Bam­ber­ger For­scher­team ent­wickelt medi­zi­ni­schen Begleiter

Symbolbild Bildung

Wenn Mensch und Künst­li­che Intel­li­genz gemein­sam Dia­gno­sen stellen

Ange­nom­men, eine Soft­ware stellt die Dia­gno­se einer schwe­ren Krank­heit wie bei­spiels­wei­se Krebs, ohne die Ent­schei­dung näher zu erklä­ren. Ver­trau­en Men­schen in die­ser Situa­ti­on dem Urteils­ver­mö­gen einer Maschi­ne? „Maschi­nel­le Lern­ver­fah­ren hel­fen bei der Dia­gno­se. Sind ihre Ent­schei­dun­gen jedoch nicht nach­voll­zieh­bar für Ärz­te und Pati­en­ten, sind die Ergeb­nis­se mit Vor­sicht zu genie­ßen und dür­fen in vie­len sicher­heits­kri­ti­schen Kon­tex­ten wie der Medi­zin auch nicht ver­wen­det wer­den“, sagt Dr. Ute Schmid, Pro­fes­so­rin für Ange­wand­te Infor­ma­tik, ins­be­son­de­re Kogni­ti­ve Syste­me, an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. Seit Sep­tem­ber 2018 betei­ligt sich ihre For­scher­grup­pe an einem inter­dis­zi­pli­nä­ren und insti­tu­ti­ons­über­grei­fen­den Pro­jekt, das auto­ma­ti­sier­te Dia­gno­sen anhand eini­ger Bei­spie­le trans­pa­rent machen soll. Der soge­nann­te „Trans­pa­ren­te Beglei­ter für Medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen“ besteht aus zwei Pro­to­ty­pen: Ein Modell erkennt auf Vide­os Schmerz von Pati­en­ten, die ihr Emp­fin­den selbst nicht mit­tei­len kön­nen, und erklärt die Ein­ord­nung. Ein wei­te­rer Pro­to­typ, der gera­de ent­steht, dia­gno­sti­ziert nach­voll­zieh­bar Darm­krebs auf Basis von Bild­da­ten aus der Mikroskopie.

System lernt, Sym­pto­me zu erken­nen und Dia­gno­sen zu erklären

Damit die Soft­ware sowohl eine Krank­heit erken­nen als auch die Ent­schei­dung begrün­den kann, kom­bi­niert das For­scher­team unter­schied­li­che infor­ma­ti­sche Metho­den mit­ein­an­der. Mit­hil­fe von tie­fen neu­ro­na­len Net­zen („Deep Lear­ning“) kön­nen gro­ße Men­gen an Bil­dern klas­si­fi­ziert wer­den. Aller­dings geben sol­che Ver­fah­ren kei­ne Aus­kunft dar­über, wie sie zu der Ent­schei­dung gelangt sind. Wei­te­re Ver­fah­ren sehen in das tie­fe neu­ro­na­le Netz hin­ein und machen ent­schei­den­de Merk­ma­le für den Men­schen greif­bar. Sie heben in den Bil­dern zum Bei­spiel auf­fäl­li­ge Stel­len in dem betrof­fe­nen Darm­ge­we­be her­vor oder erklä­ren durch Tex­te, war­um ein bestimm­ter Aus­schnitt der Gewe­be­struk­tur unter dem Mikro­skop als krank­haft klas­si­fi­ziert wurde.

