Inter­view: Künst­li­che Beatmung und ihre Beson­der­hei­ten bei Pati­en­ten mit COVID-19 („Coro­na“)

Dr. Andrea Neumann und Dr. Ulrich von Hintzenstern. Foto Klinikum Forchheim Fränkische Schweiz
Dr. Andrea Neumann und Dr. Ulrich von Hintzenstern. Foto Klinikum Forchheim Fränkische Schweiz

Chef­arzt und Funk­ti­ons­ober­ärz­tin der Anästhesie/​Intensivmedizin am Kli­ni­kum Forch­heim-Frän­ki­sche Schweiz informieren

Ende April 2020 wur­den am Kli­ni­kum Forch­heim-Frän­ki­sche Schweiz vier neue Beatmungs­ge­rä­te in Betrieb genom­men. Was ist bei der maschi­nel­len Beatmung zu beach­ten und wel­che Beson­der­hei­ten gibt es bei der Beatmung von Pati­en­ten mit COVID-19? Dr. med. Ulrich von Hint­zen­stern, Chef­arzt der Abtei­lung für Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin, und Dr. med. Andrea Neu­mann, Funk­ti­ons­ober­ärz­tin der Abtei­lung für Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin am Kli­ni­kum Forch­heim-Frän­ki­sche Schweiz geben Antworten.

Wann müs­sen Pati­en­ten auf einer Inten­siv­sta­ti­on beatmet werden?

Andrea Neu­mann: „Immer wenn ein Lun­gen­ver­sa­gen auf­tritt. Aus­gangs­punkt ist eine Ein­schrän­kung der Sau­er­stoff­an­rei­che­rung des Blu­tes und/​oder Min­de­rung der Koh­len­di­oxid­aus­schei­dung, wie sie z.B. bei einer Lun­gen­ent­zün­dung vor­kom­men kann.“

Was sind die Zie­le der maschi­nel­len Beatmung?

Ulrich von Hint­zen­stern: „Wir haben drei Haupt­zie­le: Prin­zi­pi­ell geht es um die die kon­trol­lier­te Zufuhr von Sau­er­stoff und den Abtrans­port von Koh­len­di­oxid, um die ent­spre­chen­den Wer­te, die man mit einer Blut­gas­ana­ly­se mes­sen kann, zu nor­ma­li­sie­ren. Da eine Lun­ge durch Beatmung auch geschä­digt wer­den kann, ver­su­chen wir dies durch ent­spre­chen­de Vor­sichts­maß­nah­men zu ver­hin­dern. Und ab der ersten Sekun­de einer Beatmung haben wir die schnellst­mög­li­che Ent­wöh­nung vom Beatmungs­ge­rät, d.h. die eigen­stän­di­ge Über­nah­me von Atem­ar­beit und Atem­steue­rung durch den Pati­en­ten im Auge. Anson­sten „schmilzt“ die Atem­mus­ku­la­tur in aller­kür­ze­ster Zeit.“

Wel­che Arten von Beatmungs­for­men gibt es?

Andrea Neu­mann :„Unter­schie­den wird zwi­schen kon­trol­lier­ter Beatmung, unter­stüt­zen­der Beatmung und Spon­tan­at­mung. Zwi­schen die­sen Beatmungs­for­men gibt es auch ver­schie­de­ne Zwi­schen­for­men, so z.B. kon­trol­lier­te Beatmung mit Spon­tan­at­mungs­mög­lich­keit oder Spon­tan­at­mung mit Unterstützung.“

Wie funk­tio­niert eine kon­trol­lier­te Beatmung?

