Leser­brief: Gedan­ken zum Jah­res­wech­sel aus Bamberg-Gaustadt

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„Nehmt Abschied, Brü­der, ungewiss
ist alle Wiederkehr.
Die Zukunft liegt in Finsternis
und macht das Herz uns schwer.“

Nicht erst heu­te drückt der vor­ste­hend ange­führ­te Lied­text die Gefüh­le zum Jah­res­wech­sel aus (dass natür­lich auch die Schwe­stern gemeint sind, ver­steht sich von selbst; kei­nes­wegs nur die deut­sche Spra­che ist, histo­risch bedingt, in der Wort­wahl viel­fach mas­ku­lin geprägt, wenn sie sich doch an bei­de Geschlech­ter rich­tet). Ob das per­sön­li­che Schick­sal, die Situa­ti­on im Land oder die welt­wei­te Ent­wick­lung – nie­mand kann eine gesi­cher­te Zukunfts­pro­gno­se geben: Arbeits­platz, Wohn­si­tua­ti­on, Kli­ma, Schad­stof­fe in Luft, Was­ser und Erd­reich, zuneh­men­der Ver­lust an Wald- und – auch in Deutsch­land und Euro­pa – nutz­ba­ren Acker­flä­chen, Arten­ster­ben bei Flo­ra und Fau­na, Ter­ror, Krieg, dazu eine wach­sen­de Wel­le an Hass, ver­bal aus­ge­tra­gen nicht nur in den „sozia­len“ Medi­en, hand­fest mit Fäu­sten, Mes­sern und ande­ren Waffen.

„Nichts Bes­ser ‘s weiß ich mir an Sonn – und Fei­er­ta­gen als ein Gespräch von Krieg und Kriegs­ge­schrei, wenn hin­ten, weit, in der Tür­kei, die Völ­ker auf­ein­an­der schla­gen“ reim­te vor nun­mehr 211 Jah­ren der Dich­ter Johann Wolf­gang von Goe­the im Faust (Der Tra­gö­die erster Teil). Doch die Zei­ten sind vor­bei. Längst hat nahe­zu jeder bewaff­ne­te Kon­flikt Aus­wir­kun­gen, die weit über die jewei­li­gen Gren­zen hin­aus­rei­chen. Nicht sel­ten lie­gen aber auch die Ursa­chen außer­halb: Spät­fol­gen des Kolo­nia­lis­mus, Stell­ver­tre­ter­krie­ge, Roh­stoff­hun­ger, Land­knapp­heit, unfai­re Han­dels­be­din­gun­gen, ver­fehl­te Agrar­po­li­tik, Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels, Waf­fen­ex­por­te. Die Liste dürf­te mit­nich­ten voll­stän­dig sein.

Auch reli­giö­ser Fana­tis­mus spielt eine gewich­ti­ge Rol­le – und kaum eine der bedeu­ten­den Reli­gio­nen wird hier nicht miss­braucht. Denn das dürf­te unum­strit­ten sein: Den Draht­zie­hern geht es weder um See­len­heil noch um sitt­li­ches Wohl­erge­hen. Sie wol­len Macht und Ein­fluss errin­gen bzw. sichern, mate­ri­ell unter­füt­tert, ver­steht sich. Der Glau­be dient allein als Vor­wand, wel­cher leicht­gläu­bi­ge Men­schen zu unkri­ti­scher Gefolg­schaft ver­lei­ten soll.

Vor einem hal­ben Jahr­zehnt hat­ten wir anläss­lich des nahen­den Weih­nachts­fe­stes fol­gen­des Gedicht ver­sandt gehabt:

Weih­nacht – alle Jah­re wie­der drückt uns die Advents­zeit nieder:

Fried‘ auf Erden? Licht­idyll‘? Was wird werden?

In der Still‘ kom­men Zwei­fel: Hat ver­ges­sen wohl der Herr der Welt die Seinen?

Mensch! Kind Got­tes! Wie ver­mes­sen ? Willst Du rich­ten IHN, den EINEN?

Des HÖCH­STEN Hand reicht Jesus Christ; ergrei­fen sie Ihr sel­ber müsst.

