Erlan­gen: „Es war ein­mal.….“ – Was ist ein moder­nes Mär­chen? – FAU For­sche­rin Prof. Dr. Maren Con­rad über moder­ne Märchen

Symbolbild Bildung
Was ist ein moder­nes Märchen?
FAU-Forsche­rin Prof. Dr. Maren Con­rad über moder­ne Mär­chen und wo sie zu fin­den sind
„Es war ein­mal …“ – beginnt ein Text mit die­sen drei ein­fa­chen Wör­tern, ist sofort klar: Es han­delt sich um ein Mär­chen. Mär­chen gel­ten als Kul­tur­gut, sind für vie­le mit Kind­heits­er­in­ne­run­gen ver­bun­den und ste­hen doch auch in der Kri­tik, weil sie Kli­schees und ver­al­te­ten Rol­len­bil­der trans­por­tie­ren. Sind Mär­chen also noch zeit­ge­mäß? Und was macht moder­ne Mär­chen aus? Dar­über haben wir mit Prof. Dr. Maren Con­rad, Pro­fes­so­rin für Neue­re deut­sche Lite­ra­tur mit Schwer­punkt Kin­der und Jugend­li­te­ra­tur an der Fried­rich-Alex­an­der-Uni­ver­si­tät Erlan­gen Nürn­berg (FAU), gesprochen.
Frau Prof. Con­rad, war­um lesen und hören wir so ger­ne Märchen?
Ein­fach gesagt: Mär­chen machen glück­lich. Das tra­di­tio­nel­le Mär­chen, wie wir es von den Grimms ken­nen, hat ganz düste­re Momen­te, geht aber immer gut aus. So etwas ist in unse­rer moder­nen Welt, die immer kom­ple­xer wird, sehr wertvoll.
Wor­in unter­schei­den sich moder­ne Mär­chen von den Klassikern?
Haupt­säch­lich sicher­lich im For­mat. Mär­chen waren frü­her erst münd­lich über­lie­fer­te Volks­mär­chen, dann in Büchern gesam­mel­te Kunst­mär­chen. Heu­te kön­nen Mär­chen als Fil­me, Bil­der­bü­cher, Hör­bü­cher, Seri­en, inter­ak­ti­ve Aus­stel­lun­gen, Comics oder Com­pu­ter­spie­le daher­kom­men. Sie funk­tio­nie­ren aber immer noch wie die eher kur­zen Geschich­ten von Grimm und Co.: Das Gute siegt.
Mit wel­chen The­men befas­sen sich zeit­ge­nös­si­sche Mär­chen und warum?
Die Kern­mo­ti­ve des Mär­chens sind zeit­los, denn sie waren schon zu Zei­ten der Gebrü­der Grimm Erzie­hungs­bü­cher. Sie behan­deln Uräng­ste, die Hän­sel und Gre­tel eben­so betref­fen wie Har­ry Pot­ter, und zei­gen uns immer Hel­din­nen und Hel­den, die Her­aus­for­de­run­gen mei­stern und dafür reich belohnt wer­den. Moder­ne Mär­chen erwei­tern die­ses Motiv. Für ein moder­nes Kind ist es zum Bei­spiel nicht mehr ent­schei­dend, den rich­ti­gen Weg durch den Wald zu fin­den, son­dern in der Schu­le gute Noten zu bekommen.
Kon­stant blei­ben auch zen­tra­le Wer­te wie Lie­be, Treue, Güte, Mut, Freund­schaft und Mensch­lich­keit. Neu hin­zu­kom­men jetzt Auto­no­mie und Indi­vi­dua­li­tät, Tole­ranz und Viel­falt, Bil­dung und kri­ti­sches Den­ken – Din­ge, die in unse­rer heu­ti­gen Gesell­schaft immer wich­ti­ger werden.
Skan­di­na­vi­sche Kin­der­bü­cher schei­nen ihrer Zeit vor­aus zu sein: Die Geschich­ten rund um das star­ke und unab­hän­gi­ge Mäd­chen Pip­pi Lang­strumpf zum Bei­spiel erschie­nen in den 1940er Jah­ren. Sind Mär­chen dort nach wie vor progressiv?
Unbe­dingt! In Skan­di­na­vi­en spie­len Diver­si­tät, Inter­sek­tio­na­li­tät und Inklu­si­on beson­ders für Kin­der­gär­ten und Schu­len eine zen­tra­le Rol­le und das zeigt sich auch in der Lite­ra­tur. Astrid Lind­gren hat sicher Maß­stä­be gesetzt. Beson­ders span­nend ist, dass das auch poli­tisch gewollt ist. Der Auf­satz mei­ner Kol­le­gin Kari­na Brehm berich­tet etwa dar­über, dass in Schwe­den ein geschlechts­neu­tra­les Pro­no­men ein­ge­führt wur­de, das in Kin­der­bü­chern ver­wen­det wird.
Doch nicht nur die The­men machen ein moder­nes Mär­chen aus, son­dern auch das Medi­en­for­mat. Wel­che Bei­spie­le gibt es da? 
Das Schö­ne an Mär­chen ist: Sie sind unend­lich wan­del­bar. Im Kern geht es um eine bestimm­te Art von Geschich­te und um bestimm­te Moti­ve und Figu­ren­ty­pen. In moder­nen Mär­chen wer­den die­se immer wie­der neu kom­bi­niert, auch wenn es um ganz ande­re The­men geht. Auch die Pop-Kul­tur greift Mär­chen­mo­ti­ve immer wie­der auf. Ob „Germany‘s Next Top­mo­del“, „Game of Thro­nes“ oder die „Superman“-Comics: Es wer­den vie­le typi­sche Mär­chen­mo­ti­ve genutzt – von Prin­zes­sin­nen über Hexen hin zu Dra­chen – und zu Mär­chen für moder­ne Erwach­se­ne umgebaut.
Inwie­fern kann auch ein Com­pu­ter­spiel ein Mär­chen sein?
Com­pu­ter­spie­le eig­nen sich sogar beson­ders gut dafür, weil sie inter­ak­tiv sind. Wie moder­ne skan­di­na­vi­sche Mär­chen auch, haben Com­pu­ter­spie­le als moder­nes Medi­um das Poten­zi­al, inno­va­tiv zu sein und Viel­falt zu ermög­li­chen. So gibt es zum Bei­spiel vom Goe­the-Insti­tut Mär­chen als Com­pu­ter­spiel, in denen die Kin­der selbst ent­schei­den kön­nen, ob die Prin­zes­sin den Dra­chen vor der bösen Stief­mut­ter ret­ten soll, oder der Dra­che die Stief­mut­ter vor der bösen Prin­zes­sin, oder alles ganz anders lau­fen soll. Und haben wir als Kin­der nicht alle gern Mär­chen sel­ber nachgespielt?
Prof. Dr. Maren Con­rad ver­öf­fent­lich­te im Früh­jahr 2020 einen Sam­mel­band mit wis­sen­schaft­li­chen Bei­trä­gen aus einer von ihr orga­ni­sier­ten Ring­vor­le­sung zum The­ma moder­ne Mär­chen mit dem Titel „Moder­ne Mär­chen. Popu­lä­re Varia­tio­nen in jugend­kul­tu­rel­len Lite­ra­tur- und Medi­en­for­ma­ten der Gegenwart.“