FAU-Exper­ten­kom­men­tar: „Eine erfolg­rei­che Kli­ma­po­li­tik muss nach­hal­ti­ges Wirt­schafts­wachs­tum fördern“

Symbolbild Bildung

FAU-Pro­fes­sor Mario Lie­ben­stei­ner über die Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie auf die CO2-Emissionen

Trocke­ne Som­mer, schmel­zen­de Glet­scher, stei­gen­de Mee­res­spie­gel, bren­nen­de Wäl­der in Sibi­ri­en – wir bekom­men die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels immer mehr zu spü­ren. Vie­le Men­schen gehen auf die Stra­ße, um sich für den Kli­ma­schutz ein­zu­set­zen. Jetzt hat ein Virus geschafft, wor­um wir uns seit Jah­ren bemü­hen: Seit der Coro­na-Pan­de­mie sind die CO2-Emis­sio­nen zurück­ge­gan­gen. Wie die­ser Rück­gang auch nach der Pan­de­mie auf­recht­erhal­ten wer­den kann, dar­über spricht Prof. Dr. Mario Lie­ben­stei­ner, der die Juni­or­pro­fes­sur für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten (Ener­gie­märk­te und Ener­gie­sy­stem­ana­ly­se) am Fach­be­reich Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen-Nürn­berg (FAU) inne­hat, im Interview.

Sie haben die Aus­wir­kun­gen der COVID-19-Pan­de­mie auf die Strom­nach­fra­ge und ‑emis­sio­nen unter­sucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Mein Kol­le­ge Dr. Adhu­rim Hax­hi­musa von der FH Grau­bün­den und ich haben ein öko­no­me­tri­sches Modell ver­wen­det, um zu ana­ly­sie­ren, wel­chen Ein­fluss die COVID-19-Ein­däm­mungs­maß­nah­men in 16 EU-Län­dern auf die Strom­nach­fra­ge und letzt­end­lich auf Strom­emis­sio­nen hat­ten. Im Gegen­satz zu ande­ren Ana­ly­sen, die bei­spiels­wei­se die Emis­sio­nen im Jahr 2020 mit jenen aus 2019 ver­glei­chen, kön­nen wir in unse­rem Modell ande­re Ein­fluss­fak­to­ren, wie Sai­so­na­li­tät, Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen oder die Ent­wick­lung erneu­er­ba­rer Ener­gien, ein­be­zie­hen. Wir ver­wen­den dazu stünd­li­che Daten zur Strom­nach­fra­ge und Strom­emis­sio­nen wie auch täg­li­che COVID-19-Infektionszahlen.

Was haben Sie herausgefunden?

In einer ersten Stu­fe kön­nen wir zei­gen, dass Infek­ti­ons­zah­len den signi­fi­kan­ten Rück­gang der Strom­nach­fra­ge sehr gut erklä­ren. Das liegt dar­an, dass die gra­du­ell ver­stärk­ten Anstren­gun­gen, das Virus ein­zu­däm­men – von Social Distan­cing bis hin zu Aus­gangs­be­schrän­kun­gen – und die damit ein­her­ge­hen­den Kon­se­quen­zen für die Wirt­schaft, also zum Bei­spiel Kurz­ar­beit, Kon­sum- und Mobi­li­täts­kol­laps, der Ein­bruch von Auf­trä­gen und Betriebs­schlie­ßun­gen, zu einer dra­sti­schen Reduk­ti­on des Strom­kon­sums geführt haben. Wir haben her­aus­ge­fun­den, dass zu Zei­ten der streng­sten COVID-19-Ein­däm­mungs­maß­nah­men die Strom­nach­fra­ge um fast 20 Pro­zent ein­ge­bro­chen ist. In Län­dern wie Ita­li­en oder Frank­reich, die beson­ders hart getrof­fen wur­den, waren es sogar über 30 Prozent.

