Kran­ke von gesun­den Blut­zel­len tren­nen: Bay­reu­ther Phy­si­ker ent­decken neu­en Effekt

Symbolbild Bildung

Bei zahl­rei­chen Krank­hei­ten wie Mala­ria oder Krebs unter­schei­den sich kran­ke und gesun­de Blut- und Kör­per­zel­len durch ihren Här­te­grad. Durch einen neu­en phy­si­ka­li­schen Effekt las­sen sie sich leicht von­ein­an­der tren­nen. Dabei sor­gen Strö­mun­gen in Mikro­ka­nä­len dafür, dass sich von selbst här­te­re von wei­che­ren Zel­len tren­nen. Dies hat jetzt ein inter­na­tio­na­les For­schungs­team unter der Lei­tung des Bay­reu­ther Phy­si­kers Prof. Dr. Wal­ter Zim­mer­mann ent­deckt. In der Fach­zeit­schrift „Phy­si­cal Review Let­ters“ stel­len die Wis­sen­schaft­ler ihre grund­le­gen­den Erkennt­nis­se vor und zei­gen deren medi­zi­ni­sches Anwendungspotenzial.

Verteilung von Teilchen in einem Mikrokanal mit geradlinigen (oben) und mit welligen Seitenwänden (unten). Grafik: Christian Göppner.

Ver­tei­lung von Teil­chen in einem Mikro­ka­nal mit gerad­li­ni­gen (oben) und mit wel­li­gen Sei­ten­wän­den (unten). Gra­fik: Chri­sti­an Göppner.

Mikro­ka­nä­le haben win­zi­ge Durch­mes­ser zwi­schen 10 und 500 Mikro­me­tern. Wenn Blut­zel­len, Kör­per­zel­len oder wei­che Kap­seln in der Strö­mung einer wäss­ri­gen Flüs­sig­keit durch Mikro­ka­nä­le mit gerad­li­ni­gen Sei­ten­wän­den hin­durch­ge­lei­tet wer­den, wer­den sie durch die Strö­mung in eine Dreh­be­we­gung ver­setzt. Dadurch bewe­gen sie sich auf die Kanal­mit­te wie auf eine ima­gi­nä­re Anzie­hungs­li­nie („Attrak­tor“) zu. An die­ser Linie wan­dern dann alle Teil­chen – unab­hän­gig von ihrer Här­te oder Grö­ße – ent­lang. For­scher­grup­pen der Uni­ver­si­tä­ten Bay­reuth und Gre­no­ble haben schon vor eini­gen Jah­ren die Erklä­rung für die­ses Phä­no­men gefun­den: Ent­schei­dend ist dabei, dass die wei­chen Teil­chen ihre Form unter dem Ein­fluss der Druck- und Strö­mungs­ver­hält­nis­se im Kanal ändern. „Wir waren daher neu­gie­rig dar­auf, wie sich wei­che Teil­chen ver­hal­ten, wenn sie in Strö­mun­gen durch Mikro­ka­nä­le mit wel­li­gen Wän­den wan­dern. Die­se Kanä­le haben eine sym­me­tri­sche Form, weil sie eine gera­de Längs­ach­se haben, wäh­rend ihr Durch­mes­ser abwech­selnd klei­ner und grö­ßer wird. Zuvor war noch nie unter­sucht wor­den, wie sich die Wan­de­rungs­be­we­gun­gen von Teil­chen unter die­sen Ver­hält­nis­sen ändern“, berich­tet Zimmermann.

