sti­scher zu machen: Sie maßen die Gehirn­ak­ti­vi­tät von Ver­suchs­per­so­nen, wäh­rend die­se ein Hör­buch anhör­ten. Anschlie­ßend wer­te­ten sie die Daten mit modern­sten Metho­den aus dem Bereich der Com­pu­ter­lin­gu­istik und des Maschi­nel­len Ler­nens aus. Die Ergeb­nis­se wer­den nun in der Zeit­schrift „Lan­guage, Cogni­ti­on and Neu­ro­sci­ence“ veröffentlicht. 

Hör­bü­cher hören für die Wis­sen­schaft, das klingt fast nach Urlaub. Ganz so ent­spannt war es für die Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den nicht: Sie muss­ten den Blick auf einen Punkt gerich­tet hal­ten, zwi­schen­durch Ver­ständ­nis­fra­gen beant­wor­ten und den Magne­toen­ze­pha­logra­phen über ihrem Kopf igno­rie­ren, der Ver­än­de­run­gen in ihrer Gehirn­ak­ti­vi­tät auf­zeich­ne­te. Den­noch war die Auf­ga­be deut­lich rea­li­sti­scher als die, mit denen Sprach­for­sche­rin­nen und ‑for­scher gewöhn­lich arbeiten.

„Das war zum einen ein pro­of of con­cept, wir woll­ten zei­gen, dass man so sinn­vol­le Daten bekom­men kann“, erklärt Kogni­ti­ons­for­scher Dr. Patrick Krauss. Das gelang. Und die Daten erwie­sen sich nicht nur als brauch­bar, es waren auch vie­le: In einer ein­zi­gen Mess-Sit­zung hör­ten die Pro­ban­din­nen und Pro­ban­den 40 Minu­ten Hör­buch und damit etwa 7000 Wör­ter. „Mit den für die­se Stu­die gemes­se­nen 15 Test­per­so­nen, haben wir also die Gehirn­ak­ti­vi­tät von 10 Stun­den gespro­che­ner Spra­che gemes­sen, was cir­ca 100.000 Wör­tern ent­spricht“, so Krauss. „Und die­ser Daten­satz kann immer wie­der neu aus­ge­wer­tet wer­den. So kön­nen wir mit einem ein­zi­gen Daten­satz eine schier unbe­grenz­te Zahl von Hypo­the­sen testen, aber auch völ­lig neue Hypo­the­sen gene­rie­ren. Das stellt einen Para­dig­men­wech­sel in der Kogni­ti­ven Neu­ro­wis­sen­schaft der Spra­che dar und ist ein unschätz­ba­rer Vor­teil gegen­über den bis­he­ri­gen Ver­fah­ren.“ Zugleich ist es eine Pre­miè­re: „Der Ansatz, mit kon­ti­nu­ier­li­cher, natür­li­cher, gespro­che­ner Spra­che zu sti­mu­lie­ren, anstatt mit wohl kon­trol­lier­ten wie­der­hol­ten Ein­zel­sti­mu­li, wur­de so in Erlan­gen noch nie vor­her erfolg­reich durchgeführt.“

Mit die­ser Stu­die, an der auch For­schen­de des Brain Lan­guage Lab der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin, das neu gegrün­de­te Lin­gu­istics Lab sowie der Lehr­stuhl für Machi­ne Intel­li­gence der FAU und meh­re­re Insti­tu­te des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Erlan­gen betei­ligt waren, ver­fügt das For­schungs­team jetzt über einen Daten­satz, der sich mit den Bestän­den ande­rer For­schungs­fel­der mes­sen kann. Und die­ser Daten­be­stand wächst wei­ter: Für eine noch nicht publi­zier­te Fol­ge­stu­die hat das Team gleich 50 Ver­suchs­per­so­nen beim Zuhö­ren zuge­schaut. „Mit die­sem Ansatz ver­ei­ni­gen wir die Vor­tei­le bild­ge­ben­der Ver­fah­ren mit denen der Kor­pus­lin­gu­istik“, so Krauss. „Das öff­net der For­schung vie­le span­nen­de neue Wege.“