Bay­reu­ther For­scher ent­decken sta­bi­les hoch­en­er­ge­ti­sches Material

Symbolbild Bildung

Welt­weit wer­den für die Lang­strecken-Raum­fahrt hoch­en­er­ge­ti­sche Mate­ria­li­en gesucht, die sehr gro­ße Men­gen che­mi­scher Ener­gie spei­chern und bei Bedarf frei­set­zen kön­nen. Stick­stoff­ver­bin­dun­gen, in denen meh­re­re Stick­stoff­ato­me durch ein­fa­che Bin­dun­gen ver­ket­tet sind, besit­zen die­se Fähig­keit. Ver­bin­dun­gen die­ser Art sind schwie­rig zu syn­the­ti­sie­ren, denn sie sind äußerst insta­bil. Wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben jetzt unter extrem hohen Drücken und Tem­pe­ra­tu­ren ein neu­ar­ti­ges Poly­ni­tro­gen ent­deckt, das unter nor­ma­len Raum­be­din­gun­gen sta­bil bleibt. In der Zeit­schrift „Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons“ stel­len sie ihre Ent­deckung vor.

Dr. Dominique Laniel, Universität Bayreuth. Foto: Christian Wißler.

Dr. Domi­ni­que Lani­el, Uni­ver­si­tät Bay­reuth. Foto: Chri­sti­an Wißler.

Das Bay­reu­ther Team unter der Lei­tung von Dr. Domi­ni­que Lani­el hat eine Mischung von metal­li­schem Magne­si­um (Mg) und Stick­stoff (N₂) in einer Dia­mant­stem­pel­zel­le ein­ge­la­gert. Anschlie­ßend wur­de die Mischung einer Tem­pe­ra­tur von 2.000 Kel­vin (mehr als 1.700 Grad Cel­si­us) und einem Druck von 50 Giga­pas­cal aus­ge­setzt. Die­ser Druck ent­spricht dem 500.000fachen Druck der Erd­at­mo­sphä­re. Unter den extre­men Druck- und Tem­pe­ra­tur­ver­hält­nis­sen bil­de­ten sich sehr unge­wöhn­li­che Kri­stal­le aus Magne­si­um und Stick­stoff, wie sich bei Expe­ri­men­ten an der Rönt­gen­quel­le PETRA III des Deut­schen Elek­tro­nen­syn­chro­trons (DESY) in Ham­burg her­aus­stell­te. Die For­scher ent­deck­ten unter ande­rem Kri­stal­le mit der Sum­men­for­mel Mg₂N₄, die sich aus Magne­si­um-Kat­io­nen (Mg²+) und Stick­stoff-Anio­nen (N₄⁴-) zusam­men­set­zen. Bei die­sen Stick­stoff­mo­le­kü­len han­delt es sich um homo­ge­ne Poly­ni­tro­ge­ne: Vier Stick­stoff­ato­me sind durch ein­fa­che Bin­dun­gen ver­ket­tet und bil­den eine huf­ei­sen­för­mi­ge Struk­tur. Die­se Poly­ni­tro­ge­ne sind nie­mals zuvor syn­the­ti­siert wor­den, weder durch Hoch­druck­tech­ni­ken noch durch kon­ven­tio­nel­le che­mi­sche Verfahren.

Synthese des neuen hochenergetischen Materials. Grafik: Dominique Laniel.

Syn­the­se des neu­en hoch­en­er­ge­ti­schen Mate­ri­als. Gra­fik: Domi­ni­que Laniel.

