Exper­tin der Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Gesell­schaft muss ler­nen, mit dem Coro­na-Virus zu leben.“

Symbolbild Bildung
Prof. Dr. Uli Beisel. Foto: UBT

Prof. Dr. Uli Bei­sel. Foto: UBT

Schutz­maß­nah­men, Imp­fun­gen aber vor allem ein robu­stes Gesund­heits­sy­stem ermög­li­chen eine Koexi­stenz mit SARS-CoV‑2, sagt Prof. Dr. Uli Bei­sel basie­rend auf ihren For­schun­gen zu Mala­ria und Ebo­la-Epi­de­mien. Bei­sel ist Sozi­al­an­thro­po­lo­gin und Mit­glied des Exzel­lenz­clu­sters „Afri­ca Mul­ti­ple“ an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, wo sie „Kul­tur und Tech­nik in Afri­ka“ lehrt.

Sie for­schen am Bei­spiel Mala­ria über mög­li­che Koexi­stenz von krank­heits­er­re­gen­den Sub­stan­zen und dem Men­schen. Gibt es eine Koexi­stenz mit einem lebens­be­droh­li­chen Virus?

Koexi­stenz ist ja kein har­mo­ni­scher Pro­zess. Wir kön­nen durch das SARS-CoV‑2 Virus anschau­lich sehen – und müs­sen es lei­der auch schmerz­lich erle­ben, dass Koexi­stenz eine wort­wört­li­che Errun­gen­schaft der Gesell­schaft ist. Und dass die­se Koexi­stenz mit Viren, Bak­te­ri­en und Para­si­ten nor­ma­ler­wei­se ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge Todes­op­fer for­dert, ist eine der bemer­kens­wer­te­sten Lei­stun­gen der Bio­me­di­zin in der west­li­chen Moder­ne. Aber es ist eben auch eine Balan­ce, die fra­gil bleibt und – wie Öko­lo­gen zurecht war­nen – mit schwin­den­der Bio­di­ver­si­tät wohl auch zuneh­mend anfäl­li­ger wer­den wird.

Was heißt das aus Ihrer Sicht in Bezug auf Corona?

Es gibt noch kei­ne brei­te Immu­ni­tät in der Gesell­schaft, mit ande­ren Wor­ten: Wir sind es noch nicht gewohnt, mit die­sem Virus zu koexi­stie­ren. Wir kön­nen aber nicht erwar­ten, dass die Pan­de­mie nach sechs Wochen phy­si­scher Distanz ver­schwin­det, son­dern wir müs­sen als Gesell­schaft nun ler­nen, mit einem sol­chen gefähr­li­chen Virus zumin­dest für die abseh­ba­re Zukunft – zum Bei­spiel bis wir eine Imp­fung haben – zu koexi­stie­ren. Dann wird das Virus wohl den­noch unter uns blei­ben. Nur wird sei­ne Exi­stenz weni­ger sicht­bar, weil uns die bio­me­di­zi­ni­sche Infra­struk­tur aus Kran­ken­häu­sern, Kran­ken­pfle­gern, Kran­ken­ver­si­che­run­gen usw. mit Hil­fe einer Imp­fung schützt. Die grund­le­gen­de Lek­ti­on ist, dass uns allen der hohe gesell­schaft­li­che Wert eines robu­sten, öffent­lich finan­zier­ten und breit auf­ge­stell­ten Gesund­heits­sy­stems vor Augen geführt wird. Nur die­ses ermög­licht uns eine mög­lichst scha­den­freie Koexi­stenz mit gefähr­li­chen Orga­nis­men wie Viren.

Wel­che Rol­le spie­len kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten und Tra­di­tio­nen in der Bekämp­fung von Pandemien?