Ein neu­es Pro­jekt der bei­den For­scher­grup­pen in Bay­reuth und Gre­no­ble sowie des For­schungs­zen­trums Jülich führ­te jetzt zu über­ra­schen­den Resul­ta­ten: In den Kanä­len mit gewell­ten Sei­ten­wän­den ent­steht nicht nur eine Anzie­hungs­li­nie in der Kanal­mit­te, son­dern es bil­den sich außer­dem zwei wei­te­re Anzie­hungs­li­ni­en. Die­se befin­den sich zwi­schen der Kanal­mit­te und den bei­den Sei­ten­wän­den und ver­lau­fen par­al­lel zu den Sei­ten­wän­den eben­falls wel­len­för­mig. Wei­che­re Kap­seln bewe­gen sich in der Strö­mung zur Kanal­mit­te und wan­dern auf die­ser Längs­ach­se vor­an. Här­te­re Kap­seln dage­gen schwen­ken auf die wel­len­för­mi­gen Anzie­hungs­li­ni­en ein. „Auf­grund die­ser grund­le­gen­den phy­si­ka­li­schen Ent­deckung woll­ten wir her­aus­fin­den, ob sich dar­aus Anwen­dun­gen für die Medi­zin ablei­ten las­sen, und haben das Ver­hal­ten von här­te­ren und wei­che­ren roten Blut­zel­len unter­sucht“, sagt Win­fried Schmidt M.Sc., Dok­to­rand im Eli­te­stu­di­en­pro­gramm Bio­lo­gi­cal Phy­sics in Bay­reuth. Denn es gibt zahl­rei­che Krank­hei­ten, wie etwa Mala­ria, Krebs oder Dia­be­tes mel­li­tus, die dazu füh­ren, dass sich die Här­te von Zel­len ver­än­dert. Je nach Erkran­kung, sind kran­ke Zel­len ent­we­der här­ter oder wei­cher als gesun­de Zel­len. Wie sich her­aus­stell­te, las­sen sich in allen die­sen Fäl­len kran­ke und gesun­de Zel­len mit dem­sel­ben ein­fa­chen Ver­fah­ren tren­nen: Sie wan­dern im Mikro­ka­nal zu unter­schied­li­chen Anzie­hungs­li­ni­en und kön­nen am Ende des Kanals getrennt ein­ge­sam­melt wer­den. So las­sen sich vor­aus­sicht­lich Rück­schlüs­se auf den Schwe­re­grad und auf wei­te­re Merk­ma­le einer Erkran­kung ziehen.

Wei­te­re Anwen­dungs­po­ten­zia­le erge­ben sich dar­aus, dass nicht nur här­te­re und wei­che­re, son­dern auch grö­ße­re und klei­ne­re wei­che Teil­chen auf die­se Wei­se getrennt wer­den kön­nen: Klei­ne­re Teil­chen bewe­gen sich auf der Längs­ach­se vor­an, grö­ße­re auf den wel­li­gen äuße­ren Anziehungslinien.

Die jetzt ver­öf­fent­lich­ten Erkennt­nis­se zei­gen bei­spiel­haft, wie stark die phy­si­ka­li­sche Grund­la­gen­for­schung durch moder­ne Com­pu­ter und Groß­rech­ner vor­an­ge­trie­ben wird. „Unse­re Resul­ta­te haben wir durch theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen und Berech­nun­gen sowie durch Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen erzielt. Phy­si­cal Review Let­ters, eine der füh­ren­den Fach­zeit­schrif­ten in der Phy­sik, fand unse­re Stu­die bereits ohne expe­ri­men­tel­le Über­prü­fung so über­zeu­gend, dass sie zur Ver­öf­fent­li­chung ange­nom­men wur­de“, sagt Erst­au­tor Mat­thi­as Lau­mann M.Sc., Phy­sik-Dok­to­rand an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth. „Wir wür­den uns freu­en, wenn unse­re Publi­ka­ti­on Expe­ri­men­te anregt, in denen ande­re For­schungs­grup­pen wei­te­re span­nen­de Anwen­dungs­po­ten­zia­le in und außer­halb der Medi­zin ent­decken“, ergänzt Zimmermann.

Ver­öf­fent­li­chung:

Lau­mann, W. Schmidt, A. Faru­tin, D. Kien­le, S. För­ster, C. Mis­bah, W. Zim­mer­mann: Emer­ging Attrac­tor in Wavy Poi­seuille Flows Trig­gers Sort­ing of Bio­lo­gi­cal Cells, Phys. Rev. Lett. 122, 128002 (2019), DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.128002.

For­schungs­ko­ope­ra­tio­nen:

Pro­fes­sor Dr. Chaou­qi Mis­bah von der Uni­ver­si­tät Gre­no­ble ist Seni­or Fel­low im Inter­na­tio­nal Fel­low­ship Pro­gramm der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und Koope­ra­ti­ons­part­ner des Eli­te­stu­di­en­pro­gramm „Bio­lo­gi­sche Phy­sik“ im Eli­te­netz­werk Bay­ern (ENB). M. Lau­mann, W. Schmidt, A. Faru­tin, C. Mis­bah und W. Zim­mer­mann sind Mit­glied der Gra­du­ier­ten­schu­le „Living fluids“ bei der Deutsch-Fran­zö­si­schen Hoch­schu­le mit Sitz in Saar­brücken (http://​living​-fluids​.uni​-saar​land​.de).