Bay­reu­ther For­scher ent­wickeln neue Bio­ma­te­ria­li­en aus Spinnenseide

Symbolbild Bildung

Infek­tio­nen ver­hin­dern, Hei­lungs­pro­zes­se fördern

Neue, an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ent­wickel­te Bio­ma­te­ria­li­en besei­ti­gen Infek­ti­ons­ri­si­ken und för­dern Hei­lungs­pro­zes­se: Einem For­schungs­team unter Lei­tung von Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel ist es gelun­gen, die­se für die Bio­me­di­zin hoch­re­le­van­ten Mate­ri­al­ei­gen­schaf­ten zu kom­bi­nie­ren. Die nano­struk­tu­rier­ten Mate­ria­li­en basie­ren auf Spin­nen­sei­de. Sie ver­hin­dern die Ansied­lung von Bak­te­ri­en und Pil­zen, aber unter­stüt­zen gleich­zei­tig pro­ak­tiv die Rege­ne­ra­ti­on von mensch­li­chem Gewe­be. Daher eig­nen sie sich her­vor­ra­gend für Implan­ta­te, Wund­ver­bän­de, Pro­the­sen, Kon­takt­lin­sen und ande­re Hilfs­mit­tel des All­tags. In der Zeit­schrift „Mate­ri­als Today“ stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre Inno­va­ti­on vor.

Es ist ein weit­hin unter­schätz­tes Infek­ti­ons­ri­si­ko: Mikro­ben set­zen sich auf den Ober­flä­chen von Gegen­stän­den fest, die für medi­zi­ni­sche The­ra­pien oder für die Lebens­qua­li­tät im All­tag unent­behr­lich sind. All­mäh­lich bil­den sie einen dich­ten, oft­mals unsicht­ba­ren Bio­film, der sich auch durch Rei­ni­gungs­mit­tel nicht ohne Wei­te­res ent­fer­nen lässt und meist sogar resi­stent gegen Anti­bio­ti­ka und Anti­my­ko­ti­ka ist. So kön­nen Bak­te­ri­en und Pil­ze leicht in das angren­zen­de Gewe­be des Orga­nis­mus ein­drin­gen. Dann stö­ren sie nicht nur Hei­lungs­pro­zes­se, son­dern kön­nen sogar lebens­ge­fähr­li­che Infek­tio­nen hervorrufen.

Mit einem neu­ar­ti­gen For­schungs­an­satz haben Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Bay­reuth jetzt eine Lösung für die­ses Pro­blem gefun­den. Aus bio­tech­no­lo­gisch her­ge­stell­ten Pro­te­inen der Spin­nen­sei­de haben sie ein Mate­ri­al ent­wickelt, das krank­heits­er­re­gen­de Mikro­ben dar­in hin­dert, sich an den Ober­flä­chen anzu­la­gern. Sogar mul­ti­re­si­sten­te Strep­to­kok­ken (MRSA) haben kei­ne Chan­ce, sich auf der Ober­flä­che des Mate­ri­als ein­zu­ni­sten. Bio­fil­me auf medi­zi­ni­schen Instru­men­ten, Sport­ge­rä­ten, Kon­takt­lin­sen, Pro­the­sen und wei­te­ren All­tags­ge­gen­stän­den gehö­ren dadurch der Ver­gan­gen­heit an.

Grafik: Gregor Lang.

Gra­fik: Gre­gor Lang.

Gleich­zei­tig aber sind die Mate­ria­li­en so beschaf­fen, dass sie die Anhaf­tung und Ver­meh­rung mensch­li­cher Zel­len auf ihren Ober­flä­chen för­dern. Wer­den sie bei­spiels­wei­se für Wund­ab­deckun­gen, Haut­er­satz oder Implan­ta­te ver­wen­det, unter­stüt­zen sie pro­ak­tiv die Rege­ne­ra­ti­on von beschä­dig­tem oder feh­len­dem Gewe­be. Im Unter­schied zu ande­ren Mate­ria­li­en, die bis­lang zur Wie­der­her­stel­lung von Gewe­be ein­ge­setzt wer­den, ist das Infek­ti­ons­ri­si­ko von vorn­her­ein gebannt. Mikro­biell-resi­sten­te Beschich­tun­gen in einer Viel­zahl bio­me­di­zi­ni­scher und tech­ni­scher Anwen­dun­gen rücken damit in greif­ba­re Nähe.

