Bay­reu­ther Gene­ti­ker ent­decken Regu­la­ti­ons­me­cha­nis­mus der Chromosomen-Vererbung

Symbolbild Bildung

Bei jeder Zell­tei­lung müs­sen die auf den Chro­mo­so­men lie­gen­den Erb­infor­ma­tio­nen gleich­mä­ßig auf die neu ent­ste­hen­den Toch­ter­zel­len ver­teilt wer­den. Eine ent­schei­den­de Rol­le in die­sem Pro­zess spielt das Enzym Sepa­ra­se. Susan­ne Hell­muth und Olaf Stem­mann vom Lehr­stuhl für Gene­tik der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben jetzt einen bis­lang unbe­kann­ten Mecha­nis­mus ent­deckt, der die Akti­vi­tät der Sepa­ra­se regu­liert. Die­se grund­le­gen­den Erkennt­nis­se erwei­tern das bis­he­ri­ge Ver­ständ­nis der Chro­mo­so­men-Ver­er­bung um einen wich­ti­gen Aspekt. In der Zeit­schrift „Natu­re“ stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre Stu­die vor.

Ent­schei­dend für gesun­de Zell-Entwicklungen: 

die Regu­lie­rung der Separase

Zell­tei­lun­gen sind für das Wachs­tum und die Fort­pflan­zung des Men­schen unab­ding­bar. Bevor sich eine Zel­le zu tei­len beginnt, ver­dop­peln sich die auf den Chro­mo­so­men gespei­cher­ten Erb­infor­ma­tio­nen. Ist die­ser Vor­gang been­det, besteht jedes Chro­mo­som aus zwei iden­ti­schen DNS-Fäden, den Schwe­ster-Chro­ma­ti­den. Kohä­sin, ein aus meh­re­ren Eiwei­ßen bestehen­der Ring, umschließt jedes Chro­mo­som und hält das Chro­ma­ti­den-Paar zusam­men. Bereits in der Vor­be­rei­tung auf die Zell­tei­lung wird das Kohä­sin von den Armen der Chro­mo­so­men ent­fernt. Die voll­stän­di­ge Tren­nung der Schwe­ster-Chro­ma­ti­den kann jedoch erst erfol­gen, wenn das in der Mit­te der Chro­mo­so­men ver­blie­be­ne Kohä­sin durch das Enzym Sepa­ra­se zer­schnit­ten wird. Dann wan­dern die Chro­ma­ti­den an die bei­den ent­ge­gen­ge­setz­ten Enden des Spin­del­ap­pa­rats und bil­den hier die gene­ti­sche Grund­la­ge der ent­ste­hen­den Tochterzellen.

Eine gesun­de Ent­wick­lung der Toch­ter­zel­len ist nur gewähr­lei­stet, wenn sie kei­ne gene­ti­schen Defek­te ent­hal­ten. Damit die­se Vor­aus­set­zung erfüllt ist, muss die Sepa­ra­se zum rich­ti­gen Zeit­punkt aktiv wer­den. Wer­den die Schwe­ster-Chro­ma­ti­den zu früh getrennt, kön­nen sie nur noch zufäl­lig ver­teilt wer­den. Dann ent­hal­ten die resul­tie­ren­den Toch­ter­zel­len eine fal­sche Chro­mo­so­men­zahl und ster­ben ab, oder sie kön­nen sich zu Tumor­zel­len ent­wickeln. Nur eine stren­ge Regu­lie­rung der Sepa­ra­se ver­hin­dert die­se gene­ti­schen Fehlsteuerungen.