Ein Rück­gang der Strom­nach­fra­ge bedeu­tet auto­ma­tisch weni­ger Strom­erzeu­gung. Jedoch ist es für die Inten­si­tät des Emis­si­ons­rück­gangs ent­schei­dend, wel­che Kraft­wer­ke zuerst her­un­ter­ge­fah­ren wer­den. Hier ist es beson­ders wich­tig, zu beto­nen, dass zu Beginn der Coro­na-Pan­de­mie ein rela­tiv „hoher“ CO2-Preis im euro­päi­schen Emis­si­ons­han­dels­sy­stem, dem EU Emis­si­on Tra­ding System, herrsch­te, wodurch „schmut­zi­ge“ Koh­le teu­rer als „sau­be­res“ Gas war und somit zuerst ver­drängt wur­de. Dies bewirk­te eine über­aus star­ke Emis­si­ons­ver­drän­gung. Im Durch­schnitt sehen wir einen Rück­gang der CO2-Emis­sio­nen von fast 35 Pro­zent pro Stun­de zu Zei­ten der streng­sten COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wer­den die Emis­sio­nen nach der Pan­de­mie wie­der steigen?

Unse­re Ana­ly­se lässt eine vor­sich­ti­ge Ein­schät­zung für das Jahr 2020 zu: Aus­ge­hend von den Annah­men, dass eine zwei­te Infek­ti­ons­wel­le aus­bleibt, dass die Ein­däm­mungs­maß­nah­men gra­du­ell gelockert wer­den und dass sich die Wirt­schaft gra­du­ell erholt, ergä­be ein vor­sich­ti­ges Sze­na­rio von zwei Wochen voll­stän­di­ger Lock­down und vier Mona­ten teil­wei­ser Lock­down eine Reduk­ti­on der Strom­emis­sio­nen um 11,3 Pro­zent im Jahr 2020. Je län­ger die Ein­däm­mungs­maß­nah­men dau­ern, desto stär­ker wird auch der Emis­si­ons­rück­gang aus­fal­len. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Emis­sio­nen rela­tiv schnell wie­der zu ihrem ursprüng­lich hohen Niveau zurück­keh­ren werden.

Wel­che Schlüs­se für die Kli­ma­po­li­tik und den Kli­ma­schutz kön­nen wir aus der Pan­de­mie zie­hen – ist jetzt zum Bei­spiel ein guter Zeit­punkt, die erneu­er­ba­ren Ener­gien zu subventionieren?

Trotz Kli­ma­po­li­tik und gro­ßer inter­na­tio­na­ler Anstren­gun­gen, den Kli­ma­wan­del ein­zu­däm­men, sind die glo­ba­len CO2-Emis­sio­nen über die letz­ten 30 Jah­re ledig­lich zwei­mal gesun­ken: durch die Wirt­schafts­kri­se 2009 und nun wesent­lich stär­ker durch COVID-19. In bei­den Fäl­len war es somit kein poli­ti­scher Erfolg, son­dern zufäl­li­ge Kata­stro­phen mit dra­sti­schen Ein­bu­ßen für unse­ren Wohl­stand, die zur Emis­si­ons­ein­däm­mung führ­ten. Lang­fri­sti­ge struk­tu­rel­le Ände­run­gen, bei­spiels­wei­se in der Strom­pro­duk­ti­on, sind hier­bei nicht zu erwar­ten. Eine erfolg­rei­che Kli­ma­po­li­tik müss­te dem­nach ein lang­fri­stig nach­hal­ti­ges Wirt­schafts­wachs­tum ins Auge fas­sen und im Strom­sek­tor vor allem Inve­sti­tio­nen in emis­si­ons­ar­me Tech­no­lo­gien durch­set­zen. Unse­re Ana­ly­se zeigt deut­lich, wel­che signi­fi­kan­te Rol­le eine CO2-Beprei­sung spielt. Solan­ge die schmut­zi­ge Koh­le teu­rer als ande­re, weni­ger schmut­zi­ge Tech­no­lo­gien ist, wer­den Ver­bes­se­run­gen in der Ener­gie­ef­fi­zi­enz und erneu­er­ba­re Ener­gien effek­tiv Emis­sio­nen ver­drän­gen kön­nen. Dann bewirkt auch ein klei­ner Erfolg in der Ener­gie­ef­fi­zi­enz lang­fri­stig eine signi­fi­kan­te Emis­si­ons­re­duk­ti­on. Unser Fazit lau­tet daher, die Emis­si­ons­be­prei­sung wei­ter vor­an­zu­trei­ben, um eine lang­fri­stig effek­ti­ve Kli­ma­po­li­tik zu gewährleisten.