Arten­viel­falt hilft gegen Extrem­wet­ter: Stö­rungs­öko­lo­gin Prof. Dr. Anke Jentsch im Interview

Symbolbild Bildung
Prof. Dr. Anke Jentsch. Foto: privat

Prof. Dr. Anke Jentsch. Foto: privat

Extre­me Wet­ter­ereig­nis­se wie Spät­frost, Trocken­heit und Stark­re­gen sind mitt­ler­wei­le „gefühlt“ an der Tages­ord­nung. Nach zwei Hit­zesom­mern ist der Boden noch nicht aus­rei­chend feucht, um einen wei­te­ren Hit­zesom­mer zu über­ste­hen, Forst­wir­te befürch­ten Wald­brän­de, Land­wir­te Ern­te­aus­fäl­le. Prof. Dr. Anke Jentsch hat die Pro­fes­sur für Stö­rungs­öko­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth inne und beschäf­tigt sich mit der Wider­stands­fä­hig­keit, der Resi­li­enz der Natur. Sie sagt: „Die Viel­falt an funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten und Stra­te­gie­ty­pen inner­halb einer Gemein­schaft wirkt wie eine her­vor­ra­gen­de Ver­si­che­rung gegen­über Umwelt­schwan­kun­gen und extre­men Wet­ter­ereig­nis­sen.“ Dar­über wird Prof. Dr. Jentsch im digi­ta­len Stadt­ge­spräch am 1. Juli 2020 um 18:00 Uhr refe­rie­ren und im Anschluss für Fra­gen zur Ver­fü­gung ste­hen (www​.stadt​ge​sprae​che​.uni​-bay​reuth​.de).

Hält die Natur den drit­ten Hit­zesom­mer in Fol­ge aus?

Bis­lang ist noch nicht abzu­se­hen, wie sich die­ser Som­mer ent­wickeln wird. Der Kli­ma­wan­del in Mit­tel­eu­ro­pa zeich­net sich gera­de durch die zuneh­men­de Varia­bi­li­tät in Tem­pe­ra­tu­ren und Nie­der­schlä­gen aus. So kam es in den letz­ten Jah­ren zu Wär­me­ein­brü­chen im Win­ter und extre­mer Trocken­heit im Som­mer mit Tem­pe­ra­tu­ren weit jen­seits des lang­jäh­ri­gen Mit­tels. Der trocke­ne Juni 2019 war der wärm­ste seit Beginn der Auf­zeich­nun­gen, woge­gen der wech­sel­haf­te Juni 2020 gera­de mit ergie­bi­gen Regen­fäl­len und küh­le­ren Tem­pe­ra­tu­ren Erho­lung von dem außer­ge­wöhn­lich trocke­nen Früh­jahr bie­tet. Doch die Boden­was­ser­spei­cher sind noch lan­ge nicht auf­ge­füllt. Ein drit­ter Hit­zesom­mer wäre eine enor­me Her­aus­for­de­rung für unse­re Agrar­pro­duk­ti­on und für die groß­flä­chi­gen, mono­do­mi­nan­ten Wirt­schafts­wäl­der, nicht jedoch für die arten- und struk­tur­rei­chen Kul­tur­land­schaf­ten der Mit­tel­ge­bir­ge und des Voralpenlandes.

War­um ver­kraf­ten arten­rei­che Land­schaf­ten extre­me Wet­ter­la­gen besser? 