Klar gibt es spe­zi­fi­sche Prak­ti­ken, mit gefähr­li­chen Krank­hei­ten umzu­ge­hen, Men­schen sind ja erfin­de­risch und reagie­ren auf loka­le Gege­ben­hei­ten. In einem For­schungs­pro­jekt zur Ebo­la-Epi­de­mie in West­afri­ka, das ich gemein­sam mit Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen aus Deutsch­land, Sier­ra Leo­ne, Ugan­da und Gha­na durch­ge­führt habe, hat mein Kol­le­ge Paul Richards die Haupt­auf­ga­be schön auf einen Nen­ner gebracht: Gemein­schaf­ten müs­sen ler­nen, wie Epi­de­mio­lo­gen und Epi­de­mio­lo­gin­nen zu den­ken, und Epi­de­mio­lo­gin­nen und Epi­de­mio­lo­gen müs­sen ler­nen, wie Gemein­schaf­ten zu den­ken. Damit meint er, dass der Erfolg der Ebo­la-Stra­te­gie zum Teil auf der krea­ti­ven Kraft der Men­schen beruh­te. In Sier­ra Leo­ne haben Men­schen Regen­capes in Schutz­an­zü­ge ver­wan­delt, um so geschützt Kran­ke per Motor­rad­ta­xi ins Kran­ken­haus zu brin­gen. Nach­dem Men­schen gelernt hat­ten, was bio­me­di­zi­nisch wich­tig für die Prä­ven­ti­on ist, wur­den sie krea­tiv. Etwas Ähn­li­ches kön­nen wir hier gera­de mit selbst­ge­näh­ten Mas­ken beob­ach­ten. Epi­de­mio­lo­gen und Epi­de­mio­lo­gin­nen ande­rer­seits muss­ten in der Ebo­la­epi­de­mie ler­nen, dass sich eini­ge grund­le­gen­de sozia­le Erfah­run­gen nicht ein­fach unter­bin­den las­sen. Dies betraf bei­spiels­wei­se Beer­di­gun­gen, deren Ver­bot nur dazu geführt hat­te, dass Pati­en­ten nicht mehr in Kran­ken­häu­ser gebracht wur­den und statt­des­sen zuhau­se gepflegt wur­den. Sobald die Bio­me­di­zi­ner und ‑medi­zi­ne­rin­nen dies aber nicht mehr als Igno­ranz, son­dern als mensch­li­ches Bedürf­nis aner­kannt hat­ten, konn­ten Wege gefun­den wer­den, wie Men­schen sich ohne Ansteckungs­ge­fahr von ihren ver­stor­be­nen Fami­li­en­mit­glie­dern ver­ab­schie­den konnten.

Ist eine Beschrän­kung der Mobi­li­tät das Mit­tel der Wahl gegen welt­wei­te Krankheitsausbrüche?

Das ist momen­tan noch nicht abseh­bar. Man kann sich natür­lich fra­gen, was pas­siert wäre, wenn Deutsch­land sei­ne Gren­zen direkt nach dem ersten Münch­ner Clu­ster an Fäl­len geschlos­sen hät­te, dann wären zumin­dest die Ski­ur­lau­ber-Fäl­le ver­hin­dert wor­den. Mobi­li­täts­be­schrän­kun­gen kön­nen auch nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf den Ver­lauf einer Epi­de­mie haben, da sie wich­ti­ge Res­sour­cen aus ande­ren Berei­chen abzie­hen, bzw. bedeu­ten, dass hier­durch der Fluss von Medi­ka­men­ten, Schutz­klei­dung und medi­zi­ni­schem Per­so­nal gestört wird. Aus sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher Sicht kann ich hier nur hin­zu­fü­gen, dass die Ver­än­de­run­gen im Sozi­al­le­ben uns wohl län­ger beglei­ten und unse­re Gesell­schaf­ten prä­gen wer­den. Sozia­le Nähe unter Bedin­gun­gen von phy­si­scher Distanz in der Gesell­schaft neu zu erfin­den, wird not­wen­dig sein, um mit dem Coro­na-Virus leben zu lernen.

Wel­che Rol­le spielt die WHO in der aktu­el­len Krise?

