Drei ERC Start­ing Grants: Mil­lio­nen­för­de­rung für FAU-Forscher

Symbolbild Bildung

Zukunft der Glet­scher, Nano-Här­te-Schnell­test für Mate­ria­li­en und neu­ar­ti­ge che­mi­sche Reaktionen

Gleich drei Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg (FAU) konn­ten sich im här­te­sten Aus­wahl­ver­fah­ren zur Ver­ga­be euro­päi­scher För­der­mit­tel durch­set­zen: In den kom­men­den fünf Jah­ren unter­stützt der Euro­päi­sche For­schungs­rat (ERC) die exzel­len­ten For­schungs­vor­ha­ben von Dr. Johan­nes Fürst, PD Dr. Benoit Mer­le und Prof. Dr. Domi­nik Munz – mitt­ler­wei­le Pro­fes­sor für Koor­di­na­ti­ons­che­mie an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des – mit je einem der mit min­de­stens 1,5 Mil­lio­nen Euro dotier­ten ERC Start­ing Grants. Bei der stren­gen Aus­wahl schaf­fen weni­ger als zehn Pro­zent der ein­ge­reich­ten Vor­ha­ben die Hür­de. Das ERC ver­gibt sei­ne För­der­mit­tel jähr­lich für For­schungs­pro­jek­te mit beson­ders hohem Innovationspotenzial.

Der Glet­scher­ver­ste­her

Dr. Johannes Fürst, Institut für Geographie

Dr. Johan­nes Fürst, Insti­tut für Geo­gra­phie. Foto: Kat­leen van Hoof

Dr. Johan­nes Fürst, Insti­tut für Geographie 

Das Pro­jekt

FRA­GI­LE. Next gene­ra­ti­on frame­work for glo­bal gla­cier forecasting 

Unse­re Glet­scher schmel­zen – und wer­den es wei­ter tun, wenn in Sachen Kli­ma­wan­del nicht eine dra­sti­sche Wen­de ein­tritt. Soweit sind die Fak­ten bekannt. Doch wie lässt sich der Rück­zug und das Abschmel­zen von allen Glet­schern welt­weit für die kom­men­den Jahr­zehn­te zuver­läs­sig prognostizieren? 

Bis­lang haben For­sche­rin­nen und For­scher dafür vor­nehm­lich Model­lie­rungs­an­sät­ze genutzt, die auf recht ein­fa­chen Glet­scher­mo­del­len basier­ten: Übli­cher­wei­se wur­den dafür die Glet­scher­geo­me­trien stark ver­ein­facht auf ein­zel­ne Fluss­li­ni­en oder sogar nur auf rei­ne Volu­men- und Flä­chen­an­ga­ben. Zudem blieb ihr Fließ­ver­hal­ten weit­ge­hend unbe­rück­sich­tigt. Schluss­end­lich ist die Eis­mäch­tig­keit – also die Eis­dicke – der heu­ti­gen 200.000 Glet­scher nur sehr grob bekannt: ein gro­ßer Unsi­cher­heits­fak­tor der bis­he­ri­gen Prognosen. 

Dr. Johan­nes Fürst möch­te mit sei­nem Pro­jekt FRA­GI­LE die­se Pro­gno­sen deut­lich ver­bes­sern: Er arbei­tet an der näch­sten Gene­ra­ti­on von Vor­her­sa­ge­mo­del­len für die Ent­wick­lung von Glet­schern welt­weit. Dafür will er immense Men­gen bis­lang meist unge­nutz­ter Fern­erkun­dungs­da­ten – also Satel­li­ten­bil­der – der ver­gan­ge­nen 20 bis 30 Jah­re ver­wer­ten und syste­ma­tisch für die Model­lie­rung her­an­zie­hen. Die Daten­flut beinhal­tet eine inzwi­schen zwei­wö­chent­li­che Abdeckung jedes Glet­schers auf unse­rem Pla­ne­ten, inklu­si­ve der Ver­mes­sung sei­ner momen­ta­nen Geschwin­dig­keit und sei­ner Ober­flä­che. Die­se Infor­ma­ti­on soll syste­ma­tisch und über die Zeit hin­weg in das neue Vor­her­sa­ge­mo­dell ein­flie­ßen. Die Grund­idee ist aus der Wet­ter­vor­her­sa­ge bekannt. Das System opti­miert sich über die Zeit durch stän­di­ge Ver­glei­che zwi­schen Modell und Wirk­lich­keit selbst. Dar­an schlie­ßen dann best­mög­lich Vor­her­sa­gen an. Abge­se­hen von die­ser geziel­ten Daten­ver­wer­tung will Fürst auf jed­we­de Ver­ein­fa­chung der Glet­scher­geo­me­trien ver­zich­ten: Glet­scher sol­len statt­des­sen in ihrer Gesamt­heit als drei­di­men­sio­na­le Kör­per in den Gebirgs­tä­lern erfasst und Ände­run­gen in ihrem Fließ­ver­hal­ten berück­sich­tigt werden.