Agrar­land­schaf­ten und Wirt­schafts­wäl­der sind auf hohen Ertrag getrimmt und basie­ren auf einem redu­zier­ten Spek­trum von Pflan­zen­ar­ten, wel­che unter gewis­sen Bedin­gun­gen äußerst lei­stungs­fä­hig sind. Vie­ler sol­cher Arten sind jedoch beson­ders emp­find­lich gegen­über Stö­run­gen mul­ti­pler Stres­so­ren wie Dür­ren und Stark­re­gen, che­mi­sche Bela­stung, Pil­ze und rin­den­be­woh­nen­de oder blatt­fres­sen­de Insek­ten. Arten­rei­che Gemein­schaf­ten bestehen dage­gen aus einem Neben­ein­an­der von wech­seln­den Lei­stungs­trä­gern, wobei der Bei­trag von unbe­deu­tend erschei­nen­den „Mit­läu­fern“ oder „Under­per­for­mern“ von enor­mer Bedeu­tung sein kann, wenn die Rah­men­be­din­gun­gen sich plötz­lich und wie­der­holt ändern. Wech­seln­de Kon­kur­renz-Hier­ar­chien um die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Res­sour­cen sowie unter­schied­li­che Tole­ranz gegen­über Stö­run­gen spie­len hier eine beson­de­re Rol­le. So wirkt gera­de die Viel­falt an funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten und Stra­te­gie­ty­pen inner­halb einer Gemein­schaft wie eine her­vor­ra­gen­de Ver­si­che­rung gegen­über Umwelt­schwan­kun­gen und extre­men Wetterereignissen.

Was bedeu­tet das konkret? 

In arten­rei­chen Wie­sen gel­ten bei­spiels­wei­se die Schmet­ter­lings­blü­ter als Schlüs­sel­ar­ten für die Pro­duk­ti­on von Bio­mas­se, da sie zusätz­lich zu den Boden­res­sour­cen Stick­stoff aus der Luft fixie­ren kön­nen. Aller­dings funk­tio­niert die­ser Mecha­nis­mus bei gro­ßer Trocken­heit weni­ger gut, ihr Bei­trag zu Gemein­schafts­lei­stung sinkt rapi­de, ande­re Grä­ser und Kräu­ter über­neh­men dann. In unse­ren Expe­ri­men­ten geschieht da sogar ganz Erstaun­li­ches: Unter Extrem­be­din­gun­gen über­tref­fen man­che Arten sich selbst, wach­sen stär­ker und höher als sonst, über­neh­men gera­de­zu die Bei­trä­ge ihrer sonst so lei­stungs­fä­hi­gen Part­ner. Dies geschieht, obwohl bei Dür­re alle Mit­glie­der der Pflan­zen­ge­mein­schaft unter Was­ser­man­gel lei­den. Aber wir ver­mu­ten, dass die­se Über­kom­pen­sa­ti­on durch die Befrei­ung von Kon­kur­renz­druck mög­lich wird. Kon­kur­renz kann also stär­ker ein­schrän­kend wir­ken als Res­sour­cen­man­gel. So geht mit Arten­viel­falt eine sich gegen­sei­tig ergän­zen­de Wir­kung an funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten in Gemein­schaf­ten ein­her, wel­che bei einem plötz­li­chen Wech­sel von äuße­ren Bedin­gun­gen den Erhalt von Lei­stung erst ermöglicht.

Erho­lung und Resi­li­enz – Kann man Erkennt­nis­se aus der Natur auf die Gesell­schaft übertragen? 

Da gibt es sehr span­nen­de Par­al­le­len. Als Stö­rungs­öko­lo­gin unter­su­che ich das Para­do­xon von Stö­rung und Sta­bi­li­tät in Öko­sy­ste­men. Es geht um das Ver­ständ­nis von Rhyth­men, aber auch um die Mecha­nis­men von Rege­ne­ra­ti­on nach Extrem­ereig­nis­sen, um Gleich­ge­wicht und blei­ben­de Lei­stungs­fä­hig­keit trotz Stö­run­gen. Aus den natur­wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen erge­ben sich auch gesell­schaft­li­che Fra­gen. Wie gehen wir mit den ver­füg­ba­ren Res­sour­cen um? Wel­che Rol­le spie­len Indi­vi­du­en in diver­sen Gemein­schaf­ten? Wie funk­tio­niert das Leben an Extrem­stand­or­ten oder ange­sichts mul­ti­pler Stres­so­ren? Unse­re For­schungs­er­geb­nis­se zei­gen, dass kom­ple­men­tä­re Eigen­schaf­ten unter den betei­lig­ten Akteu­ren ein wich­ti­ger Schlüs­sel sind für die funk­tio­nel­le Sta­bi­li­tät und schnel­le Erho­lung nach Extremereignissen.

Wie erfor­schen Sie das konkret? 