Gene­rell spielt die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on eine wich­ti­ge Rol­le in der Koor­di­nie­rung und Bera­tung zu Gesund­heits­maß­nah­men sowie in der For­schung. Die WHO hat in den letz­ten sechs Jah­ren eine gro­ße Ent­wick­lung durch­ge­macht mit Bezug auf die Bekämp­fung von Epi­de­mien. Zu Beginn der Ebo­la Epi­de­mie in West­afri­ka 2014 muss­te die WHO sich dem Vor­wurf stel­len, dass sie die ersten War­nun­gen von „Ärz­te ohne Gren­zen“ und ande­ren igno­riert hat. Damit wur­de wert­vol­le Zeit ver­lo­ren, was bei einer Krank­heit mit einer Ster­be­ra­te von 50 Pro­zent im Mit­tel fata­le Fol­gen hat­te. Aber man muss auch sagen, dass die WHO mei­ster­haft aus die­ser Erfah­rung sowie aus ihrem Umgang mit ande­ren Epi­de­mien wie MERS-CoV oder Zika gelernt hat.

Wie soll­te die Pan­de­mie-Bekämp­fung finan­ziert wer­den und von wem?

Das ist eine sehr gute Fra­ge, da lohnt es sich, noch einen Moment bei der WHO zu blei­ben. Als UN-Orga­ni­sa­ti­on finan­ziert sich die WHO durch Län­der­bei­trä­ge, aller­dings rei­chen die Pflicht­bei­trä­ge bei Wei­tem nicht aus. Daher ist die WHO auf frei­wil­li­ge Bei­trä­ge und Spen­den ange­wie­sen. Im Finanz­jahr 2018/19 kamen 45 Pro­zent die­ser Spen­den von der phil­an­thro­pi­schen Bill und Melin­da Gates Stif­tung, 12 Pro­zent vom deut­schen Staat. Die Bill und Melin­da Gates Stif­tung ist damit nach den USA der zweit­größ­te Finan­zier der WHO. Das hat natür­lich Aus­wir­kun­gen auf die Aus­rich­tung der Orga­ni­sa­ti­on. Wer gibt, möch­te auch mit­re­den. Und das tut die Stif­tung nun schon seit vie­len Jah­ren. Sene­gal schafft es übri­gens auch in die Top 10 der frei­wil­li­gen Spen­der, mit 2 Pro­zent Anteil an den Spen­den. Chi­na gibt 4 Pro­zent frei­wil­lig dazu. Es ist also nicht so leicht, bei genaue­rem Hin­schau­en zwi­schen „rei­chen“ und „armen Natio­nen“ zu unter­schei­den und dar­aus Schlüs­se über die Finan­zie­rung der Pan­de­mie-Bekämp­fung zu zie­hen. Außer­dem sehen wir an die­sem Bei­spiel, dass nicht nur Staa­ten Inter­es­se an der Welt­ge­sund­heit haben.

Geht die WHO ange­sichts die­ser Spen­der-Mélan­ge in die rich­ti­ge Richtung?

Auch das ist kom­plex. Natür­lich zeigt COVID-19 sehr gut, dass unse­re Welt schon lan­ge so stark ver­netzt ist, dass wir gut dar­an tun, die­se Fra­gen gemein­sam und soli­da­risch zu den­ken. Hier muss aber auch etwas Ande­res beach­tet wer­den: In den Län­dern des glo­ba­len Südens ster­ben jedes Jahr weit­aus mehr Men­schen an so genann­ten „ver­nach­läs­sig­ten Krank­hei­ten“ als momen­tan von COVID-19 betrof­fen sind. Dies geschieht ohne Qua­ran­tä­nen, öko­no­mi­sche Hilfs­pro­gram­me oder Mil­li­ar­den an For­schungs­gel­dern. Wie der Name schon sagt, wer­den die Krank­hei­ten von der Welt­ge­mein­schaft ver­nach­läs­sigt. Wir müs­sen uns also fra­gen, wel­che Ungleich­hei­ten in unse­rer Welt Auf­merk­sam­keit bekom­men und wel­che still­schwei­gend für Jahr­zehn­te hin­ge­nom­men wer­den. Dass in der Welt­ge­sund­heit und der Bekämp­fung von Epi­de­mien und Pan­de­mien nicht nur altru­isti­sche Moti­ve, son­dern auch knall­har­te öko­no­mi­sche Inter­es­sen eine wich­ti­ge Rol­le spie­len, zeigt mein Exkurs in die Finanz­quel­len der WHO.