Eine sei­ner ersten Anschaf­fun­gen aus den Mit­teln des Start­ing Grant: ein Sto­rage Ser­ver mit einer Spei­cher­ka­pa­zi­tät von 400 Tera­byte für die gewal­ti­gen Daten­men­gen, die in sei­nem Modell ver­ar­bei­tet werden.

Vita

Johan­nes Fürst wur­de im baye­ri­schen Neu­burg an der Donau gebo­ren. Nach­dem er im Jahr 2009 sei­nen Master in Phy­sik an der Uni­ver­si­tät Pots­dam abge­schlos­sen hat­te, zog es ihn ins benach­bar­te Bel­gi­en, wo er 2013 an der Vri­je Uni­ver­si­teit Brussel über Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels auf das Grön­land­eis pro­mo­vier­te. Im Anschluss dar­an forsch­te er bis 2015 als Post­doc am Labo­ra­toire de Gla­cio­lo­gie et Géo­phy­si­que de l’Environnement im fran­zö­si­schen Saint Mar­tin d’Hères, einem Vor­ort von Gre­no­ble. 2015 kehr­te er nach Deutsch­land zurück und über­nahm an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg eine Post­doc-Posi­ti­on am Insti­tut für Geo­gra­phie. Seit 2018 forscht er als Sci­en­ti­fic Asso­cia­te am Insti­tut für Geo­gra­phie der FAU.

Der Nano-Crash­te­ster

PD Dr. Benoit Merle, Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften I (Allgemeine Werkstoffeigenschaften)

PD Dr. Benoit Mer­le, Lehr­stuhl für Werk­stoff­wis­sen­schaf­ten I (All­ge­mei­ne Werk­stoff­ei­gen­schaf­ten). Foto: Fuchs

PD Dr. Benoit Mer­le, Lehr­stuhl für Werk­stoff­wis­sen­schaf­ten I (All­ge­mei­ne Werkstoffeigenschaften)

Foto: https://​www​.fau​.de/​f​i​l​e​s​/​2​0​2​0​/​0​9​/​2​0​2​0​0​9​0​2​_​m​e​r​l​e​_​b​e​n​o​i​t​_​f​u​c​h​s​2​9​7​9​.​jpg (in höhe­rer Auf­lö­sung vorhanden)

Das Pro­jekt

Nano­High­Speed. High-speed Defor­ma­ti­on and Fail­ure of Mate­ri­als at the Nano­me­ter Scale 

Wie stoß­fest, wie riss­fest ist ein Mate­ri­al? Lässt es sich in bestimm­ter Wei­se ver­ar­bei­ten? Ist es zuver­läs­sig auch über einen lan­gen Zeit­raum? Fra­gen wie die­se beschäf­ti­gen Mate­ri­al­for­sche­rin­nen und ‑for­scher täg­lich – und manch­mal hän­gen von den Ant­wor­ten, etwa im Flug­zeug- und Auto­mo­bil­bau, sogar Leben ab. Eine der wich­tig­sten moder­nen Metho­den zur Ana­ly­se von Werk­stof­fen ist die Nanoin­den­tie­rung, mit deren Hil­fe sich mecha­ni­sche Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten auf den ele­men­tar­sten Ebe­nen – im Nano­me­ter- und Mikro­me­ter­be­reich – cha­rak­te­ri­sie­ren las­sen. Aller­dings kann sie die mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten eines Werk­stoffs nur bei einer lang­sa­men und kon­trol­lier­ten Bela­stung ermit­teln – nicht etwa bei Stö­ßen oder Kol­li­sio­nen. Umge­kehrt gibt es sehr wohl Cha­rak­te­ri­sie­rungs­me­tho­den, die hohe Ver­for­mungs­ra­ten, wie sie bei einem Sturz oder Stoß vor­kom­men, abbil­den kön­nen, aller­dings nur an gro­ßen, homo­ge­nen, Proben. 