An der Ent­wick­lung des „Trans­pa­ren­ten Beglei­ters für Medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen“ sind ver­schie­de­ne For­scher­grup­pen betei­ligt. Das Fraun­ho­fer-Insti­tut für Inte­grier­te Schal­tun­gen IIS aus Erlan­gen und das Fraun­ho­fer Hein­rich-Hertz Insti­tut HHI aus Ber­lin erstel­len ein Soft­ware-Pro­gramm mit­hil­fe von „Deep Learning“-Verfahren. Für die jewei­li­gen Anwen­dungs­fäl­le wird die Exper­ti­se des Patho­lo­gi­schen Insti­tuts der Uni­ver­si­tät Erlan­gen unter Zusam­men­ar­beit mit Prof. Dr. Arndt Hart­mann sowie die Exper­ti­se der Pro­fes­sur für Phy­sio­lo­gi­sche Psy­cho­lo­gie Bam­berg, gelei­tet durch den Schmerz­for­scher Prof. Dr. Ste­fan Lau­ten­ba­cher, ein­be­zo­gen. „Das For­schungs­pro­jekt erfor­dert Wis­sen auf unter­schied­li­chen Gebie­ten“, schil­dert PD Dr.-Ing. Tho­mas Wit­ten­berg vom Fraun­ho­fer IIS, der das Gesamt­pro­jekt koor­di­niert. „Dank der inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusam­men­ar­beit ist es uns mög­lich, Beglei­ter für ver­schie­de­ne medi­zi­ni­sche Exper­ten zu ent­wickeln, die wich­ti­ge Kri­te­ri­en wie Trans­pa­renz und Erklär­bar­keit erfül­len und dabei gute Dia­gno­se-Ergeb­nis­se liefern.“

Trans­pa­ren­te Beglei­ter unter­stüt­zen medi­zi­ni­sche Arbeit

Haupt­auf­ga­be des Bam­ber­ger Teams ist es, die­je­ni­ge Kom­po­nen­te zu pro­gram­mie­ren, die die Ent­schei­dung der tie­fen neu­ro­na­len Net­ze ver­ständ­lich erklärt. Die For­schen­den nut­zen ins­be­son­de­re eine soge­nann­te „Induk­ti­ve Logi­sche Pro­gram­mie­rung“. Ihr Ziel ist, dass das System bei­spiels­wei­se nicht nur mel­det, eine Per­son emp­fin­de Schmer­zen. Zusätz­lich zeigt es auf einem Moni­tor an, war­um es zu die­ser Ein­schät­zung kommt. Ein Text führt die Grün­de auf: Die Augen­brau­en der Per­son sind gesenkt, die Wan­gen erhöht, die Augen­li­der zusam­men­ge­zo­gen. Auf dem Bild wer­den die Gesichts­par­tien, die für die Ent­schei­dung aus­schlag­ge­bend waren, durch Ein­fär­bun­gen und Pfei­le mar­kiert. Das System schätzt auch ab, wie sicher es sich mit der Dia­gno­se ist.

„Die behan­deln­den Medi­zi­ner ent­schei­den, ob sie die Ein­schät­zung tei­len“, sagt Bet­ti­na Fin­zel, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Uni­ver­si­tät Bam­berg. „Sie kön­nen die Algo­rith­men beein­flus­sen, indem sie Ergän­zun­gen und Kor­rek­tu­ren im System vor­neh­men. Dadurch lernt die Soft­ware stän­dig dazu und bezieht das wert­vol­le Wis­sen der Exper­ten mit ein.“ Letzt­lich bleibt die Ver­ant­wor­tung beim Men­schen, der von den Trans­pa­ren­ten Beglei­tern unter­stützt, nicht ersetzt wird. Außer­dem könn­ten Medi­zi­ner mit­hil­fe der Trans­pa­ren­ten Beglei­ter in Zukunft aus- und wei­ter­ge­bil­det wer­den. Das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für Bil­dung und For­schung för­dert das Pro­jekt bis August 2021 mit ins­ge­samt 1,3 Mil­lio­nen Euro. Davon gehen rund 290.000 Euro an die Uni­ver­si­tät Bamberg.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen unter: www​.uni​-bam​berg​.de/​e​n​/​c​o​g​s​y​s​/​r​e​s​e​a​r​c​h​/​p​r​o​j​e​c​t​s​/​b​m​b​f​-​p​r​o​j​e​c​t​-​t​r​a​m​e​e​xco