Bam­ber­ger Sozi­al­wis­sen­schaf­ten: Neue For­schungs­er­geb­nis­se durch Informatik

Symbolbild Bildung

Sozia­le Ungleich­hei­ten im Inter­net aufdecken

Migra­ti­ons­for­schung wird digi­ta­ler, auch am Lehr­stuhl für Poli­tik­wis­sen­schaft, ins­be­son­de­re Poli­ti­sche Sozio­lo­gie, an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. Ganz neue For­schungs­er­geb­nis­se sind mit com­pu­ter­ba­sier­ten sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Metho­den mög­lich, wie der wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter Car­sten Schwem­mer zeigt. Er stellt bei­spiel­haft zwei For­schungs­pro­jek­te über sozia­le Ungleich­hei­ten im Inter­net vor: ein Pro­jekt über Online-Mit­fahr­zen­tra­len, ein ande­res über die Web­sei­te TED Talks, die wis­sen­schaft­li­che Vor­trä­ge als Vide­os bereit­stellt. In bei­den Fäl­len konn­te er mit infor­ma­ti­schen Ver­fah­ren Benach­tei­li­gun­gen eth­ni­scher Min­der­hei­ten nach­wei­sen. Die Ergeb­nis­se zu TED Talks sind im August 2019 in der poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Fach­zeit­schrift „Poli­ti­cal Rese­arch Exch­an­ge“ erschienen.

Benach­tei­li­gung von Frau­en und eth­ni­schen Minderheiten

Gemein­sam mit sei­nem Kol­le­gen Seba­sti­an Jung­kunz hat Car­sten Schwem­mer erforscht, wie Frau­en und eth­ni­sche Min­der­hei­ten in digi­ta­len Medi­en reprä­sen­tiert sind, spe­zi­ell in TED Talks. Mil­lio­nen von Men­schen sehen sich die­ses For­mat auf You­Tube an, sodass es gro­ßen Ein­fluss dar­auf hat, wie die Öffent­lich­keit Wis­sen­schaft wahr­nimmt. Um die Red­ne­rin­nen und Red­ner nach Geschlecht und eth­ni­schen Grup­pen ein­ord­nen zu kön­nen, durch­such­ten die Sozi­al­wis­sen­schaft­ler mit einem Bil­der­ken­nungs-Algo­rith­mus die Vide­os von 2006 bis 2017: ins­ge­samt 2.333.

„Unse­re Ana­ly­sen zei­gen, dass mehr als die Hälf­te aller Talks von wei­ßen Män­nern gehal­ten wur­den“, fasst Schwem­mer zusam­men. „Über die Zeit hat sich der Anteil von Frau­en erhöht, ‚nicht-wei­ße‘ eth­ni­sche Grup­pen geben aber nach wie vor nur sel­ten Talks.“ In den ver­gan­ge­nen Jah­ren gab es rund drei Vier­tel wei­ße Vor­tra­gen­de und ein Vier­tel schwar­ze, his­pa­ni­sche oder asia­ti­sche Red­ne­rin­nen und Red­ner. Schwem­mer erklärt: „Eine zu nied­ri­ge Reprä­sen­ta­ti­on von benach­tei­lig­ten Grup­pen kann unter ande­rem zur Ver­fe­sti­gung von Ste­reo­ty­pen füh­ren – zum Bei­spiel zu der Vor­stel­lung, dass ein wei­ßer, älte­rer Mann ein pro­to­ty­pi­scher Wis­sen­schaft­ler sei.“

Außer­dem durch­for­ste­ten die Sozi­al­wis­sen­schaft­ler mit auto­ma­ti­sier­ten Text­ana­ly­sen die Inhal­te der Talks. „Ein klei­ner Anteil an Talks beschäf­tig­te sich mit ‚Ungleichheits‘-Themen, die für benach­tei­lig­te Grup­pen von Bedeu­tung sind, wie Gewalt gegen Frau­en oder Ras­sis­mus“, sagt Schwem­mer. Und eine Unter­su­chung der 1,2 Mil­lio­nen Kom­men­ta­re zu TED Talks auf You­Tube deck­te auf, dass ins­be­son­de­re weib­li­che Vor­tra­gen­de und Talks zu Ungleich­heits-The­men deut­lich mehr nega­ti­ve Kom­men­ta­re auf You­Tube erhal­ten als andere.

Dis­kri­mi­nie­rung in Online-Mitfahrzentralen

Ein wei­te­res digi­ta­les For­schungs­pro­jekt zu eth­ni­scher Dis­kri­mi­nie­rung schloss Schwem­mer im Jahr 2018 mit Kol­le­gen aus Ber­lin und Kiel ab: Er fil­ter­te die Daten von mehr als 16.000 Ein­zel­fahr­ten in Deutsch­land von der Home­page einer Online-Mit­fahr­zen­tra­le und berei­te­te sie auf. Die Aus­beu­te: unter ande­rem Infor­ma­tio­nen zu Namen der Anbie­ter, Fahrt­strecken, Prei­sen und Anzahl der Klicks. Die Sozi­al­wis­sen­schaft­ler stell­ten eine eth­ni­sche Dis­kri­mi­nie­rung fest: „Um auf die glei­che Nach­fra­ge wie Fah­re­rin­nen und Fah­rer mit deut­schem Namen zu kom­men, müss­ten Anbie­ter mit ara­bi­schen, tür­ki­schen oder per­si­schen Namen ihre Fahr­ten im Durch­schnitt um 4,20 Euro gün­sti­ger anbie­ten“, erläu­tert Schwem­mer. Der Dis­kri­mi­nie­rungs­ef­fekt ver­schwin­de durch zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen über die Anbie­ter, etwa durch posi­ti­ve Nutzerbewertungen.

Gro­ße Daten­men­gen wie in die­sen Pro­jek­ten kann man nur mit com­pu­ter­ge­stütz­ten Ver­fah­ren unter­su­chen. Daher ver­bin­det der Inha­ber des Bam­ber­ger Lehr­stuhls für Poli­tik­wis­sen­schaft, ins­be­son­de­re Poli­ti­sche Sozio­lo­gie, Prof. Dr. Marc Helb­ling, ver­stärkt die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten mit der Informatik.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen über Car­sten Schwem­mer und sei­ne For­schungs­pro­jek­te unter: www​.uni​-bam​berg​.de/​p​o​l​s​o​z​/​t​e​a​m​/​c​a​r​s​t​e​n​-​s​c​h​w​e​m​mer

Publi­ka­tio­nen:

Car­sten Schwem­mer, Seba­sti­an Jung­kunz. 2019. Who­se ide­as are worth spre­a­ding? The repre­sen­ta­ti­on of women and eth­nic groups in TED talks, Poli­ti­cal Rese­arch Exch­an­ge, DOI: 10.1080/2474736X.2019.1646102

Voll­text unter: www​.car​sten​schwem​mer​.com/​p​u​b​l​i​c​a​t​i​o​n​/​t​e​d​r​e​p​r​e​s​e​n​t​a​t​i​o​n​2​019

Jas­per Dag Tja­den, Car­sten Schwem­mer, Menusch Khad­ja­vi. 2018. Ride with Me – Eth­nic Dis­cri­mi­na­ti­on, Social Mar­kets, and the Sha­ring Eco­no­my, Euro­pean Socio­lo­gi­cal Review, DOI: 10.1093/esr/jcy024