Wolf­gang Bönig

Wenn­gleich die Ver­se natur­ge­mäß – wir sind gläu­bi­ge Chri­sten, die zu Weih­nach­ten die Mensch­wer­dung Got­tes in der Geburt des Erlö­sers fei­ern – christ­lich geprägt sind, schlie­ßen wir nicht aus, ja, glau­ben wir sogar, eine ver­gleich­ba­re Aus­sa­ge ist auch ande­ren Reli­gio­nen eigen: Es hat kei­nen Sinn, fata­li­stisch die Hän­de in den Schoß zu legen, über den ver­meint­lich ungnä­di­gen Schöp­fer und die unge­rech­te Welt zu jam­mern. Denn Gott selbst weist uns den Weg:
Und Gott schuf den Men­schen nach sei­nem Ange­sicht; als Mann und als Frau erschuf er sie (1. Buch Mose, 1,27). Gott, der Herr, nahm den Men­schen und setz­te ihn in den Gar­ten Eden, auf dass er ihn bebaue und bewah­re (1. Buch Mose, 2,15). Du sollst dei­nen Näch­sten lie­ben wie Dich selbst (3. Buch Mose, 19,18). Denn von Zion wird Wei­sung aus­ge­hen und des Herrn Wort von Jeru­sa­lem.… Da wer­den sie ihre Schwer­ter zu Pflug­scha­ren machen und ihre Spie­ße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das ande­re das Schwert erhe­ben, und sie wer­den hin­fort nicht mehr ler­nen, Krieg zu füh­ren (Jesa­ja, 2, 3–4). Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkom­men (Mat­thä­us-Evan­ge­li­um, 26,52).
Wie kann der Mensch, das Eben­bild Got­tes, dem Men­schen, dem Eben­bild Got­tes, Gewalt antun – unmit­tel­bar, aber auch durch die Zer­stö­rung sei­ner Lebens­grund­la­gen? Der Gar­ten Eden soll bebaut, der Pla­net Erde genutzt wer­den. Dass er rück­sichts­los aus­ge­beu­tet, rigo­ros zer­stört wer­den soll (resp. darf), ist dem Buch der Bücher nicht zu entnehmen.
Ver­trägt es sich mit dem Gebot zur Näch­sten­lie­be, teil­nahms­los zuzu­schau­en, wie Men­schen, durch viel­fäl­ti­ge Ursa­chen (Krieg, Ter­ror, Hun­ger, Armut, …) zur Flucht getrie­ben, in der Wüste ver­dur­sten, im Meer ertrin­ken, in über­füll­ten Lagern dar­ben? Wel­che christ­li­che Leit­kul­tur ver­tei­di­gen wir durch kon­se­quen­te Abschottung?
Sicher – Deutsch­land kann nicht allein die Welt ret­ten, sämt­li­che Pro­ble­me lösen. Aber Deutsch­land kann sei­ne Stim­me für die Mensch­lich­keit erhe­ben und sei­nen Bei­trag lei­sten. Wer natio­na­li­sti­schen Paro­len nach­läuft, wie es Tei­le des poli­ti­schen Spit­zen­per­so­nals lei­der tun, gibt ihnen letzt­lich recht, gräbt den Het­zern nicht etwa das Was­ser ab, son­dern führt ihnen die Anhän­ger­schaft gera­de­wegs in die Arme. Ja – auch in Deutsch­land gibt es Not und Armut. Ein beträcht­li­cher Teil aber ist nicht „natur­ge­ge­ben“, son­dern (gewoll­te?) Fol­ge poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen, die Kli­en­telin­ter­es­sen folg­ten, gro­ße Ein­kom­men und Ver­mö­gen begün­stig­ten, Gering­ver­die­nen­de und Erwerbs­lo­se hin­ge­gen gna­den­los unter immer stär­ke­ren Druck setz­ten, inter­na­tio­na­le Kon­zer­ne för­der­ten, klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men jedoch mit­tels büro­kra­ti­scher Anfor­de­run­gen, Kosten­last und ande­rer Rah­men­be­din­gun­gen exi­sten­ti­ell bedroh(t)en. Ein­ge­stan­den – für Nor­mal­ver­die­ner wird es im Lan­de immer schwie­ri­ger, bezahl­ba­re Woh­nun­gen zu fin­den. Doch es ist noch nicht all­zu lan­ge her, dass die öffent­li­che Hand ihren Woh­nungs­be­stand, teil­wei­se zu Spott­prei­sen, pri­va­ti­sier­te, damit dem Spe­ku­lan­ten­tum Tür und Tor öff­ne­te und vor allem die preis­wer­te Kon­kur­renz, die immer­hin einen gewis­sen Wett­be­werb sicher­stell­te, eli­mi­nier­te. Nicht zu leug­nen – die Ener­gie­prei­se stel­len so man­chen vor Pro­ble­me. Doch