Ulrich von Hint­zen­stern: „Bei einer künst­li­chen Beatmung wird die Arbeit der Atem­mus­ku­la­tur durch eine Maschi­ne über­nom­men. Dazu wird dem Pati­en­ten ein Schlauch, ein soge­nann­ter Tubus, in die Luft­röh­re ein­ge­führt. Zur Ein­at­mung wird über den Tubus Luft in die Lun­ge gepumpt und die Lun­ge dehnt sich auf. Nach einer vor­ein­ge­stell­ten Zeit­dau­er öff­net sich das Aus­atem­ven­til des Beatmungs­ge­rä­tes und die Luft strömt wie­der pas­siv aus der Lunge.“

Wel­che Beson­der­hei­ten gibt es bei der Beatmung von Pati­en­ten mit COVID-19 („Coro­na“)

Andrea Neu­mann: „Bei der Beatmung von COVID-19-Pati­en­ten wer­den wir mit allen Pro­ble­men der The­ra­pie des aku­ten Lun­gen­ver­sa­gens kon­fron­tiert. Die gro­ße Her­aus­for­de­rung ist es dabei, die Lun­ge durch die erfor­der­li­che aggres­si­ve Beatmung nicht wei­ter zu schä­di­gen. Mitt­ler­wei­le exi­stiert ein wis­sen­schaft­lich aner­kann­tes Sche­ma, bei dem durch vie­le auf­ein­an­der abge­stimm­te Maß­nah­men die Beatmung von COVID-19-Pati­en­ten mit einer schwe­ren Lun­gen­ent­zün­dung fest­ge­legt ist. Eine Maß­nah­me, die sich in dem Zusam­men­hang sehr bewährt hat, ist die Bauch­la­ge­rung des beatme­ten Pati­en­ten, durch die u.a. der Gas­aus­tausch der Lun­ge ein­deu­tig ver­bes­sert wird. Wenn sich durch den kon­zen­trier­ten Ein­satz aller inten­siv­me­di­zi­ni­schen Maß­nah­men kei­ne Sta­bi­li­sie­rung des Gas­aus­tau­sches beim schwe­ren aku­ten Lun­gen­ver­sa­gen erzie­len lässt, kann als „aller­letz­te Ret­tungs­maß­nah­me“ die Anla­ge einer soge­nann­ten extra­kor­po­ra­len Lun­gen­un­ter­stüt­zung, abge­kürzt ECMO, erwo­gen wer­den. Die­ses The­ra­pie­ver­fah­ren, bei dem lebens­be­droh­li­che Kom­pli­ka­tio­nen auf­tre­ten kön­nen, wird nur in spe­zia­li­sier­ten Zen­tren durchgeführt.

Vor­aus­set­zung für die Anwen­dung ist eine kri­ti­sche Abwä­gung bezüg­lich der Pro­gno­se der Grund­er­kran­kung, das Aus­maß der Begleit­erkran­kun­gen sowie der Wil­le des Patienten.“

Was ist an dem Vor­wurf dran, dass „Coro­na-Pati­en­ten“ beson­ders häu­fig ster­ben, wenn sie beatmet werden?

Ulrich von Hint­zen­stern: „Schwerst­kran­ke COVID-19-Pati­en­ten müs­sen oft auf­grund eines aku­ten Lun­gen­ver­sa­gen beatmet wer­den, andern­falls wür­den sie kur­ze Zeit spä­ter ster­ben. Zusätz­lich haben die mei­sten die­ser Pati­en­ten noch mas­si­ve lebens­be­droh­li­che Pro­ble­me mit ande­ren Orga­nen, so z.B. mit dem Her­zen oder der Nie­re. Es liegt auf der Hand, dass sich sol­che Pati­en­ten, die sich in einem abso­lut kri­ti­schen Zustand befin­den, häu­fi­ger ster­ben, als gesün­de­re. Was ganz klar betont wer­den muss: Kein Mensch wird „ein­fach so“ beatmet, son­dern immer nur, wenn es kei­ne sinn­vol­le Alter­na­ti­ve gibt!“.

Hin­ter­grund:.

Bei rund 80 % der Infek­tio­nen ver­läuft die „Coro­na-Krank­heit“ nur mit Fie­ber oder einer leich­ten Lun­gen­ent­zün­dung; bei etwa 15 % der Fäl­le ver­läuft sie schwe­rer, und in etwa 5 % so kri­tisch, dass die Pati­en­ten inten­siv­me­di­zi­nisch behan­delt wer­den müs­sen.