Die Bay­reu­ther For­scher haben die mikro­ben­ab­wei­sen­de Funk­ti­on bis­her an zwei Arten von Spin­nen­sei­den­ma­te­ria­li­en erfolg­reich gete­stet: an Foli­en und Beschich­tun­gen, die nur weni­ge Nano­me­ter dick sind, und an Hydro­ge­len mit der Struk­tur eines drei­di­men­sio­na­len Netz­werks. Die­ses kann als Gerüst für neu wach­sen­des Gewe­be ver­wen­det wer­den. „Unse­re bis­he­ri­gen Unter­su­chun­gen haben zu einer Erkennt­nis geführt, die für künf­ti­ge For­schungs­ar­bei­ten weg­wei­send ist: Die mikro­ben­ab­wei­sen­den Eigen­schaf­ten der von uns ent­wickel­ten Bio­ma­te­ria­li­en basie­ren nicht auf toxi­schen, also nicht auf zell­t­ö­ten­den Wir­kun­gen. Ent­schei­dend sind viel­mehr Struk­tu­ren im Nano­me­ter­be­reich, wel­che die Spin­nen­sei­den­ober­flä­chen mikro­ben­ab­wei­send machen. Krank­heits­er­re­gern ist es dadurch unmög­lich, sich auf die­sen Ober­flä­chen fest­zu­set­zen“, erklärt Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Bio­ma­te­ria­li­en innehat.

Prof. Dr.-Ing. Gregor Lang bei der rasterelektronenmikroskopischen Betrachtung der Materialoberflächen. Foto: UBT / Christian Wißler.

Prof. Dr.-Ing. Gre­gor Lang bei der raster­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pi­schen Betrach­tung der Mate­ri­al­ober­flä­chen. Foto: UBT / Chri­sti­an Wißler.

„Fas­zi­nie­rend an die­sen For­schungs­er­geb­nis­sen ist auch, dass sich die Natur wie­der ein­mal als idea­les Vor­bild für extrem anspruchs­vol­le Mate­ri­al­kon­zep­te erwie­sen hat. Natür­li­che Spin­nen­sei­de ist hoch­gra­dig resi­stent gegen den mikro­biel­len Befall, und die Repro­duk­ti­on die­ser Eigen­schaf­ten auf bio­tech­no­lo­gi­schem Weg sehe ich als bahn­bre­chend“, ergänzt Prof. Dr.-Ing. Gre­gor Lang, einer der bei­den Erst­au­toren und Lei­ter der For­schungs­grup­pe Bio­po­ly­me­r­ver­ar­bei­tung an der Uni­ver­si­tät Bayreuth.

In den Bay­reu­ther Labo­ra­to­ri­en wur­den Spin­nen­sei­den­pro­te­ine gezielt mit unter­schied­li­chen Nano­struk­tu­ren aus­ge­stat­tet, um die bio­me­di­zi­nisch rele­van­ten Eigen­schaf­ten anwen­dungs­be­zo­gen zu opti­mie­ren. Dabei bewähr­ten sich erneut die ver­netz­ten For­schungs­struk­tu­ren auf dem Bay­reu­ther Cam­pus. Zusam­men mit dem Baye­ri­schen Poly­me­r­in­sti­tut (BPI) waren drei wei­te­re inter­dis­zi­pli­nä­re For­schungs­ein­rich­tun­gen der Uni­ver­si­tät Bay­reuth an die­sem For­schungs­er­folg betei­ligt: das Bay­reu­ther Mate­ri­al­zen­trum (Bay­MAT), das Bay­reu­ther Zen­trum für Kol­lo­ide und Grenz­flä­chen (BZKG) sowie das Bay­reu­ther Zen­trum für Mole­ku­la­re Bio­wis­sen­schaf­ten (BZKG).

For­schungs­ko­ope­ra­ti­on:

Bei der jetzt in „Mate­ri­als Today“ ver­öf­fent­lich­ten Stu­die hat das Team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth mit For­schungs­part­nern an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des und der Justus-Lie­big-Uni­ver­si­tät Gie­ßen zusammengearbeitet.

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) im Rah­men des TRR 225 („Von den Grund­la­gen der Bio­fa­bri­ka­ti­on zu funk­tio­na­len Gewe­be­mo­del­len“) und des SFB 840 („Von par­ti­ku­lä­ren Nano­sy­ste­men zur Meso­tech­no­lo­gie“) gefördert.

Ver­öf­fent­li­chung:

Sush­ma Kuma­ri, Gre­gor Lang, Eli­se DeSi­mo­ne, Chri­sti­an Speng­ler, Vanes­sa Tross­mann, Susan­ne Lücker, Mar­ti­na Hudel, Karin Jacobs, Nor­bert Krä­mer, Tho­mas Schei­bel: Engi­nee­red spi­der silk-based 2D and 3D mate­ri­als pre­vent micro­bi­al infe­sta­ti­on. Mate­ri­als Today (2020), DOI: 10.1016/j.mattod.2020.06.009