wäh­rend die Strom­an­bie­ter die EEG-Umla­ge, also die Abga­be, wel­che die Gewin­nung elek­tri­scher Ener­gie aus umwelt­ver­träg­li­chen Quel­len för­dert, nutz­ten, ihre Prei­se über­pro­por­tio­nal anzu­he­ben, gaben sie die zugleich wegen des stei­gen­den Ange­bots an Wind- und Solar­strom sin­ken­den Erzeu­ger­prei­se nicht an ihre Kun­den wei­ter – poli­tisch wohl­wol­lend gedul­det. Gera­de die umwelt­schäd­lich­sten Indu­strie­zwei­ge sind von einer Rei­he Kosten befreit; ihr Anteil wird den Pri­vat­ver­brau­chern auf­ge­bür­det. Tech­ni­scher Fort­schritt wur­de nicht für spar­sa­me und schad­stoff­ar­me Moto­ren genutzt. Viel­mehr wur­den die Kraft­fahr­zeu­ge ste­tig grö­ßer, schwe­rer und lei­stungs­stär­ker. Von einer Ver­kehrs­wen­de, die den Umwelt­ver­bund aus Fuß- und Rad­ver­kehr, Bahn und Bus sowie ihrer intel­li­gen­ten Ver­net­zung mit­ein­an­der zum Rück­grat der Mobi­li­tät wer­den lässt, dabei Kosten spart, Umwelt und Natur schont, die Gesund­heit schützt und im Ver­gleich deut­lich mehr Arbeits­plät­ze schafft, ist ohne­hin kei­ne Rede. Auch hier gibt es öko­lo­gisch höchst kri­ti­sche Ver­gün­sti­gun­gen: Steu­er­be­frei­un­gen für den Flug‑, bil­li­ge, hoch­gra­dig schad­stoff­er­zeu­gen­de Treib­stof­fe für den Schiffs­ver­kehr. Zuge­ge­ben – Deutsch­land hat der­ma­ßen abge­rü­stet, dass die Ver­tei­di­gung des eige­nen Lan­des nicht ein­mal ansatz­wei­se gewähr­lei­stet wäre. Zugleich gehört unser Staat zu den größ­ten Kriegs­waf­fen­ex­por­teu­ren der Welt. Belie­fert wer­den – im Gegen­satz zu Lip­pen­be­kennt­nis­sen und recht­lich min­de­stens höchst frag­wür­dig – auch etli­che Staa­ten, deren Macht­ha­ber weder Men­schen­rech­te in den eige­nen Gren­zen ach­ten noch Fried­fer­tig­keit nach außen gewährleisten.
Deutsch­land kann als Vor­bild wir­ken – nicht über sei­ne Mög­lich­kei­ten hin­aus, aber in deren Rah­men. Unbe­streit­bar ist eine poli­ti­sche Neu­aus­rich­tung in vie­len Berei­chen von­nö­ten, getra­gen von christ­li­chen, sozia­len und öko­lo­gi­schen Wer­ten, der Frei­heit ver­pflich­tet. Doch darf Frei­heit nicht
als Frei­heit von Ver­ant­wor­tung für die Fol­gen ver­stan­den wer­den, wie es in Wer­be­sprü­chen à la „Beden­ken second“ ver­mit­telt wird, und auch nicht als rück­sichts­lo­se Frei­heit auf Kosten anderer.
Eine gerech­te Poli­tik im Innern erhöh­te zwei­fel­los die Bereit­schaft, nach außen zu hel­fen, mit der Glaub­wür­dig­keit des eige­nen Tuns Ver­än­de­run­gen zu bewir­ken, die Hilfs­be­reit­schaft ande­rer zu wecken und zu för­dern, aber auch, Flucht­ur­sa­chen statt der Flüch­ten­den wirk­sam zu bekämpfen.
Wir, als Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler, als Dis­ku­tie­ren­de in Wort und Schrift, als Mit­glie­der in Par­tei­en und Ver­ei­nen, kön­nen unse­ren Ein­fluss gel­tend machen, poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen eine zukunfts­fä­hi­ge Rich­tung zu geben. Tun wir dies im Sin­ne der vor­ste­hen­den Aus­füh­run­gen, dür­fen wir uns dem Gott­ver­trau­en hin­ge­ben – wir Chri­sten und unse­re mus­li­mi­schen und jüdi­schen Brü­der und Schwe­stern im Glau­ben an den EINEN Gott. Mit­neh­men auf dem Weg in die Zukunft möch­ten wir aber alle Men­schen, ob sie den Glau­ben nie ken­nen­ge­lernt, ihn gar ver­lo­ren haben oder einem ande­ren angehören.

Der Him­mel wölbt sich übers Land, ade, auf Wiederseh’n. Wir ruhen all‘ in Got­tes Hand, leb wohl, auf Wiederseh’n!

Einen viel­ver­spre­chen­den Start in das Neue Jahr 2020 wünscht Fami­lie (Stadter-)Bönig: Feli­ci­tas, Rita und Wolfgang