„Wir waren über­rascht, als wir fest­stell­ten, dass die­se in die Kri­stall­struk­tu­ren ein­ge­la­ger­ten Stick­stoff-Anio­nen bei nor­ma­lem Luft­druck und nor­ma­len Zim­mer­tem­pe­ra­tu­ren sta­bil blei­ben. Das N₄⁴--Mole­kül ist erst das vier­te bekann­te Poly­ni­tro­gen, und es ist bis­lang das ein­zi­ge, das nur durch Hoch­druck­ver­fah­ren her­ge­stellt wer­den kann“, sagt Dr. Domi­ni­que Lani­el. Die Bay­reu­ther For­scher sind zuver­sicht­lich, dass ein Ver­fah­ren zur Syn­the­se von Poly­ni­tro­ge­nen ent­wickelt wer­den kann, die nur aus Stick­stoff bestehen. Dann liegt ein hoch­en­er­ge­ti­sches Mate­ri­al vor, das für eine Viel­zahl indu­stri­el­ler Anwen­dun­gen und vor allem auch als Ener­gie­quel­le für die Lang­strecken-Raum­fahrt hoch­at­trak­tiv ist. „Wer Treib­stoff sucht, um zum Mars zu flie­gen, soll­te sich in Zukunft bei den Poly­ni­tro­ge­nen umse­hen“, sagt Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia vom Bay­reu­ther Labor für Kristallographie.

Aller­dings muss für die­se Anwen­dun­gen noch eine ent­schei­den­de Hür­de über­wun­den wer­den: Bis­her las­sen sich die Magne­si­um-Stick­stoff-Kri­stal­le, in denen die hoch­en­er­ge­ti­schen Stick­stoff-Anio­nen ent­hal­ten sind, nur in sehr gerin­gen Men­gen unter extre­men Drücken und Tem­pe­ra­tu­ren im Labor her­stel­len. Ein Ver­fah­ren zur Syn­the­se im Indu­strie­maß­stab gibt es bis­her noch nicht. „Es ist aber durch­aus mög­lich, dass sich die bei unse­ren Hoch­druck­ex­pe­ri­men­ten ent­stan­de­nen sta­bi­len Kri­stal­le als Blau­pau­se eig­nen, um sie eines Tages mit ande­ren, tech­nisch weni­ger anspruchs­vol­len Ver­fah­ren nach­zu­bau­en. Die expe­ri­men­tel­le Hoch­druck-For­schung lei­stet inso­fern Pio­nier­ar­beit bei der Suche nach hoch­en­er­ge­ti­schen Mate­ria­li­en“, meint Lani­el. „Mit den jetzt in ‚Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons‘ ver­öf­fent­lich­ten For­schungs­er­geb­nis­sen steht die Tür weit offen, um mit den Ver­fah­ren der Hoch­druck­for­schung neue hoch­en­er­ge­ti­sche Mate­ria­li­en her­zu­stel­len, von denen wir heu­te noch nicht wis­sen, dass es sie über­haupt geben kann“, ergänzt Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky vom BGI.

Ver­öf­fent­li­chung:

Domi­ni­que Lani­el et al.: Syn­the­sis of magne­si­um-nitro­gen salts of poly­ni­tro­gen anions. Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons (2019), DOI: 10.1038/s41467-019–12530‑w

Die Her­aus­ge­ber von „Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons“ haben die­sen For­schungs­bei­trag als wis­sen­schaft­li­ches High­light geli­stet: www​.natu​re​.com/​n​c​o​mms

For­schungs­för­de­rung:

Dr. Domi­ni­que Lani­el ist 2019 als For­schungs­sti­pen­di­at der Alex­an­der von Hum­boldt-Stif­tung an die Uni­ver­si­tät Bay­reuth gekom­men. Hier forscht er bei Prof. Dr. Nata­lia Dubro­vins­ka­ia am Labo­ra­to­ri­um für Kri­stal­lo­gra­phie und bei Prof. Dr. Leo­nid Dubro­vin­sky am Baye­ri­schen Geo­in­sti­tut. Die For­schungs­ar­bei­ten in Bay­reuth, die jetzt zur der Publi­ka­ti­on in „Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons“ geführt haben, wur­den über­dies geför­dert von der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (DFG) und dem Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF).

Koope­ra­ti­ons­part­ner:

Zusam­men mit dem For­schungs­team an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth haben auch Wis­sen­schaft­ler des Deut­schen Elek­tro­nen­syn­chro­tron in Ham­burg und der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt am Main an der neu­en Stu­die mitgewirkt.