Ein „Beschüt­zer­geist“ unter­drückt die ver­früh­te Schwesterchromatid-Trennung

Die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler Susan­ne Hell­muth und Olaf Stem­mann haben in Zusam­men­ar­beit mit Gene­ti­kern von der Uni­ver­si­tät Salamanca/​Spanien nun her­aus­ge­fun­den, dass das Eiweiß Shu­go­shin (japa­nisch für „Beschüt­zer­geist“) genau die­se regu­lie­ren­de Funk­ti­on hat. Shu­go­shin bewirkt, dass die Sepa­ra­se inak­tiv bleibt, bis der rich­ti­ge Zeit­punkt für die Kohä­sin-Spal­tung gekom­men ist. Mit die­ser Ent­deckung ist es den Wis­sen­schaft­lern gelun­gen, ein wich­ti­ges Rät­sel der Gene­tik zu lösen: Bis­lang war nur das Eiweiß Secu­rin dafür bekannt, dass es eine ver­früh­te Akti­vi­tät der Sepa­ra­se unter­drückt. Man glaub­te daher, die Sepa­ra­se wer­de aus­schließ­lich durch Secu­rin regu­liert. Aber die­se Auf­fas­sung steht im Wider­spruch zu der Beob­ach­tung, dass die Sepa­ra­se auch dann ord­nungs­ge­mäß regu­liert bleibt, wenn kein Secu­rin vor­han­den ist. Die jetzt in „Natu­re“ ver­öf­fent­lich­te Stu­die lie­fert die Erklä­rung: Shu­go­shin und Secu­rin ver­hin­dern bei­de, dass die Sepa­ra­se zur Unzeit den Pro­zess der Zell­tei­lung in Gang setzt. Und falls das Secu­rin aus­fällt, ist Shu­go­shin sogar allein in der Lage, die Akti­vi­tät der Sepa­ra­se in den Zel­len des Men­schen zu regulieren.

„Wir haben es mit einer Dop­pe­lung zu tun, die im Zell­zy­klus gar nicht so sel­ten vor­kommt: Damit ein lebens­wich­ti­ger Vor­gang wohl­ge­ord­net abläuft, hat die Natur ihn dadurch abge­si­chert, dass er gleich­zei­tig auf zwei oder meh­re­ren ver­schie­de­nen Wegen kon­trol­liert wird. Das macht den Vor­gang beson­ders robust, aber auch schwer stu­dier­bar, weil ein­zel­ne Stö­run­gen kei­nen sicht­ba­ren Effekt haben,“ sagt Susan­ne Hell­muth, die Erst­au­torin der Studie.

Zwei­fa­che Kon­trol­le durch den Spindel-Kontrollpunkt 

Hell­muth und Stem­mann haben noch eine wei­te­re Ent­deckung gemacht: Der Spin­del-Kon­troll­punkt (Spind­le Assem­bly Check­point, SAC) steu­ert den regu­lie­ren­den Ein­fluss von Shu­go­shin eben­so wie den regu­lie­ren­den Ein­fluss des Securins. Die­se Erkennt­nis bestä­tigt die in der For­schung gut eta­blier­te Annah­me, dass der SAC gleich­sam die Ober­ho­heit über alle an der Chro­mo­so­men-Ver­er­bung betei­lig­ten Abläu­fe hat. Schon län­ger ist bekannt, dass der SAC das Secu­rin zunächst sta­bi­li­siert und erst dann sei­nen Abbau zulässt, wenn der Zeit­punkt für die Kohä­sin-Auf­spal­tung durch Sepa­ra­se gekom­men ist. Die „Nature“-Veröffentlichung zeigt, wie der Kon­troll­punkt das Shu­go­shin dazu bringt, ver­früh­te Akti­vi­tä­ten der Sepa­ra­se zu unter­drücken: näm­lich durch eine Asso­zia­ti­on von Shu­go­shin mit der SAC-Kom­po­nen­te Mad2.

„Beson­ders gefreut hat mich der Kom­men­tar eines Gut­ach­ters unse­rer Ver­öf­fent­li­chung, dass nun die Lehr­bü­cher neu geschrie­ben wer­den müs­sen,“ sagt Olaf Stem­mann. „Unse­re wei­te­ren Unter­su­chun­gen wer­den zei­gen, wie unse­re grund­le­gen­den Erkennt­nis­se auch Ein­gang in die Krebs­the­ra­pie fin­den könn­ten.“ Die­se Fol­ge­stu­die des Bay­reu­ther For­scher­du­os wird eben­falls bald in „Natu­re“ erscheinen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Susan­ne Hell­muth, Lau­ra Gómez‑H, Alber­to M. Pen­dás, Olaf Stem­mann: Secu­rin-inde­pen­dent regu­la­ti­on of sepa­ra­se by check­point-indu­ced shu­go­shin-Mad2. Natu­re (2020), doi: 10.1038/s41586-020‑2187‑y

For­schungs­för­de­rung:

Die For­schungs­ar­bei­ten an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth wur­den von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) geför­dert. Die For­schungs­part­ner in Spa­ni­en erhiel­ten eine För­de­rung durch das Mini­ste­ri­um für Wirt­schaft und Wett­be­werbs­fä­hig­keit (MINE­CO) und die Jun­ta de Castil­la y León.