Mit unge­wöhn­li­chen Expe­ri­men­ten simu­lie­ren wir zukünf­ti­ge Extrem­ereig­nis­se. Bei­spiels­wie­se erzeu­gen wir Jahr­hun­dert-Dür­ren durch die Kon­struk­ti­on von Regen­dä­chern über natür­li­chen oder spe­zi­ell ange­pflanz­ten Wie­sen, simu­lie­ren zuneh­men­de Kli­ma­er­wär­mung durch die Umsied­lung von Pflan­zen­ge­mein­schaf­ten aus den kühl-feuch­ten Hoch­la­gen der Alpen in die wär­me­ren und trocke­ne­ren Tief­la­gen von Bay­reuth, mani­pu­lie­ren Win­ter-Wär­me­pul­se und Frost-Auf­tau­zy­klen durch Infra­rot-Lam­pen oder ver­gra­be­ne Heiz­ka­bel im Boden, erzeu­gen nächt­li­che Spät­frost­ereig­nis­se, indem wir Jung­bäu­me über Nacht in ange­mie­te­te Kühl­la­ster stel­len. Dann ver­mes­sen wir bei­spiels­wei­se die Wider­stands­fä­hig­keit ver­schie­de­ner Arten, erfas­sen Blatt­schä­den und Ertrags­ein­bu­ßen, quan­ti­fi­zie­ren die Ver­än­de­rung von Stoff­flüs­sen und ana­ly­sie­ren die Bedeu­tung von Her­kunft, Pla­sti­zi­tät und Diver­si­tät von Lebens­ge­mein­schaf­ten für die Resi­li­enz und Öko­sy­stem­funk­tio­nen. Wir kar­tie­ren das Vor­kom­men von Pflan­zen­ar­ten und ver­mes­sen ihre funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten, wir ver­glei­chen Wild­nis- und Kul­tur­land­schaf­ten, arbei­ten mit Fern­erkund­lern und Model­lie­rern zusam­men. Im Grun­de arbei­ten wir „glo­kal“.

Was ist „glo­kal“?

Glo­bal und lokal in einem. Wir unter­su­chen die loka­len Aus­wir­kun­gen des glo­ba­len Kli­ma­wan­dels, z.B. ent­lang von Höhen­gra­di­en­ten in den Alpen oder Nie­der­schlags­gra­di­en­ten inner­halb Euro­pas. Dazu schlie­ßen wir uns in glo­ba­len Netz­wer­ken mit ande­ren Wis­sen­schaft­lern zusam­men, füh­ren in ver­schie­de­nen Län­dern und Kon­ti­nen­ten iden­ti­sche Expe­ri­men­te durch, unter­su­chen und die loka­len Effek­te und ord­nen die­se in den Gesamt­zu­sam­men­hang ein. Durch den glo­ba­len Ver­gleich loka­ler Ergeb­nis­se kön­nen wir grund­le­gen­de, öko­lo­gi­sche Mecha­nis­men erken­nen und zugleich die sen­si­bel­sten Öko­sy­ste­me der Erde iden­ti­fi­zie­ren. Hier ganz lokal an der Uni Bay­reuth enga­gie­re ich mich bei den „Sci­en­tists for Future“, bin­de die Stu­die­ren­den in die expe­ri­men­tel­le For­schung ein und wir­ke z.B. beim Schü­ler­for­schungs­zen­trum mit. Bei Exkur­sio­nen und Berg­wan­de­run­gen mit Bay­reu­ther Schü­lern zu schmel­zen­den Glet­schern und zu den For­schungs­sta­tio­nen der Gla­zio­lo­gen und Vege­ta­ti­ons­öko­lo­gen wird beson­ders deut­lich, dass loka­les Han­deln längst glo­ba­le Fol­gen hat und umgekehrt!

Über die­se The­men wird Prof. Dr. Anke Jentsch am 1. Juli um 18:00 Uhr im digi­ta­len Stadt­ge­spräch refe­rie­ren. Den ZOOM-Link fin­den Sie hier: www​.stadt​ge​sprae​che​.uni​-bay​reuth​.de. Im Anschluss an den Vor­trag steht die Refe­ren­tin für Fra­gen der Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er zur Verfügung.