Dr. Benoit Mer­le aber will eine Metho­de, die bei­des kann: schnell und klein. Ziel sei­nes Pro­jekts ist es daher, die Nanoin­den­tie­rung zu einem neu­en Werk­zeug für Ver­su­che mit hoher Ver­for­mungs­ra­te zu ent­wickeln – durch gleich­zei­ti­ge Fort­schrit­te bei Hard­ware und expe­ri­men­tel­len Metho­den. Das neue Ver­fah­ren wird mil­lio­nen­fach höhe­re Ver­for­mungs­ra­ten cha­rak­te­ri­sie­ren kön­nen als bis­he­ri­ge Metho­den – auf mil­lio­nen­fach klei­ne­rer Ebene.

Für die Mate­ri­al­wis­sen­schaft und die Anwen­dung in der Indu­strie ein Gewinn: Die Zuver­läs­sig­keit lässt sich ver­bes­sern, Ver­schleiß redu­zie­ren – vor allem bei Beschich­tun­gen wie sie etwa auf der Dis­playober­flä­che von Smart­phones ver­wen­det wer­den. Bekannt­lich neigt des­sen Mate­ri­al immer noch dazu, Ris­se zu bil­den, wenn es plötz­lich bean­sprucht wird, zum Bei­spiel auf den Boden fällt. Auch Hart­stoff­be­schich­tun­gen für Werk­zeu­ge, die deren Lebens­dau­er ver­län­gern, sind eine wirt­schaft­lich bedeu­ten­de Anwen­dung. Schließ­lich wür­de das Ver­fah­ren hel­fen, Nano­ma­te­ria­li­en zu opti­mie­ren, die der­zeit in der Ent­wick­lung sind und künf­tig im Trans­port- und Ener­gie­be­reich zum Ein­satz kom­men sol­len. Auch hier ver­spricht sich Mer­le mehr Zuver­läs­sig­keit und Nachhaltigkeit.

Eine sei­ner ersten Anschaf­fun­gen aus den Mit­teln des Start­ing Grant: der Pro­to­typ eines ultra­schnel­len Nanoin­den­ters, der mit etwa einer Vier­tel­mil­li­on zu Buche schlägt. 

Vita

Benoit Mer­le, gebo­ren bei Mon­tar­gis süd­lich von Paris, schloss 2005 sein Stu­di­um an der Éco­le Cen­tra­le de Lyon in Frank­reich mit Aus­zeich­nung ab. Nach eini­gen Jah­ren als Inge­nieur bei der Sie­mens AG pro­mo­vier­te er bei Prof. M. Göken an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg über das mecha­ni­sche Ver­hal­ten von Dünn­schich­ten. Anschlie­ßend über­nahm er 2013 die Lei­tung der For­schungs­grup­pe für Nano­me­cha­nik. Er ver­brach­te den Som­mer 2018 an der Texas A&M Uni­ver­si­ty für einen län­ge­ren For­schungs­auf­ent­halt bei Prof. Geor­ge Pharr. Der Auf­ent­halt war zen­tral für sein aktu­el­les Pro­jekt: Er ent­warf in die­ser Zeit den expe­ri­men­tel­len Ansatz, der jetzt Grund­la­ge für den Pro­jekt­an­trag war. Zurück in Erlan­gen absol­vier­te er im Mai 2019 sei­ne Habi­li­ta­ti­on auf dem Gebiet der Materialwissenschaften. 

Der Elek­tro­nen­schub­ser

Prof. Dr. Dominik Munz, Professur für Koordinationschemie an der Universität des Saarlandes

Prof. Dr. Domi­nik Munz, Pro­fes­sur für Koor­di­na­ti­ons­che­mie an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des. Foto: Ali­ne Schumacher

Prof. Dr. Domi­nik Munz, Pro­fes­sur für Koor­di­na­ti­ons­che­mie an der Uni­ver­si­tät des Saarlandes

Foto: https://​www​.fau​.de/​f​i​l​e​s​/​2​0​2​0​/​0​9​/​m​u​n​z​_​d​o​m​i​n​i​k​_​a​l​i​n​e​-​s​c​h​u​h​m​a​c​h​e​r​p​1​0​1​2​1​1​1​-​s​c​a​l​e​d​.​jpg

Das Pro­jekt

PUSH-IT. Char­ge Sepa­ra­ti­on – A Gene­ral Motif for the Acti­va­ti­on and Cata­ly­tic Func­tion­a­lizati­on of Strong Bonds 

Neue Arz­nei­stof­fe, aber auch orga­ni­sche Mate­ria­li­en für Solar­zel­len, syn­the­ti­sche Kunst- und Treib­stof­fe, kata­ly­ti­sche Abgas­rei­ni­gung oder che­mi­sche Ener­gie­spei­cher: Die Che­mie ist die Tech­no­lo­gie der Ener­gie­wen­de. Dr. Domi­nik Munz will in sei­nem Pro­jekt PUSH-IT mit sei­nem Team neue Reak­ti­ons­kon­zep­te ent­wickeln, um Wunsch­re­ak­tio­nen anzu­sto­ßen, die für die Her­stel­lung von Medi­ka­men­ten oder für die Ener­gie­um­wand­lung und ‑spei­che­rung benö­tigt wer­den. Die avi­sier­ten „Traum­re­ak­tio­nen“ sol­len durch eine Sepa­rie­rung von Ladun­gen, das heißt dem Schub­sen („Pushen“) von Elek­tro­nen in che­mi­schen Bin­dun­gen, ermög­licht wer­den. Die For­schungs­grup­pe schlägt vor, dass dies durch che­mi­sche Ele­men­te in unge­wöhn­li­chen Bin­dungs­si­tua­tio­nen bewerk­stel­ligt wer­den kann. Dabei haben die Syn­the­se­che­mi­ker das gesam­te Peri­oden­sy­stem im Blick: Das neue Reak­ti­ons­kon­zept soll sowohl für nicht-toxi­sche und preis­wer­te Haupt­grup­pen­ele­men­te Anwen­dung fin­den als auch für klas­si­sche Kata­ly­sa­tor­sy­ste­me von aktu­el­ler indu­stri­el­ler Rele­vanz wie Pal­la­di­um, Pla­tin, Kup­fer oder auch Gold. 

Eine sei­ner ersten Anschaf­fun­gen aus den Mit­teln des Start­ing Grant: Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, weil er glaubt, dass die mei­sten Inno­va­tio­nen von krea­ti­ven Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern und nicht Maschi­nen geschaf­fen werden.

Vita

Domi­nik Munz wuchs in Augs­burg auf und stu­dier­te Che­mie an der TU Dres­den (Deutsch­land) sowie Che­mie­in­ge­nieur­we­sen an der ENSC Rennes und der ENSC Lil­le (Frank­reich). Er pro­mo­vier­te 2013 bei Tho­mas Strass­ner (TU Dres­den, Phy­si­ka­li­sche Orga­ni­sche Che­mie), wel­cher selbst an der FAU Erlan­gen-Nürn­berg 1994 pro­mo­viert hat­te. Nach einer Post­dok­to­ran­den­stel­le bei T. Brent Gun­noe (Uni­ver­si­tät von Vir­gi­nia, USA) im Zen­trum für kata­ly­ti­sche Koh­len­was­ser­stoff­funk­tio­na­li­sie­rung (CCHF) mit Über­gangs­me­tal­len arbei­te­te er mit Guy Bert­rand (UC San Die­go, USA) auf dem Gebiet der Haupt­grup­pen­che­mie. Er ver­folg­te eine Habi­li­ta­ti­on am Lehr­stuhl für Anor­ga­ni­sche und All­ge­mei­ne Che­mie von Kar­sten Mey­er an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg mit Unter­su­chun­gen zu mehr­fach gebun­de­nen spä­ten Über­gangs­me­tall­kom­ple­xen, Eisen­che­mie und orga­ni­schen Bi-Radi­ka­len als Grund­la­ge für die Ent­wick­lung neu­er Solar­zel­len. Im April 2020 über­nahm er sei­ne der­zei­ti­ge Posi­ti­on als Pro­fes­sor (W2) für Koor­di­na­ti­ons­che­mie an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des in Saar­brücken. Domi­nik Munz ist Vater von zwei Kin­dern und mag neben Che­mie auch Ber­ge, Ruck­sack­rei­sen, Musik und Frisbee-Discs.